(Derniere,
glücklicherweise)]
"In
jeder Kreatur ein Funke Gottes"? - nicht an der Staatsoper Hannover
Das
Beste an der Aufführung in Hannover war die Vorfreude - und das Schlimmste
die Ernüchterung schon innerhalb der ersten Minuten der Ouvertüre...
Musikalisch
lieferten vor allem CHOR (musikalische Leitung: Wolfgang BOZIC) und ORCHESTER
etwas ab, das stellenweise nur als Chaos zu bezeichnen ist. Der Chor bröckelte
hin und wieder völlig auseinander, und im Orchester waren die Geigen sowie
die hohen Bläser für einiges an Fehlern und Quietschen zu haben. Ich weiß
nicht einmal, ob es am Dirigenten (Dan RATIU) liegt - ich hatte mehrere
Male den Eindruck, als würde das Orchester ein anderes Tempo spielen,
als das vom Dirigenten Vorgegebene. Ach ja, die Tempi... Es scheint mir,
daß viele Dirigenten dazu tendieren, grundsätzlich eher schneller zu spielen,
als das, was man von Aufnahmen gewohnt ist. Aber Ratiu setzt dem noch
die Krone auf: Er rast durch das Stück hindurch. Ausnahmsweise nehme ich
es ihm nicht mal besonders übel - es wäre wahrscheinlich andernfalls noch
deutlicher aufgefallen, wie unfähig das Orchester ist, und außerdem war
das Ganze auf diese Art auch glücklicherweise schnell wieder vorbei -
die Aufführungsdauer blieb unter hundert Minuten.
Um
fair zu sein sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß das Orchester
stellenweise auch sehr gut spielte und zumindest der Schluß immer noch
in der Lage war, mir einen Schauer über den Rücken zu jagen. Nur waren
diese ausgesprochen guten Stellen einfach zu selten...
Weiterhin
ist entweder jemand mit einer Axt an die Texte gegangen, oder es hat durchschnittlich
etwa alle zehn Minuten ein Sänger seinen Einsatz verpasst. So fehlten
beispielsweise mehrere Zeilen aus dem Beginn von Lukas "Arie" oder fast
das gesamte Gespräch vor Skuratovs Geschichte. Überhaupt wurde sehr viel
Text umgeschrieben - hier verraten die (freundlicherweise im Programmheft
abgedruckten) Übertitel, daß es diesmal, zumindest stellenweise, absichtlich
war, auch wenn ich nicht verstehen kann, was an den Originaltexten auszusetzen
ist.
Die
Inszenierung (Barrie KOSKY) setzt auf alles was eklig ist - jede Flüssigkeit,
die natürlicher- oder unnatürlicherweise aus einer menschlichen Körperöffnung
austritt, kommt irgendwann mal vor. Das Ausleeren der Eimer in eine Art
Grube (oder über Goryancikovs Kopf) kann fast schon als zentrales Element
der Inszenierung bezeichnet werden. Daß die Handlung in einem Gefängnis
spielt, ist Bühnenbild oder Kostümen (Katrin Lea TAG) kaum anzusehen;
wenn, dann erinnert mich das Ganze mehr an ein Irrenhaus. Das Merkwürdigste
dürfte sein, daß sowohl der Platzmajor als auch der Wärter dieselbe Kleidung
wie die übrigen Sträflinge (Jeans und grauer Sweater) tragen; die Beiden
zeichnen sich in den entsprechenden Szenen nur durch schwarze Lederhandschuhe
und Sonnenbrille aus. Dazu kommt, dass der Wärter nebenher den kleinen
Sträfling, den jungen Sträfling und Elvira; der Platzmajor die schöne
Müllerin der Pantomime spielt.
Wahrscheinlich
steckt darin eine wichtige Botschaft verborgen; daß die Wärter genauso
gefangen sind wie die Sträflinge. Diesen Eindruck verstärkt die Szene,
in der Goryancikov entlassen wird; da hier der Platzmajor nach Verkünden
der Neuigkeit selbst fast in Tränen ausbricht und sich wieder unter die
Gefangenen mischt. Seltsam danach wieder die Tatsache, daß Goryancikov
keine Anstalten macht, das imaginäre Gefängnis zu verlassen, sondern sich
mit den Anderen wieder so auf die Bühne setzt, wie sie am Anfang saßen.
Ein Anfang, an dem Goryancikov übrigens bereits anwesend war; er steht
während der Instrumentaleinleitung des ersten Akts auf, um die "Sträflingskleidung"
gegen einen Anzug zu tauschen. Um das kaum fünf Minuten später wieder
rückgängig zu machen...
Für
weitere Fragezeichen sorgte die Szene mit dem Adler - korrekter gesagt,
mit einem älteren Gefangenen (Theo HAPKE), der mal eben mit ein paar Indianerfedern
zum Vogel gemacht wird und dann wie an der Longe im Kreis "fliegt". Dementsprechend
eher lächerlich auch die Szene der "Freilassung" des Adlers, der am Ende
neben dem (wahrscheinlich toten) Aljeja steht und hin und wieder mit den
"Flügeln" schlägt.
