Wenn
man schon nach zehn Minuten der Meinung ist, daß man mit der DVD und einem
Keks einen angenehmeren Abend verlebt hätte, dann ist das ein schlechtes
Zeichen. Die verbleibenden 130 Minuten haben daran auch wenig geändert...
Die
Kombination aus Inszenierung und schwer verständlichem Programmheft gibt
einem das dumme Gefühl, daß der Regisseur Robert TANNENBAUM einfach entschieden
hatte, daß ihm die ursprüngliche Handlung der Oper zu simpel sei. Das
Ergebnis ist eine Aufführung, die den Zuschauern wahrscheinlich unglaublich
viel mitteilen möchte - aber ich versteh sie nicht!
Das
fängt damit an, daß sich die sechs Hauptfiguren die gesamte Zeit auf der
Bühne befinden und mit Ausnahme Pizarros auch dann, wenn sie eigentlich
nicht anwesend sein sollten, mit den Anderen interagieren. Leonore sollte
eigentlich nach dem ersten Auftreten Pizarros längst wissen, wo ihr Mann
ist; Florestan (im Rollstuhl) hört das ganze Komplott im ersten Akt mit
an und zeigt sich im Zweiten trotzdem überrascht. Leonore versucht sogar,
bereits am Anfang Pizarro zu erschießen, wird aber von Jaquino und Marzelline
daran gehindert; Marzelline ist in der Kerkerszene anwesend und stürzt
sich nach Leonores Enthüllung über ihre wahre Identität auf sie, wodurch
Pizarro noch einmal kurz die Oberhand gewinnt, bis sich dann auch Rocco
und Jaquino einmischen. Schlägerei!
Der
Chor steht im ersten Akt in seltsamen Kostümen auf einer Empore oberhalb
der Bühne und fungiert von dort aus sowohl als Chor der Soldaten als auch
als Chor der Gefangenen. Ich habe neben mir jemand sagen hören, dass der
Chor diverse berühmte Sänger und Komponisten darstellen sollten und daraufhin
tatsächlich einen möglichen Beethoven entdeckt, und jemanden, der die
Frisur mit Sir Simon Rattle teilte; aber das war es auch an Ähnlichkeiten.
Eine Zopfperücke ist nicht ausreichend zur eindeutigen Identifikation.
Im
zweiten Akt tritt der Chor als Premierenpublikum auf. Auch eine Art, ein
paar mehr Programmheftchen loszuwerden. Seltsam reagieren darauf die Hauptfiguren:
Auf einmal ein Herz und eine Seele stellen sie sich Händchen haltend um
Florestans Rollstuhl, als müßten sie ihn vor dem bösen Publikum beschützen.
Pizarro hilft ihm sogar auf, als er zwischendurch irgendwann mal aus dem
Rollstuhl heraus fällt.
Die
sechs Hauptfiguren tragen übrigens samt und sonders gelb. Und ich dachte
immer, der Sinn von Uniformen sei, daß man Wärter und Gefangene besser
unterscheiden kann.
Mit
der Inszenierung kann man ja ungestraft spielen, aber so weit die Gesangstexte
abzuändern, hat sich Herr Tannenbaum dann doch nicht getraut. Das Ergebnis:
Einige Textpassagen haben mit dem, was wir auf der Bühne sehen, nichts
bis gar nichts zu tun. So singt Marzelline, sie "[dürfe] bei der Arbeit
nicht zaudern", wobei sie gerade dabei ist, Jacken vom Boden aufzuheben
(die am Ende der Ouvertüre einfach vom Himmel fielen), sie in der Mitte
zu falten und wieder auf den Boden fallen zu lassen. Arbeit? Definitionssache...
Jaquino
singt, er und Marzelline seien alleine, obwohl noch vier andere Leute
auf der Bühne stehen; die Gefangenen werden angeblich in den Festungsgarten
gelassen, rühren sich aber nicht von der Empore; Rocco singt vom Wert
des Geldes, während er gleichzeitig Scheine in kleine Stücke zerrupft.
Auf Fernandos "nicht länger kniet sklavisch nieder" möchte man nur "Tut
doch gar keiner!" antworten. Und der größte Witz: Florestan singt "die
Ketten [seien sein] Lohn"; später steht er "gefesselt, bleich" vor Fernando,
der noch etwas später den Befehl gibt, die Ketten abzunehmen. Das sind
wirklich unglaubliche Ketten... Vom Zuschauerraum aus sind sie völlig
unsichtbar! Gruppenhalluzination der Sänger? Wenigstens spart sich die
Inszenierung die mir so verhassten Nebengeräusche, aber die Musik kann
es nicht wirklich herausreißen.
