Das
Problem mit "Fidelio" ist wahrscheinlich, daß man nach fast 200 Jahren
zu einer durchaus beliebten Oper einfach keine Idee finden kann, die nicht
schon mal jemand gehabt hat. Und deshalb werden die Ideen immer seltsamer…
Die
Inszenierung von Hans HOLLMANN gibt mir vor allem das Gefühl, auf zu viele
Dinge gleichzeitig hinweisen zu wollen: Die Geschichte wird aus Marzellines
Sicht erzählt, von einer gealterten Marzelline (Helga L. SCHOON). Gut,
der Gedanke dahinter ist verständlich. Nicht verständlich ist, warum dann
Marzelline sämtliche Dialoge übernimmt, während sich die Sänger in Pantomime
versuchen, mit Potential zum Fremdschämen.
Sonst
ist die Aufführung größtenteils minimalistisch, die Bühne (Hans HOFFER)
fast immer leer; die Kostüme (Gera GRAF) passen so ungefähr in die Zeit.
Und genau weil der Großteil der Inszenierung so einfach und recht nah
am Text ist, stechen die paar Szenen, die es nicht sind, umso deutlicher
hervor.
Marzelline
und Jaquino legen am Anfang ein rotes Banner zusammen von der Sorte, in
deren Mitte man ein Hakenkreuz erwartet. Es findet sich dort allerdings
eine Raute. Moment, war nicht die Doppelraute das Zeichen von Napoloni
in "Der große Diktator"? Ich habe mir den Rest des Abends darüber den
Kopf zerbrochen, aber nichts davon wurde wieder erwähnt.
Die
Bühne ist meistens bis auf zwei Plattformen leer. Ausnahmen sind: erstens
ein riesiger Kubus, der hin und wieder auf die Bühne heruntergelassen
wird oder darüber hängt und als "Zelle" fungiert, und zweitens ein ebenfalls
wieder kubisches Gestell, das Florestans Zelle darstellt. Mit dem Eingeständnis
Hoffers, daß die Inspiration aus einem Traum kam, muß ich annehmen, dass
er vom Geometrieunterricht der 5. Klasse traumatisiert wurde.
Angeblich
aus demselben Traum stammt die Idee, daß die Gefangenen alle Brillen tragen,
in der man anscheinend nichts anderes sehen kann, als Schriftzüge (und
hinter denen sich wieder Kuben befinden…) Das Programmheft war so freundlich,
mir zu verraten, daß es dabei um Indoktrinierung gehe. Die Texte werden
in den passenden Stellen über die gesamte Bühne projiziert. Ungeschickt
dabei: Ausgerechnet der erste und damit einzige Satz, den mit Sicherheit
jeder liest, ist ein Koranzitat, daß zum Mord an "Ungläubigen" auffordert.
Auch die darauf folgenden Sätze haben alle einen religiösen Kontext und
bis die Sätze kommen, von denen sich jeder Zuschauer angesprochen fühlen
müßte, liest bestimmt kaum einer mehr mit. Kritisiert werden soll "Gedankenterror
durch Indoktrinierung", aber vom Gefühl her bleibt nur eine vage islamfeindliche
Aussage.
Mehr
oder weniger passend soll Florestans Zelle an Guantanamo Bay erinnern;
mich läßt sie mehr an Vierteilung denken: Florestan liegt auf dem Bauch
und die Seile, die seine Extremitäten fesseln laufen über die oberen Ecken
des Kubus ins Off und werden hin und wieder mal stramm gezogen. Programmheft,
Internetpräsenz etc. weisen ständig darauf hin, daß es eigentlich unmöglich
ist, in dieser Position zu singen und deshalb werde ich jetzt ein Spielverderber
sein und den Trick verraten: Florestan steht in einer Grube und die sichtbaren
Beine sind mehr als offensichtlich nicht seine und wahrscheinlich unecht…
Doch
apropos Singen: Evgenia GREKOVA als Marzelline (die Marzelline, die tatsächlich
singen darf) hatte ich nach dem ersten Duett schon abgeschrieben, da sie
und Jaquino offensichtlich einen "Von wem ist weniger zu hören"-Wettbewerb
abhielten. Dann verließ Jaquino die Bühne, und ich war sehr überrascht
festzustellen, daß der erste Eindruck täuschte. Sicher, kräftig und mit
dem passenden Gesichtsausdruck eines verliebten Mädchens bestritt sie
den Rest des Abends. Von Jonas GUDMUNDSSONs Jaquino war, wie schon angedeutet,
ausgesprochen wenig zu hören. Thomas DE VRIES als Don Fernando sang lauter,
aber auch ziemlich unauffällig.
