Nach
dem Triumph von "Aïda" 1871 wollte sich Verdi zur verdienten Ruhe setzen
und von seinen Tantiemen leben. Er machte allerdings nach drei Jahren
eine Ausnahme: das "Requiem" für seinen Freund Manzoni - sozusagen als
Schlußstrich seiner Karriere und seines eigenen Lebens. Doch seine Freunde
Boïto und Ricordi wußten, dass man den greisen Meister von Roncole mit
Shakespeare aus seinem Pensionisten-Leben locken konnte. Nach vier Jahren
des Drängens Boïtos und ebenso vielen Jahren Arbeit Verdis wurde "Otello"
1887 an der Scala triumphal uraufgeführt. Und was selbst seine Freunde
nur zu träumen wagten, Verdi ging zwei Jahre später spontan auf ihren
Vorschlag ein, eine Komödie zu vertonen, "Falstaff" von Boïto aus Shakespeares
"Lustigen Weibern von Windsor" und "Heinrich IV" zusammen gebastelt.
"Falstaff"
wurde ziemlich rasch geschrieben und am 9 Februar 1893 an der Scala uraufgeführt.
Man überlege, Verdi hatte nur einmal, fünfzig Jahre vorher eine Komödie
vertont ("Il Giorno di Regno"), die ein totaler Flop war und nun mit fast
achtzig Jahren setzte er sich nochmals an seinen Tisch und schrieb diese
geistvolle, ganz andere und wohl reichste Partitur seines Lebens. Er wollte
sich nochmals messen und seine Erfahrung teilen. Kein Stretta-schmetternder
Tenor, keine tränenreiche Leonore, kein Bösewicht-Bariton, nein der Bariton
ist der Anti-Held schlechthin, dessen übergroßes Ego man nur belächeln
kann. Und Verdi leistete sich den Luxus, mit einer Fuge zu schließen:
"Tutta nel mondo e burla", ein burlesker, fast zynischer Abschied vom
Theater und seinem Schaffen. Welches Testament!
Die
Produktion in Toulouse ist zwar bereits zwanzig Jahre alt, hat aber den
großen Vorteil keinerlei Mätzchen zu frönen. Nicolas JOEL, der ehemalige
Direktor des Hauses und jetzt Chef der Pariser Oper, ist auch - oder vor
allem - ein weltweit bekannter, sehr erfolgreicher Regisseur. Seine Inszenierung
ist nun bei der 3. Wiederaufnahme und wird immer noch gefallen, dank seines
Assistenten Stéphane ROCHE, der alle Inszenierungen in Toulouse betreut.
Für die stilvollen Bühnenbilder und Kostüme zeichnete ein alter Mitstreiter
Joels, der italienische Ausstatter Carlo TOMMASI. Ein anderer Freund,
Vinicio CHELI, stellte die passende Beleuchtung bei.
Die
Handlung spielt im 16. Jahrhundert zu Shakespeares Zeiten - nicht in Sibirien
oder auf dem Mond. Das "Gasthaus zum Hosenband" ist eine stilisierte gotische
Halle, das Patrizier-Haus Fords zeigt ein Renaissance Stiegenhaus und
das Schlußbild spielt vor einer riesigen fünfhundertjährigen Eiche. Einige
geistvolle Ideen ergänzen das bunte Geschehen. Im 1. Bild packt Pistola
einfach eine der großen Bänke, um Dr. Cajus zu verprügeln. Kurz darauf
für "L'onore!", hebt Falstaff das Vorderteil des riesigen Gasttischs an
und läßt ihn wieder fallen - der Krach jagt den beiden Dienern erklärliche
Angst ein. Falstaffs feuerrotes Prachtkostüm, mit rotem Zylinder und Halskrause
ist prachtvoll. Die vier Damen sind in herrlichen stilvollen Kleidern
ebenfalls mit Halskrause gekleidet. Ford erscheint als Signore Fontana
in einem eleganten goldenen Kostüm mit einem Barett eines Lords. Eine
Augenweide! Zu
Beginn des 3. Akts zittert der triefende Falstaff in einem großen fetzigen
Handtuch und jammert, während seine Kleidung überall trocknet, u. a. seine
lange Unterhose auf einer Leiter rechts vorne. Sein - künstlicher - Wanst
prallt aus dem Lacken hervor und in seinem philosophischen Monolog "Mondo
reo!"reißt er sich seine grauen Haare vom Bauch - zum Schreien!
"Falstaff"
ist eine geistreiche Oper, die Erfahrung bedarf, kein Werk für Neulinge.
