Wenn
ich von einer Oper Albträume bekomme, dann ist das zumindest ein Beweis,
daß es sich um einen eindrucksvollen Abend handelte. Aber wenn ich mir
meine abgekauten Fingernägel ansehe, dann wünsche ich mir fast die Handlungsstränge
der romantischen Oper zurück. Ich muß zugeben, daß es sich um meine erste
Erfahrung mit Zwölftonmusik in der Oper handelt, aber diese Musik scheint
für Spannung geradezu wunderbar geeignet zu sein.
Bei
den Opern handelt es sich um zwei Einakter; "Volo di notte" (Nachtflug)
basiert auf dem gleichnamigen Roman von Antoine de Saint-Exupéry und handelt
von Rivière, dem Leiter eine Kurierfluggesellschaft, der im Namen des
Erfolgs und des technischen Fortschritts Nachtflüge einführt und seine
Piloten trotz eines aufziehenden Sturms starten läßt. Den frisch verheirateten
Fabien kostet dies das Leben; sein Absturz wird von Rivière und seinen
Angestellten per Funk mitverfolgt. Trotzdem will dieser nicht einlenken
und hält an seinen Methoden fest.
Die
Handlung von "Il prigioniero" (Der Gefangene) stammt aus Auguste Villier
de l'Isla-Adams Geschichtensammlung "Nouveaux contes cruels" (Neue grausame
Geschichten), genauer aus der Geschichte "La torture par l'espérance"
(Die Folter durch Hoffnung), in der einem zum Tode verurteilten Gefangenen
durch den Kerkermeister scheinbar Hoffnung auf Flucht gemacht wird. Diese
endet jedoch direkt außerhalb der Mauern des Gefängnisses. Der Gefangene
erkennt, daß diese falsche Hoffnung die letzte Folter war, die man ihm
vor seiner Hinrichtung antat, und läßt sich gebrochen zum Scheiterhaufen
führen.
Die
Inszenierung der beiden Opern (Keith WARNER) hat wenig miteinander gemein.
"Volo di notte" spielt in einem Bühnenbild (Kaspar GLARNER), daß Flugplatz,
Funkturm und Rivières Büro geschickt vereint. Eine Bucht mit direkt dahinter
beginnender Berglandschaft als Hintergrund zeigt, in verschiedenen Farben
beleuchtet, die Tageszeit und Wetterlage. Sich langsam nähernde Scheinwerfer
deuten das landende Flugzeug an; ein Effekt, der wirklich gut funktioniert
hat. Das Fragwürdigste an der Inszenierung ist noch, daß alle Personen
stellenweise Vogelkopf-Helme aufsetzen (Kostüme: Nicky SHAW) , vor allem,
wenn sie Rivière kritisieren wollen. Da der einzige Vogelkopf, den ich
sicher identifizieren konnte, zu einem Pinguin gehörte, sollte Rivière
wohl als flugunfähig bezeichnet werden. Trotzdem will mir nicht so ganz
in den Kopf, was diese Köpfe da zu suchen hatten.
Aufregender
ist da schon die Inszenierung von "Il prigioniero". Die Bühne wird nur
selten ganz gezeigt; die halbzugezogenen Vorhänge begrenzen seitlich und
von oben die Sicht. Dahinter ist meist nur ein weißer Raum mit einem Loch
in der Decke zu sehen. Es beginnt also im Haus der Mutter; ein Sofa, ein
Stuhl, der Fernseher läuft, und die Glühbirne brennt. Wie bei einem Bild
mit nur einigen kubistischen Elementen fällt erst auf den zweiten Blick
(oder noch später) auf, daß das Sofa zwei-dimensional ist. Es ist einfach
nur auf eine Pappe gemalt. Selbiges gilt für die Glühbirne. Beim Stuhl
(der auf seinen zwei vorderen Beinen balanciert) und dem Fernseher war
ich mir bis zum Schluß nicht sicher. Eine Tür führt in die Zelle des Gefangenen
- die bis auf Sofa und Fernseher genau so aussieht. Insgesamt folgen mindestens
elf solcher Räume aufeinander (könnte mich verzählt haben). Der Kerkermeister
führt den Gefangenen wie in dessen Fantasie durch die angrenzenden Räume,
während er ihm von der Rebellion gegen den König und die Inquisition erzählt.
