Die
tschechische Musik wird in Wexford sehr gepflegt. Vor einigen Jahren habe
ich hier bereits Dvoraks "Teufelskäthe" und "Jakobín" gesehen. Aber auch
Smetana, Fibich und Weinberger sind hier bereits gespielt worden.
Diesmal
kam der Vater der tschechischen Oper zum Zug, Bedrich Smetana (1824-1884).
Obwohl "Die verkaufte Braut" zum Fundus jedes ordentlichen Opernhauses
gehört, sind seine anderen Opern wie z.B. "Dalibor", "Libuše" oder "Die
Brandenburger in Böhmen" außerhalb Tschechiens so gut wie unbekannt. Selbst
sein restliches Werk wird bis auf das Streichquartett "Aus meinem Leben"
und "Má Vlast" (vor allem die "Moldau") so gut wie nicht gespielt. Sehr
schade um die prachtvolle Musik!
Dieses
Jahr hat man in Wexford eine einst sehr beliebte Oper gespielt, Smetanas
"Hubicka" (Der Kuß). Diese "Volksoper" im besten Sinn des Wortes, ist
die einzige durchkomponierte und die letzte Oper Smetanas überhaupt. 1876
in Prag uraufgeführt, von Mahler sehr geschätzt und von ihm in Wien und
Hamburg aufgeführt, läßt "Der Kuß" an Wagner denken, doch das täuscht.
Die Verwendung gewisser "Leitmotive" - einschließlich in den Tänzen -
ist hier weniger auffällig. Es fehlt auch die Furiant-Stimmung der "Verkauften
Braut". Smetana war mit fünfzig Jahren bereits völlig taub, weshalb er
von der Prager Oper pensioniert wurde und sich in sein Landhaus zurückzog.
Der Meister war sehr abgeklärt und wollte nur mehr seine letzte Oper fertig
stellen. Er starb erst sechzig Jahre alt und taub.
Die
Geschichte ist einfach, und die Oper könnte auch "Die Liebe bringt selbst
zwei Dickschädel zusammen" heißen: Lukáš' Frau ist kürzlich im Kindbett
gestorben, was damals alltäglich war. Aber Lukáš hat schon eine Andere
im Auge, Vendulka, in die er schon vor seiner Hochzeit verliebt war. Diese
nimmt sich schon des Babys an. Er sendet deshalb seinen Schwager Tomeš
zu ihr und trotz der Zweifel des Vaters Vendulkas, der beide als Dickschädel
kennt, gibt es zunächst kein Problem. Bei der Verlobung der beiden will
Vendulka sich aber nicht küssen lassen, denn das darf man erst nach der
Hochzeit in Öffentlichkeit tun, und es gibt den ersten Krach. Lukáš ist
sauer, läuft davon und kommt betrunken mit einigen Freunden und Musikern
zurück, um Vendulka zu necken und küßt auch eine andere. Dabei singt Vendulka
im 2. Akt eine sehr innige Arie, wo sie von "vielen Küssen im Mondschein"
träumt! Aber die Geschichte ist komplizierter, denn Vendulka ist abergläubisch
und hat Angst vor der Rache der Verstorbenen, was sie in einer langen
und intensiven Arie erzählt. Vendulka geht zu ihrer Freundin Martinka,
die sie für die Schmuggler anwirbt. Lukáš lässt auch nicht locker, geht
ihr nach und ist nicht nur verzweifelt, sondern auch betrunken. Tomeš
überredet ihn sich mit Vendulka zu versöhnen. Vendulka wird schließlich
von Martinka und Schmuggler-Chef Matouš überredet. Bei der Versöhnung
will nun Vendulka den Lukáš küssen, der aber jetzt nicht will. Er wollte
schließlich nur sein Entgegenkommen zeigen, doch nach langem Zureden des
ganzen Dorfes, küssen die beiden sich am Ende herzlich und lang.
Musikalisch
steht "Der Kuß" in der klassischen tschechischen Volksoper und auch die
stimmliche Behandlung der Rollen ist vollkommen im Stil Smetanas. Die
junge Vendulka ist natürlich ein lyrischer Sopran, Martinka ein Mezzo,
der Dorf-Schönling Lukáš ist ein Tenor mit heldischen Allüren, der Vater
Vendulkas ist ein Baß, Tomeš, der Schwager und Freund, ein Bariton. Vendulkas
Kusine Barce eine Soubrette. Alles wie gewohnt. Die jungen Künstler waren
- mit Ausnahme des Regie-Teams, der Vendulka und des Schmugglers Matouš
- tschechischen oder slawischen Ursprungs.