Die Sänger des Falstaff sind immer große Baritone über 50. Nun hat Alessandro
CORBELLI sich des Sir Johns angenommen. Im Gegensatz zu den meisten anderen
hat er sich als Don Pasquale, Dandini, Don Magnifico, Figaro, Malatesta,
Dulcamara, Bartolo, d. h. im komischen Fach einen großen Namen gemacht.
Hier konnte Corbelli zeigen, daß er nicht nur die leichten - sprich eher
blödelnden - Rollen beherrscht, sondern daß seine lange Erfahrung verschiedenster
Rollengestaltungen dem Falstaff in Stimme, Ausdruck und Spiel sehr zu
gute kommt. Corbelli ist ein Charakterbariton ganz großen Formats. Bereits,
als er zu Beginn "Un' acciuga!" im Falsett haucht, ist große Kunst. Sein
trockenes "No!" in "L'onore!" versteht keine Widerrede. Die hingeblätterte
Ariette "Quand' erro paggio" ist ein Spiel für Corbelli dank seiner phantastischen
Technik. Und das den ganzen Abend - hinreißend und philosophisch! Man
könnte sich vorstellen, daß Corbelli nun auch andere Rollen im Charakterbariton-Fach
singen könnte, warum nicht Posa, Atilla, die Dogen Foscari oder Boccanegra?
Das
Schöne an dem Abend war, dass nicht nur der Titelheld, sondern die gesamte,
internationale Besetzung hervorragend war. Die Damen und Herren hatten
die richtigen Stimmen, um die beiden mehrmals getrennten Ensembles, das
Damen-Quartett und das Herrenquintett, blitzsauber und passend presto
zu singen, was nicht immer so gut klingt. Die Damen wurden von der Mrs.
Alice Ford von Soile ISOKOSKI angeführt. Sie singt ausgewählt kultiviert
ihre Phrasen und spielt die Drahtzieherin der verkappten Geschichte mit
Eleganz und Charme. Die große finnische Sopranistin hat hier eine weitere
brillante Rolle ihrem bereits ansehnlichen Repertoire hinzugefügt. Als
Mrs. Meg Page war die attraktive Albanerin Enkelejda SHKOSA mit angenehmem
Mezzo äußerst passend. Mrs. Quickly war in den bewährten Händen von Janina
BAECHLE. Man könnte ihr nur vorwerfen, daß sie zu groß ist, denn sie dominierte
die ganze Damenriege um einen Kopf! Als Nanetta war eine gut bekannte
Slowakin zu hören, Adriana KUCEROVÁ, (ausgezeichnetes "Schlaues Füchslein"
in de Bastille). Sie rief mit viel Herz die Geister "Ninfi, Elfi, Silfi,
Doridi, Sirene!" und spielte entzückend. Und schmuste dezent mit ihrem
Fenton. Die herrlichen Kostüme von Carlo Tommasi zeigten die Damen in
sehr vorteilhaftem Licht!
Obwohl
die Herren bei Verdi ja oft nicht sehr gut wegkommen, war hier ebenso
ein ausgesuchtes Team am Werk. Geführt von dem hervorragenden Ford/Fontana
von Ludovic TÉZIER, der seiner Eifersucht in der hinreißenden Arie im
2. Akt "E sogno?" freien Lauf läßt. Die Stimme ist etwas zu groß für das
intime Théâtre du Capitole. Ein Heldenbariton! Man fragt sich nur, wann
er Wotan singen wird! Die beiden Lumpen von Dienern waren auch nicht übel:
Emanuele GIANNINO als Bardolfo (mit roter Schnapsnase) spielte ein Kabinettstück
von versoffenem Subjekt. Diogenes RANDES mit riesigem Baß (und Statur)
als Pistola war eine Luxusbesetzung. Dr. Cajus wurde von Gregory BONFATTI
trefflich verkörpert, der schwört, sich nie mehr mit solchen Lumpen zu
betrinken - wenn man ihm glauben könnte. Als junger Liebhaber Fenton -
eine beliebte "Sprungbrett"-Rolle - sang der junge Spanier Joel PRIETO
"Dal labbro il canto" mit großem Talent; Namen merken!
Die
musikalische Leitung der Aufführung hatte Daniele CALLEGARI inne. Der
elegante Italiener hatte sichtlich gezielt und gut geprobt, denn das ORCHESTRE
DU CAPITOLE spielte wie am Schnürchen. Die Ensembles waren perfekt und
präzise in den richtigen Tempi, die ritardandi dort, wo sie sein sollen,
ein wahrer Maestro! Der CHŒUR DU CAPITOLE unter der Leitung von Alfonso
CAIANI sang prächtigst, und die Stimmung war ausgezeichnet.
Großer
Applaus für das ganze Ensemble, natürlich ein Triumph für Corbelli. Ein
prachtvoller Abend! wig.
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