In
den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts gehörte Karel
Capek (1890-1938) zu den vielen angesehenen und ungemein erfolgreichen
Autoren, damals genauso bekannt wie Hesse, Mann, Mauriac, Roland oder
Zweig und dem Dramatiker Georg Kaiser. Im Gegensatz zu den genannten Nobel-Preisträgern,
wurde Capek sieben Male für den Literatur-Nobel-Preis nominiert, bekam
ihn aber nie. Capek schrieb phantastische Theaterstücke und Romane und
erfand sogar neue Worte, u. a. "Robot". Capek wurde oft - fälschlich -
mit Aldous Huxley und George Orwell verglichen. Wie mit dem damals ebenfalls
höchst erfolgreichen Georg Kaiser (1878-1945) ist es um Capek sehr still
geworden.
Prag
hat mit seiner Phantastik bei der Verfassung des Stückes Pate gestanden,
sowohl Kafka, als auch das Thema des Golem. Zweifellos ist "Die Sache
Makropoulos" eine der prophetischsten Stücke dieser Periode. Mit dem Problem
der "ewigen Jugend" und der "Unsterblichkeit" hat sich die Menschheit
immer schon auseinander gesetzt. Die Hauptfigur Emilia Marty ist unsterblich,
aber muß ihre Unsterblichkeit immer wieder "aufputschen", um über ihre
337 Jahre hinaus zu kommen. Am Ende übergibt sie resigniert das wieder
gefundene Rezept der ewigen Jugend an die junge Sängerin Kristina. Dieser
Akt stellt eben die Frage: "Wie lange soll der Mensch leben?" Und die
Antwort ist: "nicht ewig". Den dramatischen Rahmen für die gestellten,
philosophischen Fragen bildet der hundertjahrelange juristische "Fall
Makropoulos", wobei sich ja herausstellt, daß beide Kontrahenten, die
Prus- und Gregor-Familie, alle Emilias Nachkommen sind. Denn Emilia Marty
trieb ihr Unwesen in den mehr als 300 Jahren ihres Lebens bereits als
Elena Makropulos, Ekaterina Myshkin, Eugenia Montez oder Elaine McGregor,
sowie einigen anderen E. M.-Namen.
Dieses
Werk ist heute von besonderer Aktualität, in einem Augenblick wenn in
USA gerade angekündigt wurde, daß ein komplett synthetisches Bakterium
(Mycoplasma mycoides) hergestellt wurde. In der Juni-Ausgabe des "Scientific
American" wird unter den zwölf Umwälzungen der nächsten Jahrzehnte die
Klonierung eines Menschen als sehr wahrscheinlich angesehen!
Musikalisch
ist Janáceks Alterswerk von besonderer Dichte, ganz in der Richtung der
fast gleichzeitigen der "Sinfonietta" und der "Glagolská mše". Anderseits
erinnert die intensive Verwendung der Bläser (vier Flöten! usw.) mit ihrer
bäuerlichen Dumka-Rhythmen oft an frühere Kammermusik. Die ständige, ostinate
Wiederholung des Klopf-Motivs (Vorschlag-Terz-auf, ein Ton höher, Vorschlag-Terz-ab,
durch alle Tonarten) wirkt wie ein Herz-Pochen und durchdringt das ganze
Werk mit einer ganz besonderen Faszination.
Die
Produktion der Oper in Nantes (zwei Mal in Angers wiederholt) im schönen
Théâtre Graslin war dem selben Team anvertraut, das 2007 eine hervorragende
Produktion von "Jenúfa" gebracht hatte, die mit dem Prix Claude-Rostand
als beste französische Opernproduktion des Jahres ausgezeichnet wurde.
Die beiden Regisseure Patrice CAURIER und Moshe LEISER haben wieder mit
einfachen Mitteln und sehr intensiver Personenführung das phantastische,
komplexe Drama dem Publikum nahe gebracht. Das geschickte Bühnenbild war
wie 2007 vom Haus-Bühnenbildner Christian FENOUILLAT. Es besteht im 1.
Akt (Kolenatýs Kanzlei) essentiell aus verwinkelten dunklen Holzwänden,
während der 2. Akt die Hinterbühne des Theaters, in dem Marty auftritt,
mit aufgetürmten Kulissen und Versatzteilen zeigt. Umwerfend war der 3.