Die Räume beinhalten in diesem Fall überdimensionale Gegenstände, die
mit der Erzählung zusammenhängen; wenn der Gefangene sie jedoch später
durchschreitet enthalten sie einen Friedhof, einen elektrischen Stuhl
und einen Tisch und zwei Stühle. Auch wieder erst das genauere Hingucken
zeigt, daß die in dieser Szene anwesenden Priester vor und nicht etwa
auf den Stühlen sitzen. Daß es sich bei den Stühlen um zweidimensionale
Objekte handelt, verrät er Gefangene leider in dem er sie umstößt. Schade,
ich hätte gerne weiter gerätselt. Ohne, daß ich es genau erklären kann,
ist der labyrinthische Eindruck stark und erhöht die Spannung - was mir
schon kaum mehr möglich schien…
Über
das Orchester (musikalische Leitung: Lothar ZAGROSEK) sowie den Chor (Michael
CLARK) fällt es mir wirklich schwer etwas zu sagen. Die noch ungewohnte
Zwölftonmusik läßt so vieles nach Fehler klingen, was wahrscheinlich keiner
war, weswegen ich mich auch mit Äußerungen dieser Art über die Solisten
zurückhalten werde. Überhaupt fällt es mir sehr schwer die musikalische
Qualität des Abends zu beurteilen.
Florian
PLOCK als Robineau überträgt die Schüchternheit seiner Rolle scheinbar
ein wenig auf seinen Gesang - er ist häufiger (nicht immer) zu leise und
wird vom Orchester übertönt. Ganz anders sein Freund Pellerin, dessen
stürmische Erzählung Michael McCOWN mit mitreißender Begeisterung vorgetragen
wird. Weder Dietrich VOLLE als Leroux, noch Pere LLOMPART, Pavel SMIRNOV,
Francisco BRITO und Sungkon KIM als vier Beamte oder TAINA PIIRA als eine
Stimme aus der Ferne fielen mir besonders auf. Peter MARSH stand als der
Funker auf einem hohen Turm und war daher meist eher schlecht einzusehen,
aber seine beeindruckend volle Stimme fiel doch auf.
Lionel
LHOTE als Rivière stellte dessen moralischen Konflikt überzeugend dar
und setzte mit erstaunlicher Geschwindigkeit die imaginäre Maske auf,
sobald andere Personen anwesend waren. Auch er fiel mit einer beeindruckend
wohlklingenden und kräftigen Stimme auf.
Marion
AMMANN sang als Signora Fabien und die Mutter als Einzige größere Rollen
in beiden Opern - Volle und McCown, die auch die Priester übernahmen,
blieben als solche eher unauffällig. Diese Entscheidung ist aufgrund der
Ähnlichkeiten der Situation der beiden Rollen leicht nachzuvollziehen.
Trotzdem gelang es Ammann, die zwei zu trennen und Signora Fabien eher
schüchtern und verängstigt, die Mutter am Rande von hysterisch darzustellen.
Passend zum Schauspiel überzeugt sie auch sängerisch.
Robert
HAYWARD spielte in der zweiten Oper einen verängstigten Gefangenen, aber
seine Darstellung zeigte auf angenehm subtile Weise, daß es ihm in den
Händen der Inquisition wohl nicht besonders gut ergangen war. Auch sein
Gesang hat etwas Eingeschüchtertes, ohne dadurch kraftlos zu wirken.
Etwas
an die Wand gesungen wurde er durch den ekelhaft undurchsichtigen Kerkermeister
bzw. Großinquisitor, alias Jeffrey FRANCIS. Sicherlich hat dieser in den
gemeinsamen Szenen etwas mehr Gelegenheit dazu, aber ihm gelingt auch
die Darstellung der Gemeinheit seiner Rolle noch etwas besser. Und das
wiederholte "Fratello" aus seinem Mund war schließlich allein ein Grund
für Gänsehaut.
Als
"angenehm" konnte man diesen Abend sicherlich nicht bezeichnen. Zu anstrengend
die Musik, zu verängstigend die Themen und zu nervenaufreibend die Kombination.
Aber spannend und beeindruckend war es wie wenig andere Opern und ich
werde ohne zu zögern die nächste Zwölftonoper ausprobieren, die mir über
den Weg läuft. NG
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