Prokofjew
schrieb diese Buffo-Oper 1940 in Moskau. Man probte bereits, aber wegen
des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurde die Premiere
abgesagt und fand erst im November 1946 in Leningrad statt. Als Gegenstück
zu "Liebe der drei Orangen" konzipiert, basiert diese närrische Geschichte
auf einem englischen Libretto von Richard Brindley Sheridan (genannt der
"englische Beaumarchais") für das Vater-und-Sohn-Team Thomas Linley sen.
und jr., die zusammen die komische Oper - eher ein Vaudeville - "The Duenna",
meist aus damals populären Melodien bestehend - 1775 in Covent Garden
zur Aufführung brachten.
Ein
Libretto für eine typische Spieloper, wie es im 19. Jahrhundert viele
gab, die heute kaum, oder gar nicht mehr gespielt werden. Die passabel
absurde Geschichte spielt im Spanien des 17. Jahrhunderts, mit allen Vorurteilen
der Zeit über dieses "exotische" Land: es geht viel um Ehre und Anstand,
und der reiche Fischhändler Mendoza trägt den Vornamen Isaac und ist natürlich
Jude. Das Beste daran ist, daß die Handlung die ebenso chaotische Heirat
Sheridans und Flucht nach Paris nach Entführung von Elizabeth Linley,
der Tochter, bzw. Schwester der beiden Komponisten wieder spiegelt! Sheridan
lieferte nur tropfenweise und nicht in Reihenfolge die Texte, um seinen
Schwiegervater, mit dem er sich ausgesöhnt hatte, nicht wieder an unliebsame
Dinge zu erinnern. Auch der britische Humor hat Grenzen!
Prokofjews
zweite Frau, Mira Mendelson hat das englische Boulevard-Stück übersetzt
und schrieb mit dem Komponisten das russische Libretto. Prokofjew stand
damals auf - relativ - gutem Fuß mit Stalins Regime, das das Werk zuließ,
zumal der Text einige Stellen krassen "Antiklerikalismus' einflicht. Prokofjew
wurde auch kurz vorher "beauftragt" eine Lobeshymne ("Zdravitsa") auf
den Diktator zu komponieren, obwohl dieser seinen Freund Meyerhold kurz
vor her erschießen hatte lassen.
Musikalisch
folgt die "Verlobung im Kloster" ganz dem grotesken Stil der "Liebe der
drei Orangen", beginnend mit dem knalligen Marsch der Ouvertüre. Auch
die "Probe" im Haus Jérômes mit einem Drei-Mann-"Ballorchester" bestehend
aus Klarinette, Trompete und großer Trommel, ist nicht von schlechten
Eltern - wobei der Klarinettist mitten drin aufs Klo muß. Musikalisch
denkt man dabei natürlich an die "Leutnant Kitje"-Suite. Die Stimmen sind
sehr ausgewogen behandelt, denn die sieben Hauptrollen haben praktisch
gleiches "Gewicht" und umfassen alle Register und Timbres - vom Koloratursopran
bis zum basso cantate.
Auch
die Orchester-Stimmen sind sehr gut verteilt, und die Bläser sind sehr
beschäftigt. Prokofjew hat sich auch von seinen Zeitgenossen inspirieren
lassen, und besonders die kurzen Seelen-Ergüsse der beiden jungen Frauen,
Louisa und Clara, haben die Dichte und Bögen der Strauss'schen "Arabella".
Doch die chaotische, rasante Handlung läßt kaum viel Zeit und Gelegenheit,
diese wirklich zu vertiefen. Alles verläuft im Wirbelwind der Geschehnisse.
Die Chöre sind durchwegs ausgewogen und in der russischen Tradition verwurzelt,
wie der äußerst amüsante Chor der Fischweiber der Firma Mendoza. Der Presto-Saufchor
der Mönche zu Beginn des 4. Akts, denn diese Orgie kann man nicht als
"Trinklied" bezeichnen, wird bei Erscheinen Mendozas und Don Jérômes in
einen Reue- und Fasten-Choral verwandelt, der die selbe Melodie verwendet,
nur diesmal Largo! Umwerfend!
Die
"Verlobung", selten aufgeführt (1989 Wexford, 2006 Glyndebourne, 2008
Valencia), ist bereits 1993 in Strasbourg und Toulouse gespielt worden.
Diese neue Produktion wurde gemeinsam mit der Opéra comique in Paris (wo
die Produktion im Februar gezeigt wurde) konzipiert und dem britischen
Regisseur Martin DUNCAN anvertraut, dem fulminanten, chaotischen Libretto
und ständig wechselnden Szenen entsprechend; und da es eine Reiseinszenierung
ist, waren die Bühnenbilder praktikabel und auf einige Wände, Türen, Stiegen,
Leitern, Tische, Stühle beschränkt - von letzteren hängen auch einige
auf den Beleuchtungspfosten.
Altmeisterin
Alison CHITTY hatte diese passende Lösung gefunden und auch die meist
traumhaften Kostüme entworfen. Die Verkleidungen der Damen waren umwerfend
und sehr glaubhaft, denn selbst die Herren erkannten ihre Geliebten nicht.
