"IL BARBIERE DI SIVIGLIA" - 9. März 2003

DARF MAN DAS? Eine Aufführung verlassen?

Was erwartet ein Opernfan, ein Opernnarr? Was trifft man an? Eines sind Umbesetzungen, diesen ist man ausgeliefert, man kann das nicht vermeiden, das nimmt man auch hin. Dann und wann hat man ja dabei auch Glück und man zieht das große Umbesetzungslos. Das andere ist der Umstand, daß man mittelmäßige bis schlechte Besetzungen durch einen oder zwei Stars oder ein neues Talent aufbessert, und Leute so neugierig macht. So begab es sich bei eben jenem Barbier.

Der Barbier Leo NUCCI ein lang gedienter Sänger, der die Rolle dank seiner Routine und seiner Technik gut meistert. Nur ich vertrete bei allen Sängern, so gut sie sein mögen oder gewesen sind, man muß wissen , wann man mit dieser oder jener Rolle aufhören sollte. Leo Nuccis Zeit als Barbiere ist für mich eigentlich vorbei. Dies war ein Star.

Das neue Talent, das mich neugierig gemacht hatte, um überhaupt die Aufführung zu besuchen, ist Viveca GENAUX; alles, was ich im Radio bzw. von Platten gehört hatte, fand ich interessant. Der erste Akt als Durchlauf hat mir gezeigt, daß sie über eine ausgezeichnete Technik verfügt, die Stimme gut geführt ist. Von der Stimme selbst war ich in dem großen Haus etwas enttäuscht. Sie füllte es nicht. Die Rolle selbst gestaltete sie ohne großen Einfallsreichtum. Also fiel diese erste Begegnung nicht so befriedigend aus.

Die Umbesetzung … Alfred Sramek, als Bartolo angesetzt, wurde durch Renato GIROLAMI ersetzt. An diesem Sänger hatte ich schon vor vielen Jahren, als er noch öfters in Wien gesungen hat, (auch den Bartolo) keinen Gefallen finden können. Die Stimme ist wenig interessant, das Spiel stets um fünf Nuancen zu dick aufgetragen, der gewünschte Lacher endete bei mir immer als gequälte Grimasse. Also kein Unbekannter, die Leistung konnte auch unter zeitlichen Anstand nicht überzeugen.

Robert NAGY als Graf Almaviva ein Tenor mit tollen Spitzentönen, der sich aber mit Rossini, den Koloraturen und in der Mittellage plagte. Es fehlte ihm die beschwingte Leichtigkeit sowohl im Gesang und noch mehr im Spiel. Basilio Franz HAWLATA kämpfte mit den Höhen, bewährte sich aber besser, als ich dachte; nur konnte er deswegen weder den Abend retten, noch ankurbeln.

Diese Fadesse und Mittelmäßigkeit hat mich veranlaßt, die Pause zu nützen, und das edle Haus zu verlassen. Man soll zwar die Hoffnung nicht aufgeben, daß es besser werden könnte, aber andererseits wenn die Vorzeichen schon so eindeutig sind, ist es wohl doch angebracht, daß man für sich selbst eine Entscheidung trifft. Ich habe sie getroffen.

Und dies hat mich wieder einmal darüber nachdenklich gestimmt, warum das Aufführungsniveau, das angeblich so gut ist, auf mich so unterschiedlich wirkt und eher einen betrüblichen Eindruck denn einen beglückenden hinterläßt. Entweder ist der Grund dafür in meiner langjährigen Opernerfahrung zu finden/zu suchen und meiner Verklärung der Erinnerung, oder das Niveau ist tatsächlich gesunken, nur kann dies nicht wirklich bewiesen werden, weil man die Vergangenheit nicht wieder lebendig machen kann. Höre ich aber dann alte Aufnahmen, finde ich doch die Bestätigung meiner Live-Eindrücke und muß dann feststellen, daß die heutigen Aufführungen oft sehr mangelhaft sind.

Es sind nicht die ein, zwei Highlights pro Saison, die Oper machen und mit welchen sich die Direktoren schmücken, es sind die vielen Repertoirevorstellungen, und wenn die nicht stimmen, dann ist es schlecht um das Genre bestellt. Das Repertoire wird immer mehr verzerrt. EH