Wenn
man in Wien so mir nichts dir nichts mitten in den „Ring“ hineinstolpert,
dann erwartet man alles und nichts zugleich. Man erwartet alles, weil
der Qualitätsanspruch dieses renommiertesten deutschsprachigen Opernhauses
nach wie vor „erstklassig“ heißt, nichts, weil man nun fast völlig unvorbereitet
einen fünfstündigen Happen Mythos hinunterzuschlingen gedenkt. Aber was
soll's? Es ist doch draußen in der Welt wie drinnen im Theater. Oder fast
so.
Draußen
steht das altehrwürdige Café Sacher, das die Herausforderung der fröhlichen
amerikanischen Kette gleich gegenüber noch nicht zu registrieren scheint.
Drinnen klagt und zetert bereits Mime, dessen sonniger Ziehsohn Siegfried
das traditionelle Schmiedehandwerk des Meisters glatt verhöhnt und schon
mal das Schwert Nothung nach eigenem Gutdünken herstellt. Es glückt ihm.
So wie ihm folglich auch die Tötung des Drachen glückt, wie er daraufhin
mit dem Waldvogel sprechen und nach dessen Weisung wiederum Brünnhilde
erwecken wird. Dies alles kann so geschehen, weil Siegfried ohne Furcht
ist, weil er nicht im Alten verhaftet ist. Weil er nicht zögert, das Richtige
zu tun.
Was
man bis zum Ende des zweiten Aktes erlebt, ist eine vortreffliche Komödie,
die von Heinz ZEDNIK (Mime) und Wolfgang SCHMIDT (Siegfried) in jeder
Hinsicht grandios dargeboten wurde. Heinz Zednik als Mime zeigte in feiner
Mischung von außergewöhnlicher Sprachdeutlichkeit, passender Stimmfärbung
und schier unerschöpflicher Körpersprache die verschiedenen Facetten des
Mime vom armen Zwerg bis zum gemeinen Giftmischer. Wolfgang Schmidt gab
überzeugend den ebenso ehrlich-naiven wie draufgängerischen Siegfried.
Stimmlich ließ er nur an den wenigen dafür vorgesehenen Stellen mit Heldentenor-Volumen
und kraftvoller, dunkel timbrierter Höhe aufhorchen.
Das
Auftauchen des Wanderers beruhigte die Szene, hier beeindruckte James
MORRIS durch gemessene Stimmschönheit wie durch optische Autorität.
Es
ist aber nicht zuletzt der Inszenierung von Adolf DRESEN bzw. dem Bühnenbild
von Herbert KAPPLMÜLLER zu verdanken, daß das Stück bis zum Schluß seine
lichte Farbe und szenische Klarheit behält. Vom „echt“ glühenden Schwert
bis zum spitzzahnigen, mehr Nebel als Feuer speienden Wurm wird einerseits
jedes naturalistische Detail als optischer Magnet genutzt, andererseits
der über weite Strecken intime und kammerspielartige Charakter des Stückes
nie durch Überflüssigkeiten verwässert. Kein Aktionismus der Bühnenpersonen
war auszumachen, gleichzeitig blieb die Szene stets in wundersamer Bewegung.
Es gab zu schauen, zu hören und zu lachen.
Aber
ohne den hervorragend klingenden, ungemein tragfähigen Baß von Walter
FINK (Fafner) hätte selbst der naturalistischste Drache sinnentleert in
seiner Höhle gelegen. Ebenso tadellos, mit leichter geschmeidiger Stimme
ließ sich bald Simina IVAN als wegweisender Waldvogel hören. Die szenische
Umsetzung dieses Details konnte allerdings aufgrund des sichtbaren Führungsstäbchens
nicht ganz überzeugen. Vielleicht wäre hier etwas weniger Natur mehr gewesen.
Der Alberich von Georg TICHY blieb szenisch und stimmlich vergleichsweise
blaß, wurde aber im Zusammenspiel mit Mime interessanter und brachte insgesamt
eine solide Darbietung.
Im
dritten Akt konnte dann dank des musikalischen Stimmungsumschlages auch
das STAATSOPERNORCHESTER unter der Leitung von Adam FISCHER in spannungsvoller
Klangschönheit zur Geltung kommen. Weich und rund im Klang, wurde das
Forte nie sängerunfreundlich und die großen Phrasen des 3. Aktes erhoben
sich zu einem exquisiten Wagnererlebnis.
Über
die Orchesterwogen hinweg sangen jetzt mühelos nicht nur James Morris,
sondern auch Daniela DENSCHLAG als geisterhaft dem Boden entstiegene,
weißgekalkte Erda. Klar und artikuliert, dennoch weich strömend bis in
die tiefsten Lagen hätte man dieser herausragenden jungen Stimme freilich
gerne noch länger zugehört.
Der
Großzügigkeit der Musik dieses Aktes entsprach durchaus die Bühne, die
nun von raumfüllenden Farben und Linien geprägt war. So begegneten sich
Wotan und Siegfried hoch oben auf der leichten quergespannten roten Brücke.
Nicht weniger hoch hinaus will schließlich Siegfried mit seiner Mißachtung
der göttlichen Autorität.
Und
dann endlich der Felsen. Ein weiß leuchtender Feuerstein einsam in der
Mitte der Bühne umgeben von weißem Dampf, Rauch oder Nebel. Gleich einem
Eisberg, ins kochende Wasser geworfen. Brünnhilde, durch den vokal nun
aus dem vollen schöpfenden Wolfgang Schmidt erweckt, wurde von Deborah
POLASKI mit gebührender hochdramatischer Präsenz gesungen. Keine Stimme
des Abends schien dem großen Orchester in ähnlicher Weise Paroli bieten
zu können. Die Intention der Sängerin war hier offenbar tatsächlich nicht
auf lyrische Stimmschönheit oder gar Ökonomie gerichtet. Vielmehr stand
ganz und gar die Darstellung eines Gottmenschen im Vordergrund, einer
wahren Tochter Wotans und Erdas, die - auch der Rüstung entledigt und
in Liebe entbrannt - keinen Zweifel daran aufkommen läßt, wer sie ist.
„Ewig war ich, ewig bin ich.“ Sie war da, um den ungeborenen Helden zu
retten, und sie wird ihn, den Sterblichen, überleben...
Aber
das sind andere Geschichten. Die gibt's, wenn ich wieder einmal zufällig
in den Dunstkreis des „Rings" geraten sollte... Mascha Ernst
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