Auch
Hye-Soo SONN als Rocco schien einige Probleme mit der Lautstärke zu haben,
besonders was die tieferen Töne angeht. Ich kann mich des Eindrucks nicht
erwehren, daß die Grenze seines Stimmumfangs erreicht war. Sein Schauspiel
schwankte zwischen "unüberzeugend" und "ganz anständig".
Zu
den größeren Enttäuschungen des Abends zählte Sinéad MULHERN als Leonore.
In allem was sie tut, scheint sie nur zwei Extreme zu kennen: Entweder
sie steht an einem Punkt und schwankt, als müsse sie Schiffsbewegungen
der Bühne ausgleichen, oder sie rennt umher wie ein aufgescheuchtes Huhn.
Entweder sie singt verständlich und wohlklingend, aber viel zu leise,
oder man hört tatsächlich etwas von ihrem Gesang, der dann aber gepreßt
klingt, mit unverständlichem Text und einem Vibrato passend zu den Bewegungen
des Schiffes, auf dem sie sich als Einzige zu befinden scheint. Der eine
oder andere Quietscher blieb uns gerade im zweiten Akt auch nicht erspart.
Nach
dem ersten Bild war ich ja schon kurz davor zu sagen, das Theater habe
ein Akustikproblem, oder das Orchester sei einfach zu laut, da die Sänger
so sehr in ihm untergingen. Doch dann betrat Joachim GOLZ als Don Pizarro
die Bühne. Nicht nur, daß ihm zum Hollywood-Piraten eigentlich nur ein
Hut mit einer großen Feder drin fehlte; er beherrschte daraufhin jede
Szene. Im Finale des ersten Aktes war er als Einziger über den Chor deutlich
zu hören und "Ha, welch ein Augenblick" reichte für Gänsehaut. Überhaupt
sorgt die Kombination seines starken Gesangs und überzeugenden Schauspiels
für eine gewisse Spannung, kaum daß er die Bühne betrat.
Thomas
PIFFKA ist nach Pizarro der Zweite, der keine Schwierigkeiten mit der
Lautstärke des Orchesters hat. Tatsächlich scheint ihm das Wort "piano"
sogar gänzlich unbekannt zu sein, aber viel Verwendung hätte er dafür
sowieso nicht. Seine Arie singt er ausgesprochen mitreißend, und daß er
an diesem Abend gegen Pizarro verliert, liegt vor allem daran, daß ihm
die Inszenierung wenig Raum für Schauspiel läßt.
Die
größte Beleidigung der Ohren war an diesem Abend der CHOR (Anton TREMMEL).
Während "Ha, welch ein Augenblick" habe ich vom Chor kaum etwas gehört,
und es wurde nicht besser. Schon der Anfang von "Oh welche Lust" war so
langweilig, wie ich nicht gedacht hatte, daß dieses Stück sein könnte,
und dann kam der Chor nach dem zweiten Solisten völlig aus dem Takt, und
es sah für mich danach aus, als ob der Dirigent schnipsen würde, um die
Aufmerksamkeit der Sänger wieder auf sich zu lenken. Danach gab es in
jeder Stelle, in der der Chor noch mal auftauchte, zahlreiche unsaubere
Einsätze.
Die
Chorsolisten machen es nicht besser. Der Erste, Patrick K. HURLEY war
auch der Erste, der völlig aus dem Takt geriet. Vom Zweiten, Martin STOSCHKA,
habe ich zwischen mangelnder Lautstärke und andauernder Empörung über
den Ersten Solisten wenig mitbekommen. Wenn Pizarro diesen Chor aufgrund
ihres Gesangs eingesperrt hat, wäre das keine "willkürliche Gewalt" sondern
Barmherzigkeit.
Den
Gegensatz dazu bildet das ausgesprochen saubere ORCHESTER, dirigiert von
Marc PIOLLET. Es tat mir wirklich leid, daß kein großer Umbau nötig war,
und wir daher nicht die 3. Leonoren-Ouvertüre zu hören bekamen.
Zwischen
seltsamer Inszenierung, katastrophalem Chor, Blendung durch die Pultbeleuchtung
des Dirigenten und meinen sich ständig darüber beschwerenden Nachbarn,
habe ich einen eher irritierenden Abend erlebt. Dank Piraten-Pizarro war
es das Ganze aber trotzdem wert. NG
|