Das
Mariinsky-Theater aus St. Petersburg gibt sich die Ehre einer Gastspielreihe
in Frankfurt mit den großen Highlights der russischen Opernliteratur.
Eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen kann.
Da
der große Saal der Alten Oper ein reiner Konzertsaal ist, wurde die Oper
konzertant aufgeführt. Die Einzige, die so etwas wie Kostüme trug, war
Lisa, deren Kleider von Akt zu Akt auffälliger wurden. Die Dramatik bleibt
in so einer Aufführung leider ziemlich auf der Strecke. Zwar erwiesen
sich einige der Sänger als ausgezeichnete Schauspieler, aber grade die
Todesszenen waren so unspektakulär, dass man sich stellenweise fragte,
wann und warum genau z.B. die alte Gräfin überhaupt starb.
Das
ORCHESTER DES MARIINSKY-THEATERS unter der Leitung von Valery GERGIEV
schien eine große Freude daran zu haben, endlich einmal nicht im Orchestergraben
zu sitzen. Ich bin wirklich nicht sicher, ob es am Saal oder am Orchester
liegt, aber ich habe selten ein so klares Opernorchester gehört. Der Chor
(Einstudierung: Andrei PETRENKO) und Kinderchor (Dmitry RALKO) konnten
ebenfalls brillieren. Außerdem macht es unglaubliche Freude, Gergiev beim
Dirigieren zuzusehen, da er jeden Ton mit den Fingern zu formen scheint.
Die
kleinen Rollen waren durchgängig gut besetzt: Olga TRIFONOVA (Chloe),
Elena VITMAN (Gouvernante), Maria UVAROVA (Masha) und Alexei TANOVITSKI
(Narumow) ließen alle nichts zu wünschen übrig. Nikolai GASSIEV als Tschaplitzky
und der Festordner fiel vor allem als Letzterer positiv auf.
Sergei
SEMISHKUR als Tschekalinsky und Yuri VOROBIEV als Surin spielten die spöttischen
Kommentatoren so überzeugend, daß einem Herrmann allein schon wegen der
Wahl seiner Freunde leid tun konnte. Auch sängerisch bildeten die beiden
eine Einheit.
Alexandrs
ANTONENKO als Hermann enttäuschte leider stellenweise ein wenig. Einige
Momente gab es, in denen er im Orchester unterging; er blieb selbst für
eine konzertante Aufführung zu steif. Nur sein Gesang vermochte größtenteils
zu bewegen, auch wenn ich das Gefühl nicht loswerde, daß er mehr als einmal
aus der Rolle fiel; so unbewegt, wie er manchmal sang.
Ekaterina
SEMENCHUK als Polina und Daphnis glänzte vor allem als Erstere im zweiten
Akt, sowohl im Duett als auch in der Soloromanze. Erfreut habe ich mich
am meisten am Klang ihrer glatten und recht weichen Stimme. Auch schauspielerisch
fiel sie auf; gerade neben einer hoffnungslos überdramatischen Lisa.
Vladimir
MOROZ spielte und sang den Fürsten Jeletzky so kalt wie sein Nachname.
Sängerisch wußte er zu beeindrucken; gerade Herrmann war im letzten Akt
neben ihm ein wenig verloren. Man fragt sich schon, warum Lisa ihn nicht
dem ewig mißgelaunt schauenden Hermann vorzog.
Maria
GULEGHINAs Lisa klang schon ein wenig zu dramatisch und erwachsen für
das junge Mädchen, das sie darstellen sollte. Ich muß zugeben, daß mich
ihr überdramatisiertes Operndiva-Gehabe und ihre scheinbare Lieblingsgeste
(Hand aufs Herz mit schmachtendem Gesichtsausdruck) vor allem amüsierte,
und es mir teilweise schwer machte, sie ernst zu nehmen. Ihr ausdrucksstarker
Gesang machte das jedoch wieder wett.
Nikolai
PUTILIN als Graf Tomsky und Plutus fiel vor allem als der beste Schauspieler
des Abends auf. Sowohl sein Verhältnis zu Herrmann als väterlicher Freund
wie auch seine leicht ironische Erzählung im ersten Akt waren sehr überzeugend.
Aber auch sängerisch konnte er begeistern, und seine Erzählung über die
Geschichte der alten Gräfin gehörte zu den absoluten Höhepunkten und erhielt
sehr verdienten Szenenapplaus.
Die
größte Freude des Abends war jedoch sicherlich Irina BOGACHEVA als die
alte Gräfin. Sie spielt die alte Dame einfach und ohne Schnickschnack,
aber gerade dadurch mit einer gewissen Würde. Den Hausdrachen gegenüber
den Dienstboten konnte ich ihr allerdings nicht so ganz abnehmen. Musikalisch
war sie nah an perfekt; gerade in dem französischen Lied gelang es ihr
eine Spannung aufzubauen, die man darin kaum vermutet.
Meine
hohen Erwartungen an dieses renommierte Opernhaus wurden nicht enttäuscht,
und abschließend kann ich nur sagen, daß sie gerne etwas länger hätten
bleiben können. NG
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