"FALSTAFF" - 4. November 2003

WELCH EIN STIMMFEST! Meine Erwartungen waren ja durch die Lobeshymnen der Presse nach der Premiere und einige Berichte aus dem Freundeskreis sehr hoch gesetzt und sind diesmal auch nicht enttäuscht worden. Ich kann, muß mich dem allgemeinen Lobgesang nur anschließen.

Marc Arturo MARELLI für Inszenierung und Bühnenbild verantwortlich, hat dieses Mal eine pfiffige, bunte, schelmische Interpretation geliefert. Lediglich die Waldszene war mir zu spartanisch angelegt, und die Romantik ging hier leider verloren. Die einheitlichen Zaubererkostüme erinnerten noch dazu stark an Ku-Klux-Klan, also etwas eigenartig. Die Sänger sind sehr gut geführt, und deren Spielfreude so geweckt worden, daß der ganze Abend voller Überraschungen steckte.

Seit langem habe ich kein so perfektes Ensemble erlebt. Dennoch ragten zwei Sänger aus dem ohnedies schon sehr hohen Niveau nochmals heraus. Zu einem war dies der Falstaff Bryn TERFEL. Ich kannte ihn in dieser Rolle bereits von der Londoner Aufführung 2000, die auf DVD erhältlich ist, und in diesen drei Jahren und einigen „Falstaff“-Aufführungen mehr, hat er das Rollenverständnis noch enorm vertieft und verfeinert. Er spielt und singt den ganzen Abend auf höchster Ebene. Er gleitet nie in Überzeichnung ab, was ich früher schon mehrmals erlebt hatte, und seine bittere Enttäuschung über seinen Mißerfolg und den Ausflug in die Themse war so berührend, daß ein ausgereifter Bühnenschauspieler dies nicht besser bringen hätte können. Seine Stimme ist sicher, fulminant, dann wieder sanft und seine Diktion eine ganz außerordentlich präzise.

Und ihm steht Mr. Ford alias Carlos ALVAREZ in nichts nach. Sein kernige Stimme setzt er differenziert ein, rast vor Eifersucht, um sich dann schnell wieder zurückzunehmen und sanft und liebevoll zu werden. Er würde sich ja sonst verraten, und alles wäre vergebens. Ein ganz tolles Zusammenspiel mit Falstaff in der Szene, wo er diesen „engagiert“, und brillant seine Arie des eifersüchtigen Ehemannes.

Ich bleibe gleich bei den anderen männlichen Interpreten. Rainer TROST, schönstimmig, nett aussehend, mit klaren Höhen ist ein Fenton zum Verlieben. Die beiden Handlanger von Falstaff Bardolfo und Pistola Herwig PECCORARO und Alfred SRAMEK. Beide Künstler sind das, was man Stützen des Hauses nennt. Beide stets mit vollen Einsatz auf der Bühne und werden oft nicht entsprechend beachtet. Falstaffs Spießgesellen werden auch zum optischen Spiegelbild des Herren gemacht und sind köstlich präsent - eine erste Besetzung. Der letzte im Bunde Michael ROIDER als Dr. Cajus, mit frischer Stimme, ein Schatten von Ford, damit dieser ihm ja nicht wortbrüchig werde und ihm Nanettas Hand gewiß bleibt. Und doch er bleibt auf der Strecke. All dies ist gut dargestellt.

Das Damen Quartett wurde stimmlich angeführt von Mrs. Quickley alias Jane HENSCHEL; der weibliche Falstaff zieht auch gerne ihre Fäden. Ihr Alt ist zwar nicht ganz so profund, wie manche ihrer Vorgängerinnen, aber sie spielt so köstlich, daß man dieses kleine Manko - oder vielleicht auch nur persönliche Vorstellung - gerne in Kauf nimmt. Krassimira STOYANOVA (Mrs. Alice Ford) als jene Dame, die sozusagen Falstaff liebestoll und den Ehemann vor Eifersucht rasen läßt, singt sehr differenziert und läßt der Koketterie freien Lauf.

Nanetta und Meg Page sind bereits nachbesetzt. Nanetta Bori KESZEI hat ein angenehme, gut geführte Stimme und ist auch optisch ein nettes Mädchen zum Verlieben. Meg Pag übernahm Nadia KRASTEVA und debütierte an diesem Abend in der Rolle in Wien. Ebenfalls eine attraktive Erscheinung, angenehme Stimme und wie alle anderen Interpreten mit größter Freude auf der Bühne.

Fabio LUISI am Pult führte das ORCHESTER gut und war den Sängern ein guter Partner. Die Musik perlte knappe drei Stunden ungetrübt, wurde nie langweilig, und dies obwohl das Alterswerk Verdis ja eigentlich keine richtigen großen Arien hat. Man bedauerte sogar, daß der Vorhang zufiel. Fast hätte man auch noch einen zweiten Durchgang ein BIS gewünscht. Ein wohl seltener Wunsch, wenn nicht sogar höchst ungewöhnlich. Aber auch das ist möglich. EH