Tschaikowskys
Vertonung des Puschkinschen Versromans steht auf der Liste unserer Lieblingsopern
recht weit oben. Die Szczeciner Opera na Zamku (Oper im Schloß) zeigt
das Werk derzeit in einer Koproduktion mit der Oper Kaliningrad.
Ein
kleines Abenteuer war die Kartenbestellung, da die Website des Hauses
nur auf Polnisch verfügbar ist. Mittels Onlineübersetzer und vor allem
dank der guten Menüführung gelang dies aber schließlich problemlos. Schwieriger
war, daß in Szczecin momentan nicht im namengebenden Schloß gespielt wird,
sondern, da dieses gerade renoviert wird, in einer Leichtbauhalle am anderen
Ufer der Oder. Der entsprechende kleine Hinweis auf der Website war leicht
zu übersehen, und so herrschte erst einmal Verwirrung beim Versuch, die
Karten an der Kasse im Schloß, die nicht auffindbar war, abzuholen.
Die
genannte Leichtbauhalle ist recht komfortabel eingerichtet, besitzt aber
eben auch alle akustischen Nachteile, die so ein Ort mit sich bringt (laute
Lüfter, Straßenlärm, hohe Decken etc.). Sänger und Orchester schlugen
sich in diesem Punkt aber durch die Bank weg wacker.
Rodion
POGOSSOV in der Titelrolle, auf den Plakaten groß herausgestellt, fügte
sich ohne weiteres ins Ensemble ein. Daß Tatjana (und ihre Mutter!) diesem
Onegin sofort verfällt, ist nachvollziehbar. Mit Eleganz wird die Stimme
in den ersten fünf Bildern geführt, um dann den emotionalen Zusammenbruch
der letzten beiden Bilder umso stärker zu durchleben. Das Duett mit Lenski
vor dem Duell war ebenso tränentreibend wie das Finale. Darstellerisch
fand der Bariton genau die richtige Balance, so daß die Figur trotz der
Arroganz nicht gänzlich unsympathisch wurde. In der Arie im dritten Bild
glaubt oder hofft man selbst als des Stückes kundiger Zuschauer durch
die hier geradezu ideale Verbindung von Stimme und Spiel für einen kurzen
Moment mit Tatjana zusammen, er würde um sie anhalten.
Zwei
Rollen waren an den beiden Abenden unterschiedlich besetzt, was interessante
Vergleiche ermöglichte. Bei der Besetzung der Tatjana war der Unterschied
eklatant. Am Premierenabend sang Joanna TYLKOWSKA die Partie. Sie verfügt
zwar über die nötige Stimmkraft und auch über entsprechende Farben in
der Stimme, wirkte aber in ihrer Interpretation übermäßig bemüht bis desinteressiert.
Gab sie sich in den übrigen Szenen bereits relativ statuarisch, nahm ihre
Gestik während der Briefszene beinahe operettenhafte Züge an. Ebensowenig
vermochte sie die Wandlung Tatjanas zur Fürstin zu vermitteln. Auch stimmlich
wirkte sich dieser Mangel an natürlichen Emotionen aus, so daß man schwer
nachvollziehen konnte, was Onegin in dieser Person eigentlich sah.
Ganz
anders zeigte Jekatierina FEOKTISTOWA Tatjana. Man sah und hörte am zweiten
Abend eine lebendige junge Frau, die gleichen Gesten kamen natürlich,
und im dritten Akt, als Fürstin, gab die Sängerin ihrer Stimme sogar eine
andere, dunklere Färbung. Problematisch war hier, daß bei aller darstellerischen
wie gesanglichen Lebendigkeit hörbar war, daß die Stimme - vor allem in
dieser hallenartigen Umgebung - für diese Partie noch nicht gereift genug
ist. Man fürchtete im ersten Akt ein wenig, ob die Kondition tatsächlich
für den Auftritt am Ende der Oper ausreicht, und zeitweise mußte man recht
genau hinhören, um auch keinen Ton zu verpassen. Ohne Zweifel jedoch ist
Jekatierina Feoktistowa eine Tatjana, die man in fünf, acht Jahren unbedingt
noch einmal hören möchte. Nicht ganz so augenscheinlich waren die Unterschiede
bei Olga.
Malgorzata
KUSTOSIK, die Sängerin des ersten Abends, besitzt unbestritten die größere
dunklere Stimme, die eigentlich über diese Partie auch weit hinaus ist.
Im Spiel war sie hin und wieder etwas zu aufdringlich, was der Regie geschuldet
sein mochte, scheint diese Tochter Larinas doch als ein Art Ebenbild Lydia
Bennets ("Pride & Prejudice") angelegt zu sein. Jekatierina BAJEWAs Interpretation
wirkte hier dezenter. Ihre Stimme klang leichter, der Rolle mehr angemessenen,
ohne daß von der Intention des Charakters etwas verloren ging. Leider
setzte sie wiederholt ein penetrantes Lachen ein, was zunehmend irritierend
wirkte.
