Freilufttheater
ist im Sommer ausgesprochen beliebt, in mitteleuropäischen Breiten aber
auch immer ein witterungsbedingtes Vabanquespiel. Doch der Wettergott
meinte es gut mit der Opera na Zamku, und so ging der Premierenabend der
aktuellen Operettenneuproduktion wenn auch etwas kühl, zumindest trocken
über die Bühne.
Die
Grundidee dieser Produktion ist wirklich gut. Emmerich Kálmáns Operette
"Gräfin Mariza" spielt um das Jahr 1924. Weshalb also nicht auch das Lebensgefühl
der zwanziger Jahre auf die Bühne bringen? Mariza ist Mittelpunkt der
mondänen Gesellschaft. Ihre Freunde aus der Theater und Cabaret umgebenen
Welt folgen ihr auf ihr Landgut, und die heile Welt aus traditionellem
Landleben, Zigeunermusik und Csárdás-Seligkeit trifft damit auf dieses
so andere neue Lebensgefühl mit allen seinen Facetten kulturell
wie sexuell.
Während
auf der Bühne eher Minimalismus mit vielen künstlichen Nebelschwaden und
einigen, zum Teil ausgesprochen fantasievollen Requisiten auf der Tagesordnung
stand, war Mehr Farbe! eindeutig das Motto für die Kostüme (Bühnenbild
und Kostüme: Martyna KANDER). Besonders prachtvoll waren die Gewänder
für die Gräfin selbst, wenn sie auch für eine andere Sängerin gemacht
zu sein schienen.
So
gut die Idee, so problematisch teilweise die Umsetzung. Regisseurin Natalia
BABINSKA versucht, den Spagat zwischen unterhaltender Operette und sanfter
Modernisierung, wobei Spaß auf der Bühne und für das Publikum ganz klar
im Vordergrund stand.
Leider
geht vor lauter Albernheit bei einigen Figuren der Fokus komplett verloren.
Daß Liebenbergs (Janusz LEWANDOWSKI) Exzentrik durch sein Erscheinen mittels
vorsintflutlichem Fluggerät und Kolomán Zsupáns fremdartige Herkunft mittels
Anreise auf einem fliegenden Teppich verdeutlicht werden, ist durchaus
rollenkonform und witzig, doch daß Zsupán ausschließlich durch komplettes
Geblödel charakterisiert und Lisa als ich-bezogener, ausschließlich spaßorientierter
Teenager hingestellt wurde, stahl dem zweiten Paar des Stücks viel
Charakter und Geschichte. Schade, denn Piotr ZGORZELSKI sang seine Rolle
nicht nur ausgesprochen schönstimmig und mit viel Verve, sondern bewies
auch einiges an tänzerischem Talent. Und auch Ewa OLSZEWSKA kann deutlich
mehr als ihr hier zugetraut wurde. Ihre Lisa wirkte so aber ausschließlich
flatterhaft. Weshalb Tassilo besorgt ist, daß seine Schwester hinter den
wahren Grund seiner Maskerade kommt, blieb offen. Dieser Lisa wäre vermutlich
ohnehin nichts aufgefallen.
Tomasz
LUCZAK versuchte sein Bestes, als Fürst Populescu jenes frivole Spiel
zwischen den Welten auf die Spitze zu treiben, punktete dann aber eher
stimmlich als beim Schwingen der Reitgerte. Für Manja hatte man besonders
tief in die Kostüm- und Make up-Klischeekiste gegriffen, was Malgorzata
KUSTOSIK allerdings nicht davon abhielt, mit ihrer kleinen Rolle gerade
stimmlich viel Effekt zu machen. Adam JELEN war als Tschekko ein grandioser
Szenendieb, und im letzten Akt sorgten Gabriela ORLOWSKA-SILVA als Fürstin
Guddenstein sowieso Wieslaw LAGIEWKA als Penižek für jene Lacher, die
tatsächlich von Herzen kamen.
Herz
fehlte einem bei der Mariza des Abends. Joanna TYLKOWSKA-DROZDZ wirkte
stimmlich und auch in der Darstellung eher bemüht denn wie die junge,
lebenslustige Gräfin. Die so unbedingt notwendige Leichtigkeit vermißte
man schmerzlich. Kurz, man hatte eher den Gedanken an eine ungarische
Variante von "Sunset Boulevard" denn an Kalmans Operette.
Wenig
Zauber dort, umso mehr dafür beim Partner. Pawel WOLSKI formte den Charakter
mit einer sorgsam ausgewogenen Mischung aus Tragik und Überschwang und
war stets präsent. Es gab kein Ausruhen für die großen Nummern der Partie,
und trotzdem klang seine Stimme, die mit ihren vielen Klangfarben und
Nuancen perfekt zu Kálmáns Tassilo paßt, am Ende ebenso frisch wie zu
Beginn des Abends. Ob gespielt oder schlicht echte Freude an der Partie,
es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören.
Der
CHOR der Opera na Zamku (Leitung: Malgorzata BORNOWSKA) war ausgesprochen
gut disponiert und mit viel Spielfreude dabei. Egal, ob als Hintergrundstaffage
oder beim großen Auftritt, den Damen und Herren zuzusehen/-hören, war
Spaß pur.
Größtes
Manko der Produktion waren die Tanzszenen. Angekündigt als Choreografie
mit Energie ähnlich der in Videos und auf Konzerten von Beyoncé oder Pina
Bausch, was man an der Arbeit der Choreografen Karol URBANSKI und
Jirina NOWAKOWSKA in Teilen durchaus zuordnen konnte, wirkten BALLETT
und Statisterie über weite Strecken unkonzentriert, ja sogar ungeprobt,
und so tanzt auch in Szczecin im Musiktheater der Chor anscheinend besser
als die für den Abend verpflichteten Tänzer. Einzige Ausnahme war jene
junge Dame, der man die Funktion einer Fee (?) zugedacht hatte,
die mit großer Anmut und Unbeschwertheit über die Bühne schwebte.
Ein
wahrer Meister seines Fachs ist Dirigent Jerzy WOLOSIUK, der den Abend
mit viel Gespür für die Musik und deren Entstehungszeit leitete. Er schlug
den Bogen zwischen Stück und Produktion, wo es sonst vielleicht mehr geholpert
hätte. Unter dem Motto Schmelz statt Schmalz spielte das ORCHESTER mit
hoher Professionalität, ohne dabei den Schwung für die leichte Muse außer
acht zu lassen. Neben den Musikern auf der Bühne klangen auch ihre Kollegen
auf der Bühne in Gestalt der Zigeunerkapelle tadellos. Solo-Violinist
Misza TSEBRIY beeindruckte hier nachhaltig. Orchestral war das Operette
ganz dicht an der Perfektion. AHS
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