Akt, der im Salon der Hotel-Suite der Diva spielt: einige Säulen und zahllose
Koffer in allen Größen, Modellen und Stilen (bei 50 habe ich zu zählen
aufgehört!). Die schönen Kostüme von Agostino CAVALCA im Stil der 1920er
Jahre waren äußerst passend. Christophe FOREY beleuchtete sehr gut die
dubiose "Affäre".
Der
irische Dirigent Mark SHANAHAN, der hier auch schon mehrmals zu erleben
war und sonst meist an der ENO in London wirkt, war ein weiterer Teilnehmer
der "Jenúfa" vor drei Jahren. Mit der Musik des beginnenden 20. Jahrhunderts
- und speziell mit Janácek - hat er sichtlich eine eigene Beziehung, denn
er bringt die großen Bögen ebenso ergreifend zur Darstellung, wie die
ostinaten Pulsschläge. Er scheint hier auch völlig zu Hause zu sein, denn
das ORCHESTRE NATIONAL DES PAYS DE LA LOIRE folgte ihm auf jeden Blick.
Der ausgezeichnete Chormeister des Hauses, Xavier RIBES, hatte den kleinen
HERRENCHOR DER ANGERS NANTES OPÉRA sehr gut vorbereitet. Spezielle Erwähnung
verdient die Studienleiterin, Irène KUDELA, zu werden, die hier immer
hervorragende Produktionen einstudiert.
Vor
drei Jahren war Kathrin HARRIES ebenfalls bereits als erschütternde Kostelnicka
zu erleben. Emilia Marty, die einzige wirkliche Hauptrolle ist jedoch
viel schwieriger, denn es ist eine dramatische Sopranrolle. Obwohl Kathrin
Harries bisweilen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geht, ist ihre Rollengestaltung
und dramatische Ausdruckskraft sehr überzeugend. Ihre Aura der "femme
fatale", die alle Männer umspinnt, war hervorragend herausgearbeitet.
Ihr Schluß-Monolog war halluzinierend.
In
den weiteren Rollen waren meist britische Sänger zu hören, die in Nantes
bereits mehrmals gesungen haben. Sehr passend war John FANNING als der
eitle - und völlig überforderte - Advokat Dr. Kolenatý, der seinen kräftigen
Baßbariton sehr vorteilhaft einsetzte und sich bei jeder Gelegenheit in
eine feuerrote Robe kleidete. Sehr ausdrucksvoll war auch Robert HAYWARD
als reicher Jaroslav Prus, der seine verpatzte Liebesnacht mit Emilia
Marty mit dramatischem Bariton und brutalem Spiel frustriert ausdrückte.
Seinen Sohn Janek Prus, einer der Verehrer der Diva, der am Schluß Selbstmord
begeht, sang Robin TRITSCHLER mit passender Leidenschaft. Den verwöhnten
und nichtstuenden Lebemann Albert Gregor, der Emilia Marty mit seinen
Liebesschwüren verfolgt, sang brillant der Tenor Atilla KISS. Den potentiellen
Selbstmörder glaubt man dem Ungarn aber nicht.
Beau
PALMER besitzt einen hübschen Spieltenor und war ein sehr treffender Hauk-Šendorf,
der in Emilia Marty seine verflossene Geliebte Eugenia Montez erkennt
und mit ihr durchgehen will. Interessant und sehr intensiv gestaltete
die junge Paola GARDINA die Sängerin Kristina, die am Schluß das Rezept
des Verjüngungstranks nicht verbrennt, sondern verschluckt; sehr einfach,
aber äußerst effektvoll. Vitek, den hoffnungslosen Verehrer Kristinas,
sang und spielte Adrian THOMPSON sehr treffend. Eine Stütze des Hauses,
Linda ORMISTON, war in den zwei kleinen Rollen der Kammerzofe und der
Putzfrau passend. Ebenso wie der Theater-Maschinist von Guy-Etienne GIOT.
Der
begeisterte Applaus des vollen Hauses zeigte, daß selbst ein so ungewöhnliches
und schweres Werk bei einem breiten Publikum Anklang finden und Enthusiasmus
auslösen kann. Großartig! wig.
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