Daß
Pawel WOLSKI an beiden Abenden (am zweiten wohl ungeplant) Lenski sang,
war höchst erfreulich, ist der Tenor doch die eigentliche Entdeckung unserer
Reise. Seine lyrische Stimme klingt ausgesprochen schön, verfügt aber
auch über die notwendige Präzision und Kraft, um z.B. im Konflikt mit
Onegin während Larinas Ball problemlos zu bestehen. "V vashem dome" war
ein gesangliches Meisterstück, und Lenskis Arie klang gerade in der Schlichtheit,
mit der sie gesungen wurde, überaus berührend. Zu dieser stimmlichen Glanzleistung
kam eine ausgewogene Rolleninterpretation, die den Charakter des Dichters
mit all seinem Überschwang, seiner Tragik perfekt zeichnete.
Jekatierina
OBLEZOWA (Larina), die gemeinsam mit Wieslaw LAGIEWKA (Guillot) auch als
Regieassistenz fungierte, spielte glaubwürdig eine emotional instabile
reifere Frau und sang rollendeckend. Maria GERASIMOWA wirkte als Filipiewna
derart alt und verhutzelt, daß man kaum glauben mochte, daß tatsächlich
die junge Frau vom Foto im Programmheft dahinter steckte. Ihre Stimme
klang jedoch weder alt, noch verhutzelt, sondern warm und rund.
Baßtechnisch
wußten beide Abende nicht recht zu beglücken. Janusz LEWANDOWSKI klang
bei seinen kurzen Auftritten als Gremin recht unschön, insbesondere das
Gefühl für Sprache und Stimmfarben schien ihm abzugehen. Die Arie schien
leider überhaupt kein Ende nehmen zu wollen. Miroslaw KOSINSKI polterte
als Saretzki mehr als er sang.
In
den kleineren Rollen ergänzten Piotr ZGORZELSKI als ziemlich unlustiger
Triquet, Michal MARSZALEK (Hauptmann) und Marcin SCECH (Dorfbewohner,
spanischer Botschafter).
Der
CHOR machte seine Sache ordentlich, auch wenn hier mit einer aktiveren
Chorregie noch mehr vorstellbar wäre. Allgemein war die Sprachbehandlung
in fast allen Partien und auch beim Chor höchst erfreulich.
Das
ORCHESTER konnte einem größtenteils nur leid tun. Bei einem Dirigat wie
dem von Frank ZACHER verbietet sich eigentlich eine Kritik über die Leistung
des Orchesters; es hatte einfach keine Chance. Wir haben selten ein spannungs-
und seelenloseres Dirigat gehört als dieses. Bar jeder Gefühlsregung,
rücksichtslos in den teilweise vollkommen willkürlichen Tempiwechseln
gegenüber den Sängern, war das, was aus dem improvisierten Orchestergraben
kam, der Tiefpunkt des Abends.
Die
Inszenierung spielte in einen Einheitsbühnenbild (Igor NIEZNYJ), dessen
ländliche Idylle vorgaukelndes Gestrüpp und die davor plazierten Möbel
zwar gut zu den ersten beiden Akten paßten, die dahinter stehende Bilderwand
mehr zum letzten Akt. Die Kostüme wurden dem Stück gemäß gewählt und waren
durchweg kleidsam.
Die
Regie (Dmitr BERTMAN) zeigte einige recht interessante Ansätze, die aber
teilweise totgeritten wurden. So zeigt sich Larina ganz und gar unzufrieden
mit ihrem Leben auf dem Landgut. Sie trauert ihrer Jugend nach und versucht
für Olga, die ihr so sehr ähnelt, das Leben herbeizuführen, das sie selbst
bei ihrer Heirat verloren hat. Die beinahe ins Extreme getriebene Ähnlichkeit
von Larina und Olga in Benehmen und Erscheinung paßt hier sehr gut. Tatjana,
der verträumte Bücherwurm, bleibt außen vor, scheint sie sich doch dem
Landleben anzupassen. Der Reichtum der Familie wird mittels eines während
des ersten Aktes permanent herumgereichten Honig(?)-Topfes demonstriert.
Spätestens nach dem dritten Mal ist man dieses Symbols überdrüssig.
Diskussionswürdig
war, daß Lenski nicht von Onegin erschossen wird, sondern sich selbst
tötet, was insoweit konsequent war, daß in dieser Deutung Lenski permanent
zu spüren bekommt, für eine Tochter der Larina nicht gut genug zu sein.
Wirklich
störte, daß es zwischen den einzelnen Szenen innerhalb der Akte keine
Chance zum Innehalten gab. Szene folgte augenblicklich auf Szene, ob sie
nun zusammenhingen oder nicht. Unbeantwortet blieb zudem, weshalb Onegin
während der gesamten Aufführung im Schaukelstuhl auf der linken Bühnenseite
Platz nehmen muß. Da er das mit dem Rücken zu Publikum tut, "kommentiert"
er seine Gedanken zu dem Geschehen hin und wieder maximal durch mehr oder
wenige starke Schaukelbewegungen. Es mag sein, daß die Geschichte damit
in der Rückschau als Erinnerung Onegins erzählt werden soll, ob dem tatsächlich
so ist, blieb aber offen.
Neugierig
auf weitere Produktionen der Opera na Zamku machten diese Abende in jeden
Fall. Es kommt ein wenig auf das zukünftige Programm an, aber wahrscheinlich
sind wir nicht zum letzten Mal in Szczecin gewesen. MK & AHS
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