TILL I HEAR YOU SING ONCE MORE

"Das können nur die Engländer." ist ein Satz meiner Eltern, an den ich mich gut aus meiner Kindheit erinnere. Zumeist ging es hier um Humor und Unterhaltung im filmischen oder musikalischen Bereich - und natürlich schloß diese Aussage alle Bevölkerungsgruppen der britischen Insel und deren unterhaltungstechnische Fertigkeiten mit ein.

Gerade auch im Musical-Bereich sind diese Fertigkeiten von einigem Wert. Unterhaltung der Unterhaltung willen, gekonnt vorgetragen und mit einer guten Prise Humor gewürzt. Das Rezept ist denkbar einfach. Man nehme z.B. drei Herren, die im Londoner West End die Titelpartie in Andrew Lloyd Webbers "Phantom der Oper" präsentiert haben, ergänze dies mit einer fabelhaften Sopranistin und einem musicalerfahrenen Dirigenten sowie drei Tänzerinnen als schmückendem Beiwerk und toure damit landauf, landab.

Was diese von Ginger Boy Productions produzierte Konzerttournee (Director: Earl Carpenter) so wohltuend von den regelmäßig auftauchenden "Drei XYZ"-Tourneen unterscheidet, ist neben der hochgradigen Professionalität der Künstler der Spaß, den das Publikum hat und der auch auf der Bühne gelebt wird. Geboten wird ein musikalisches Programm, dessen Nummern im Kontext zu den Künstlern und/oder dem "Phantom der Oper" stehen. Zusätzlich zu den Gesangsnummern werden die Zuschauer mit Geschichten aus dem Phantom-Bühnenalltag unterhalten. Lachanfälle oder kleinere Pannen werden spontan und ohne viel Federlesens in die Show eingebaut. Es ist wahrscheinlich unmöglich nicht begeistert zu sein, was natürlich primär an den Solisten liegt.

Die Rolle als Javert wird Earl CARPENTER soll schnell wohl nicht wieder loswerden und entsprechend enthusiastisch war die Reaktion des Publikums nach "Stars". Doch es ist gerade die Bandbreite seiner gesanglichen Möglichkeiten und die Authentizität der Charaktere, die einen an ihm faszinieren. "Race You to the Top of the Morning"" aus "The Secret Garden" wurde sehr schlicht, aber gefühlsbetont gesungen. Nur Minuten später verwandelte sich Earl Carpenter in Gaston aus Disneys"Beauty and the Beast", um gemeinsam mit den anderen beiden Herren ein fieses Komplott zu schmieden ("Maison des Lunes"), und sang anschließend ein schreiend komisches, aber doch herzzerreißendes "I'm All Alone" aus "Spamalot".

John OWEN-JONES, der im vergangenen Jahr als Jean Valjean bei der 25th Anniversary "Les Mis" Tour begeisterte und derzeit das "Phantom der Oper" im Londoner West End ist, nennt eine in Umfang und Klangfarben überaus beeindruckende Stimme sein Eigen. Neben "Bring Him Home", das wohl derzeit niemand in dieser Perfektion zu singen vermag, sang er "Kiss of the Spiderwoman" und faszinierte mit seiner Interpretation von "Till I Hear You Sing Once More" aus Andrew Lloyd-Webbers "Phantom"-Fortsetzung.

Die Stimme von Matthew CAMMELLE muß man mögen. "I'm Martin Guerre" und das zu dritt gesungene "Fugue for Tinhorns" kommen seiner vokalen Charakteristik sicher mehr entgehen als Marius in "A Heart Full Of Love" oder Raoul, über den der Sänger definitiv hinaus ist.

Rebecca CAINE - ganz Diva, allerdings nicht ohne gewisses Augenzwinkern - bewies, daß sie eben nicht ausschließlich auf der Musicalbühne zuhause ist. Neben "I Hate Men" von Cole Porter und Carlottas "This Place Is Mine" aus einer der zahlreichen Vertonungen des "Phantom"-Stoffs überzeugte sie mit einem gut gesungenen "Casta Diva". Ihre Cosette und ihre Christine klangen tadellos. Ihre Carlotta in "Primadonna" an Ende des Abends war einfach nur göttlich skurril.

Allen vier Künstlern ist es gegeben, dem jeweils vorgetragenen Stück eine entsprechend individuelle Note zu geben und so wurde an diesem Abend ein musikalischer Bogen von Bellini bis hin zu Boublil/Schönberg und eben Lloyd-Webber gespannt, der in seinem Ablauf unterhaltsam und harmonisch war.

Die Aufregung über die Möglichkeit, mit dem ROYAL LIVERPOOL PHILHARMONIC ORCHESTRA zu arbeiten, war augenscheinlich groß. Eine Herausforderung, die die Solisten ohne Schwierigkeit meisterten. Perfekt wäre es gewesen, wenn das Klangvolumen des Orchesters besser zur Konzerthalle passen würde (Wagner-Konzerte mag sich in diesem Zusammenhang nicht vorsstellen), doch Anthony GABRIELE hatte die musikalische Leitung gut im Griff, und Earl Carpenter entlockte den Liverpooler Philharmonikern dann während einer kurzen Einlage als Dirigent für den Song "A Guy Like You" sogar echten Big Band-Sound.

Daß die "Three Phantoms" erfolgreich sind, zeigt neben dem begeisterten Publikum auch die wachsende Zahl an Konzerten. Für den Herbst ist ein neues Programm geplant und für das kommende Jahr scheint es bereits weitere Pläne zu geben. Es steht zu hoffen, daß dieses Konzept noch lange Bestand hat. Meine Begleitung und ich wollen nämlich unbedingt wiederkommen - so zwei, drei, fünf Mal mindestens. AHS

P.S. Weitere Informationen zu den "Three Phantoms" und den geplanten Konzerten finden sich unter www.gingerboy.me/threephantoms sowie auf Twitter (Three_Phantoms).