Don
Fernando (Ks. Edward GAUNTT) und Jaquino (Andreas HEIDEKER) sind beide
gut, aber völlig unauffällig. Marzelline (Ina SCHLINGENSIEPEN) ist die
erste Katastrophe des Abends. Selbst von der zweiten Reihe aus habe ich
sie teilweise sogar während ihrer Arie nicht mehr gehört, so leise singt
sie. Dazu kommt eine nicht besonders saubere Artikulation, und damit wird
sie zur unverständlichsten Sängerin des Abends. Wahrscheinlich eher Schuld
des Regisseurs ist die Tatsache, daß sie, sobald einmal Fidelio versprochen,
auf einmal gar nichts mehr gegen die Annäherungsversuche Jaquinos hat
und sich von ihm ohne Widerstand in den Arm nehmen läßt.
Leonore
(Christiane LIBOR) brachte eine wirklich gute sängerische Leistung auf
die Bühne, spielte aber gleichzeitig wie ein Eisblock. Und dabei meine
ich wirklich nur Mienenspiel, Gestik und die gesprochenen Dialoge. Wenn
man sie singen hört und gleichzeitig auf der Bühne stehen sieht, ist der
Gedanke an Playback naheliegend, denn so ausdrucksstark der Gesang, so
völlig stocksteif steht sie da und so völlig regungslos bleibt ihr Gesicht.
Das absolute Lowlight in diesem Punkt ist die Reaktion auf Roccos "Vielleicht
ist er tot". Das darauf folgende "Meint Ihr?" klingt ungefähr so interessiert,
als habe Rocco gerade das schöne Wetter kommentiert.
Pizarro
(Walter DONATI) ist Leonores genaues Gegenteil. Während er eine schauspielerische
Glanzleistung auf die Bühne bringt (zumindest dort, wo ihm das die seltsame
Fantasie des Regisseurs erlaubt), ist sein Gesang weit weniger überzeugend.
Solange seine Stimme oben bleibt, ist alles wunderbar, aber die tieferen
Töne werden dafür schwach und leise. Er klingt, als sei ihm die Rolle
einfach zu tief.
Damit
bleibt es dem Greis und dem fast Verhungerten den Karren aus dem Dreck
zu ziehen... Ulrich SCHNEIDER als Rocco ist für die Rolle mehr als nur
zu jung, aber das ist auch meine einzige Kritik an ihm. Er singt und spielt
sehr überzeugend, und einer der besten Momente ist sein genervtes Gesicht,
als ihn Florestan nach dem Gouverneur des Gefängnisses fragt. Überhaupt
hat er eine sehr ausdrucksstarke Mimik. Sehr gut gefallen hat mir, wie
er sehr überzeugend Rocco als den kleinen Mann darstellt, der sich plötzlich
zwischen zwei Fronten sieht und eigentlich überhaupt nicht Partei ergreifen
möchte.
Florestan
schließlich war sicherlich der stärkste Sänger des Abends. Zwar beginnt
sein Dynamikspektrum frühestens beim Mezzoforte, aber so richtig übelnehmen
kann ich ihm das nicht, im Vergleich zu so vielen Negativleistungen auf
der Bühne. Thomas PIFFKAs Florestan ist nicht mehr der Mann, der Wahrheit
kühn zu sagen wagte, sondern der Mann, den zwei Jahre hinter Gittern zu
einem verängstigten Häufchen Elend gemacht haben. Seine Arie ist das absolute
Highlight; besonders schön ist hier seine Begeisterung über den vermeintlichen
Engel, und so herzzerreißend auch die folgende Ernüchterung, daß es sich
um eine Halluzination handelte.
Dem
CHOR unter Ulrich WAGNER nehme ich persönlich übel, daß der Anfang von
"O, welche Lust" unsauber war. Sie haben sich zwar schnell wieder gefangen,
aber so wirklich überzeugend war auch der Rest des Stücks nicht.
Das
ORCHESTER unter Christoph GEDSCHOLD lieferte eine saubere Untermalung;
einzig die Geigen dürften sich hin und wieder zurücknehmen, und das kleine
"p" unter der Notenzeile beachten.
Die
Oper endet schließlich damit, daß sich die Sänger wieder in die Position
begeben, an der sie zu Beginn standen, ganz als wollten sie uns klarmachen,
daß sie bereit seien gerade noch mal von vorne anzufangen. Bitte nicht!
Einmal war mehr als genug! NG
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