Sehr gelungen, wenn bisweilen ein Sänger von einer 6 oder 7 m hohen Leiter
durch ein Fenster singt. Martin Duncan hat zahlreiche Gags passend eingebaut,
was das Publikum mit Lachstürmen quittierte. Dieses optimal organisierte
Chaos wurde präzise von Paul PYANT beleuchtet. Die Tanzeinlagen waren
bisweilen recht akrobatisch und bestens von Ben WRIGHT koordiniert.
Der
russische Chefdirigent des ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE in Toulouse,
Tugan SOKHIEV (wie Gergiev aus Ossetien), hatte die Idee des ganzen Projekts,
denn er hatte die Oper bereits in St. Petersburg dirigiert. Bei dieser
Gelegenheit hat er gleich den drei Viertel der Besetzung mitgebracht.
Sokhiev dirigierte mit hörbarer Begeisterung und großer Liebe für die
Musik und koordinierte das hervorragende Einverständnis zwischen Graben
und Bühne. Alfonso CAIANI hatte den CHŒUR DU CAPITOLE einstudiert und
das funktionierte hervorragend, denn alle - Saufbrüder, Fischweiber oder
Hochzeitsgäste - amüsierten sich bestens auf Russisch.
Mit
Ausnahme zwei britischer Sänger waren die zahlreichen Rollen aus St. Petersburg
importiert worden. Als Don Jérôme war der Brite Brian GALLIFORD ganz ausgezeichnet;
er setzt seinen angenehmen Charaktertenor sehr gut ein und spielt blendend
den kuppelnden Vater, der nur ans Geld denkt und allen Vätern mehrmals
versichert, welche Katastrophe eine heiratsfähige Tochter sei. Sein Sohn
Don Ferdinand, der die hübsche Clara d'Almanza haben will, ist hier -
überraschenderweise - ein Bariton. Garry MAGEE spielte sehr engagiert
den sehr eifersüchtigen Liebhaber, der Don Antonio, den Verehrer seiner
Schwester Louisa, die als Clara verkleidet ist, zum Duell fordert; was
- natürlich - zu einer spanischen Messerstecherei führt. Daß er auch blendend
singt und gut aussieht, ist natürlich ein Vorteil.
Louisa
ist sozusagen die "Heldin" der Oper, Don Ferdinands Schwester und Tochter
Don Jérômes. Anastasia KALAGINA spielte diese streitbare und dickköpfige
Tochter und sang hinreißend mit vollendeter Technik; eine große Karriere
ist hier im Kommen. Ihre Amme, eben die "Duenna", sang eine der großen
Stimmen der russischen Szene, Larissa DIADKOVA, die nicht nur eine großartige
Altistin ist, sondern auch mit trockener Komik umwerfend spielt. Da ihr
sogenannter Liebhaber, der Fischhändler Mendoza, Mikhail KOLELISHVILI
mit prachtvollem, pech-schwarzem Baß und langen Bart mehr als einen Kopf
größer ist als sie, waren sie wohl eines der komischsten Paare seit Jahren.
Don
Antonio, Louisas Liebhaber, ist ein armer Schlucker ohne Geld. Diese Rolle
sang hervorragend ein weiterer Star des Marinskii Theaters, Daniil SHTODA,
der schon oft bei russischen Gastsspielen zu erleben war. Seine gut tragende
lyrische Stimme, die er seit Jahren kultiviert, ist dramatischer und stärker
geworden. Eine weitere bekannte Sängerin aus der Sänger-Fabrik des Marinskii
war die bildhübsche Anna KIKNADZE als Clara d'Almanza, die die um ihre
"Ehre" besorgte Adelige (Don Ferdinand ist in ihr Zimmer "eingedrungen")
mit passendem Snobismus und prachtvollem Mezzo darstellte.
Der
etwas naive Don Carlos, der sich vergeblich auch auf Louisa spitzt, aber
nur immer die Türen auf die Nase geknallt kriegt, war mit Yuri VOROBIEV
passend besetzt. Eine ganze Schar von kleineren Rollen vervollständigten
die Besetzung vortrefflich: zuerst die ganze Truppe versoffener Klosterbrüder,
angeführt von Pater Augustin (Eduard TSANGA) und den Brüdern Elustaphe
(Vasily EFIMOV), Chartreuse (Marek KALBUS) und Bénédictine (Mischa SCHELOMIANSKI),
sowie zwei Novizen, Claude MINICH und Emmanuel PARRAGA. Die drei Brüder
mit den Schnaps-Namen waren auch die in verschiedenen Szenen auftretenden
Masken. Die beiden passenden Zofen Lauretta und Rosina waren Leonora VINDAU
und Catherine ALCOVERRO. Als Lopez, Don Jérômes Faktotum, fungierte Alfredo
POESINA, der u. a. auch die Gäste ankündigen mußte, z. B. "Don Miguel,
Don Juan und Don Quixotte mit Gattinnen"!
Es
war eine ausgezeichnete Initiative diese "Verlobung im Kloster" wieder
aufzuführen und dem begeisterten Publikum (es gab mehrmals Szenenapplaus)
vorzustellen. wig.
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