Die
junge Südafrikanerin Pumeza MATSHIKIZA sang mit wunderschönem, sehr gepflegtem
und warmem lyrischem Sopran und viel Engagement die schwierige Rolle der
Vendulka, durch die Sprache noch erschwert. Sie spielte vor allem das
dickköpfige, aber bis über die Ohren verliebte junge Mädchen mit Charakter
und umwerfendem Charme. Wie der Name andeutet ist Pumeza Mathikiz keine
Afrikaanerin oder Burin, sondern ist dunkelhäutig, was aber unter den
blonden Slawen und Iren nichts ausmachte, dank ihrer ausnehmenden Bühnen-Präsenz
- ein entzückender und liebenswerter Dickschädel. Der zweite Dickschädel
ist Lukáš, für den der slowakische Tenor Peter BERGER alle Attribute des
Dorf-Don Juan mitbrachte: er schaut gut aus, spielt ausgezeichnet, nüchtern
oder betrunken, und besitzt eine Riesenstimme, die er klug und effektvoll
anwandte.
Ausgezeichnet
war ebenfalls der dritte Dickschädel, der junge Jiri PRIBYL, der den rechthaberischen,
immer schimpfenden, alten Vater Paloucky Otec, gekrümmt und mit Stock,
magistral auf die Bühne stellte. Sein dunkler, aber nicht schwarzer Baß
paßte dafür bestens, um eine perfekte Charakter-Studie zu bieten. Schwager
Tomeš ist sozusagen das ausgleichende Element unter der Schar von dickköpfigen
Narren, die die Szene bevölkern. Pavel BARANSKY tat dies souverän mit
seinem gepflegten Kavalierbariton und klugen Spiel, wenn er geschickt
dem etwas tölpischen, aber sturen Lukáš an mehreren Stellen gut zureden
muß.
Martinka,
die gute, etwas ältere und erfahrene Freundin Vendulkas, war bei Eliska
WEISSOVA in besten Händen. Ihr gut geführter und tragender Mezzo, gepaart
mit handfester Bauernschlauheit ergab eine sehr gute Charakterstudie einer
Frau, die das Leben kennt und es mit dem Gesetz nicht ganz genau nimmt,
denn sie überredet ja Vendulka zum schmuggeln. Blendend, wenn die beiden
Frauen, die geschmuggelte Ware in einem Korb mit Birnen zudecken und dann
von den Zollbeamten kontrolliert werden, was zu einem fröhlichen Terzett
Anlaß gibt: die Birnen kugeln in die ausgebreitete Schürze, und die Zollbeamten
bemerken nichts. Vendulkas Kusine Barce war die süße, springlebendige
junge Russin Ekaterina BAKANOVA, die vor allem die Burschen des Dorfes
im Kopf hat. Ihr wunderbares Lied an die Sonne im 3. Akt sang sie mit
frischen Sopran und viel Herz und Ausdruck. Den weiteren "Ausländer" waren
die kleinen Rollen zu geteilt und sangen sehr gut: dem Chef der Schmuggler,
Matouš, gab Bradley SMOAK die richtige Listigkeit und Robert Anthony GARDINER
dem Zollbeamten Strázník die passende Beschränktheit.
Der
Brünner Dirigent Jaroslav KYZLINK, der mehrere Jahre die Slowakische Staatsoper
musikalisch betreut hat, war natürlich hier in seinem Element. Er leitete
das ORCHESTRA OF THE WEXFORD OPERA FESTIVAL mit Schwung und Begeisterung
in dieser schönen Aufführung. Man fühlte, dass er die prachtvolle Musik
Smetanas dem Publikum ans Herz legen wollte. Daß Lubomir MATL in Wexford
Chordirektor ist, kann man als wahres Glück bezeichnen, denn wenn jemand
ein solches Werk beleben kann, ist es wohl er. Matl und der CHORUS OF
THE WEXFORD OPERA FESTIVAL wurden am Schluß auch mit Recht stürmisch gefeiert.
Prachtvoll!
Die
Inszenierung des englischen Regisseurs Michael GIELETA war sehr gelungen
und vollkommen der volkstümlichen Geschichte angepaßt, ohne Versuch die
Oper zeitlich zu aktualisieren. Das Bühnenbild von James McNAMARA war
eine direkte Verlängerung des Zuschauerraums: große Holzplatten verschiedener
Schattierungen, die nach Bedarf verschoben oder geöffnet wurden, inklusive
der Bäume in der Schmugglerszene. Die Kostüme von Fabio TOBLINI waren
ebenfalls von bäuerlicher Einfachheit. Auch diesmal zeichnete Christopher
AKERLIND für die effiziente und passende Beleuchtung. Michael Gieleta
hatte sichtlich sehr viel Mühe auf die Personenführung verwandt, denn
die Natürlichkeit der jungen Sänger war eine Augen- und Ohrenweide. Die
belebten und schönen Tanzszenen hatte der irische Choreograph Sean CURRAN
choreographiert.
Das
Publikum war begeistert und dankte aufs herzlichste für den schönen Abend.
wig.
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