Und
auch wenn viele der Regieanweisungen bestimmt nicht ganz so harmlos gemeint
sind, wie Janacek sie in der Partitur formuliert - muß man deswegen in
(fast) jede Szene etwas Anzügliches hineininterpretieren? Und wäre es
vielleicht gegangen an einigen Stellen bei Andeutungen zu bleiben? Ich
meine damit nicht nur das Theaterstück der Sträflinge, auch wenn mir die
an Softporno grenzende Vorstellung ziemlich auf die Nerven ging - es geht
mir auch um die Szene mit der "Landstreicherin", hier alias ?erevin. Was
sich bei Janacek nur ankündigt, "dürfen" wir am vorderen Rand der Bühne
miterleben. Aufgrund der Tatsache, dass der junge und der kleine Sträfling
vom selben Sänger gespielt werden, sollte man meinen, dass er eigentlich
grad was Anderes zu tun hat, als sich über Goryan?ikov und seinen Tee
aufzuregen…
Wenigstens
haben die Sänger die doch recht abwegige Inszenierung mit einem gewissen
Leben gefüllt, denn im Allgemeinen zeichneten sich Solisten wie Chor oft
durch auffallend gutes Schauspiel aus. Auch die meisten Figuren im Hintergrund
werden überraschend gut charakterisiert, auch wenn genau diese Charaktere
für den Irrenhaus-Eindruck verantwortlich sind. Es wird auf die Vordergrundhandlung
reagiert und einige Leute aus dem Ensemble fallen durch "Verhaltensmuster"
tatsächlich auf. Wenn das Ganze auch noch leiser gegangen wäre, dann hätte
ich auch nichts dran auszusetzen... Obwohl, stören mich die Nebengeräusche
bei dieser Musik wirklich so sehr?
Robert
KÜNZLI als Luka Kuzmic/Filka Morozov verwirrt mich immer noch. Während
seiner Geschichte im ersten Akt wollte man meinen, er kenne den Unterschied
zwischen Singen und Grölen nicht. Im zweiten Akt aber erwies sich dieser
Eindruck als falsch - nur wenige, dafür eher lyrische Zeilen hat er hier
zu singen, und diese waren auf einmal überraschend wohlklingend, richtig
schön anzuhören.
Ivan
TURŠICs Skuratov brachte mich stellenweise an den Rand eines Lachanfalls,
so sehr klang er wie jemand, der mit einer heftigen Verstopfung auf dem
Klo sitzt. Franck SCHNEIDERS spielte den Platzmajor wie das Klischee eines
Polizisten aus einem amerikanischen Film; Dirty Harry beispielsweise.
Ob er tatsächlich so spricht oder sich absichtlich Mühe gab seine Stimme
wie die eines Kettenrauchers klingen zu lassen, kann ich nicht sagen.
Stefan
ZENKL in den vier Rollen des Wärters, des kleinen Sträflings, des jungen
Sträflings und Elviras gehörte zu den Lichtblicken des Abends. Letztendlich
spielte er die zusammengefaßte Rolle der unsympathischsten Person auf
der Bühne und das ausgesprochen überzeugend. Seine sängerische Leistung
dürfte neben der Šapkins eine der Besten des Abends gewesen sein, aber
wirklich viel heißt das nicht...
Jörn
EICHLER, der neben Šapkin auch Kedril spielte, war ebenfalls überdurchschnittlich
erfreulich. Sein Schauspiel verstärkte den Irrenhaus-Eindruck noch weiter,
aber er sang gut und Šapkins Geschichte war eine der wenigen Stellen,
die bei mir eine emotionale Reaktion hervorrufen konnten. Brian DAVIS
als Šiškov fällt in keins dieser Extreme. Er sang gut und ohne größeren
Anlaß zur Kritik, aber sein Auftritt war auch nicht überwältigend und
wirkte stellenweise etwas uninteressiert.
Roland
WAGENFÜHRER brachte einen ausgesprochen amüsanten Betrunkenen auf die
Bühne, dessen Gesichtsausdrücke, sowie empörte Proteste auf die Versuche
der Anderen ihn zum Schweigen zu bringen, endgültig für den Lachanfall
sorgten. Sowohl János OCSOVAI (Aljeja) und Jin-Ho YOO (Goryancikov) lieferten
sängerisch wie schauspielerisch Leistungen ab, die man getrost vergessen
kann, und deshalb weiß ich bereits jetzt nichts Genaueres über die Beiden
zu sagen.
Wolfgang
NEWERLA spielte als Don Juan den Cowboy und als Cekunov eigentlich gar
nicht; Tadeusz GALCZUK traf sowohl als Cerevin wie auch als "Landstreicherin"
seine Töne nicht immer und sämtliche weiteren kleinen Rollen fielen innerhalb
des Chors nicht weiter auf. Wenn ich noch etwas Freundliches über diese
Aufführung sagen wollte, dann daß ich sicherlich mehr gelacht habe als
in jeder anderen Oper. Ob das bei einem Stück wie "Aus einem Totenhaus"
ein Qualitätsmerkmal ist, ist mehr als fragwürdig. NG
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