Als
ich mich entschloß, in Frankfurt/Main eine Oper zu sehen, konnte ich eigentlich
nur mit einem einzigen Namen etwas anfangen: Hans NEUENFELS. Und dieser
hat mit seinem Hamburger "Fidelio" nicht gerade darum gebettelt, sich
noch eine Regie von ihm antun zu müssen.
Er
inszenierte dort "Oedipe" von George Enescu (1881-1955), ein rumänischer
Komponist, der früh nach Paris auswanderte und unter anderem Yehudi Menuhin
unterrichtete. Aufgrund zahlreicher anderer Tätigkeiten dauerte die Komposition
zehn Jahre. Uraufgeführt wurde sie fünf Jahre nach ihrer Fertigstellung
1936 in Paris in französischer Sprache. Musikalisch ist sie sehr in der
slawischen Spätromantik verwurzelt und verweist auch schon in die Moderne.
Insgesamt ein sehr hörenswertes, wenn auch nicht allzu leichtes Stück.
Vertont
wurde der Ödipus-Mythos: Dem gerade geborenen Sohn vom thebanischen Königspaar
Laios und Jokaste wird prophezeit, daß er einst seinen Vater umbringt
und seine Mutter heiratet. Ein Hirt gibt ihn entgegen der Anweisung, ihn
auszusetzen, dem korinthischen Königspaar Polybos und Merope. Einige Jahre
später erschlägt Ödipus einen Mann, von dem er nicht weiß, daß es sein
Vater ist. Außerdem besiegt er die Sphinx, wodurch er König von Theben
wird und die verwitwete Jokaste heiratet. Wieder einige Jahre später wütet
die Pest in Theben. Laut Prophezeiung soll diese erst dann verschwinden,
wenn der Mörder von Laios gefunden wurde. Als er herausfindet, daß er
es war, blendet sich Ödipus und flieht mit seiner Tochter Antigone. (Sie
gelangen nach Athen. Nach einer kurzen Geiselnahme von ihr durch den Bruder
von Jokaste Kreon, wird ihm von König Theseus Asyl gewährt.)
Gespielt
wurde die um den 4. Akt (den Teil in Klammern) gekürzte Version in der
eigens für die Frankfurter Produktion angefertigten deutschen Übersetzung
des dortigen Dramaturgen Henry Arnold. Auch wenn ich zugeben muß, daß
ich die Argumente für die Streichung durchaus nachvollziehen kann und
die deutsche Sprache sehr gut paßt: Ich möchte die Stücke bitte in der
Originalsprache und ungekürzt sehen!
Aber
das war dann doch das geringste Übel. Im Interview, das im Programmheft
zu lesen ist, äußert Neuenfels viele sinnvolle Gedanken. Der Ansatz, daß
ein Archäologe bei Ausgrabungen auf Relikte stößt, sich in die Story hineinziehen
läßt und so selbst zu Ödipus wird, ist durchaus gut gelungen, aber der
Rest erschließt sich mir so gar nicht. Weshalb trägt Kreon ein Kleid?
Warum trägt der Hirte ein Schafskostüm? Warum sind die Wärter der Sphinx,
die häufig zu sehen sind (und somit wohl als Handlanger dieser arbeiten),
Punks? Warum hat die (weibliche) Sphinx einen Penis, an dem sich die Titelfigur
oral verlustiert? Muß Laios wirklich seinen Sohn anpinkeln, damit selbiger
die Motivation hat, den Urinierenden zu erschlagen? In einer reinen Chorszene
steht Ödipus vor selbigem und gestikuliert so, als würde er sprechen.
Welchen Anhaltspunkt gibt es, daß er an einer Stelle nicht gehört wird,
und muß man das echt so machen? So viele Fragen und so wenig Lust, darauf
eine Antwort zu finden...
Das
Bühnenbild von Rifail AJDARPASIC wird bestimmt von großen Tafeln, auf
die viele Formeln geschrieben sind und an die Texte (in der Sphinx-Szene
die Übertitel) projiziert werden. Elina SCHIZLER entwarf die Kostüme,
die im großen und ganzen gut passen mit Ausnahme des Kleides für Jokaste
in ihrer letzten Szene, welches vermutlich der wahre Grund dafür ist,
daß Ödipus sich geblendet hat...
Simon
NEAL in der Titelrolle, welche auch die einzige wirkliche Hauptrolle ist,
absolvierte die anspruchsvolle Partie ohne Fehl und Tadel, allerdings
war seine Interpretation mir zu unsympathisch, so daß es schwer fiel,
Mitgefühl für ihn zu empfinden. Abgesehen von der Tötung seines Vaters
(bzw. aus seiner Sicht des Fremden, der ihn angepinkelt hat) macht er
ja nichts Unrechtes.
Ein
sängerisches Highlight war Tanja Ariane BAUMGARTNER (Jokaste), der insbesondere
in der Szene mit ihrem Bühnensohn eine sehr eindringliche Darbietung gelang.
Der zweite Höhepunkt war Kihwan SIM als Phorbas, welcher mit seinem herrlich
strömenden Baß Ödipus einen väterlichen Freund darbot.
Bei
Magnus BALDVINSSON (Tiresias) habe ich ein wenig die "Mystik" für seine
Prophezeiungen vermißt. Dietrich VOLLE (Kreon), Michael MCCOWN (Hirte)
und Hans-Jürgen LAZAR (Laios) sangen grundsolide ohne sonderlich aufzufallen
ebenso wie Vuyani MLINDE als Hohepriester. Andreas BAUER konnte als Wächter
der Sphinx einen positiven Eindruck hinterlassen.
Selbige
wurde von Katharina MAGIERA durchweg überzeugend gesungen. Britta STALLMEISTER
ließ als Antigone aufhorchen. Schade, daß sie sich im 4. Akt nicht mehr
profilieren konnte... Jenny CARLSTEDT (Merope) ergänzte solide.
Am
Dirigat von Alexander LIEBREICH gibt es wenig zu beanstanden. Er hatte
das FRANKFURTER OPERN- UND MUSEUMSORCHESTER stets gut im Griff. Ich hätte
mir jedoch etwas mehr Dynamik gewünscht. Es wirkte ein wenig statisch.
Der CHOR und EXTRACHOR DER OPER FRANKFURT unter Matthias KÖHLER absolvierte
seinen Part schlichtweg grandios. WFS
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