In
einem auf der Webseite der Oper Basel veröffentlichtem Video sagt Gabriel
FELTZ (Musikalische Leitung) ganz richtig, dass man Janáceks "Aus einem
Totenhaus" entweder klassisch oder auch in einem beliebigen anderen Gefängnis
aufführen kann. Leider hat sich der Regisseur Calixto BIEITO, obwohl diese
guten Einsichten doch da waren, sich lieber dafür entschieden, seine Aufführung
nirgendwo spielen zu lassen. "In einem beliebigen Land auf diesem Planeten",
sagt Feltz, aber wenn ich mir das so anschaue, frage ich mich, ob nicht
schon jemand den Herrn Regisseur auf den Mond geschossen hat.
Eine
verrückte Inszenierung könnte man ja akzeptieren, aber hier werden Geschichte
und Musik der Inszenierung geopfert. Es gibt einen guten Grund, warum
bei Opern meist eher wenig auf der Bühne passiert: Es macht Geräusche.
Bieito ist das egal. In der Ouvertüre spielen die Sträflinge und Wärter
auf der Bühne Fußball; dabei ist nicht ein Einziger der Hauptcharaktere
anwesend und daß es sich um Sträflinge handelt, kann man auch nicht erraten.
Weiterhin befindet sich auf der Bühne eine große Wasserpfütze. Alle Sänger
tragen Schuhe. Mit Gummisohlen. Die quietschen…
Die
Inszenierung ist so, daß man die Geschichte fast neu erzählen könnte.
Wir haben nur die Aussagen der Sänger als Bestätigung, daß es sich um
ein Gefängnis handelt. Davon zu merken ist wenig. Einige der Sträflinge
(zu denen Petrovic erst ab Mitte Akt zwei gehört) tragen Fesseln, bestehend
aus Drahtseilen (was die Frage stellt, wo denn das Kettengerassel im Orchester
herkommen soll), ein paar Leute haben Gewehre und sollen wohl die Wärter
sein (vom Kostüm her ist da wenig zu merken). Der Platzmajor taucht in
Frack und Pelzmantel auf und scheint Spaß daran zu haben, hin und wieder
jemandem sein Gewehr an den Kopf zu halten. Von Zwangsarbeit irgendeiner
Art ist auch nichts zu sehen, außer einigen Autoreifen, die über die Bühne
gerollt werden.
Ach
ja und der größte "spektakuläre Einfall" (Feltz): Im zweiten Akt landet
ein Flugzeug auf der Bühne. Meine Kommentare hierzu behalte ich lieber
für mich. Das Flugzeug bringt die Kostüme für die Theateraufführung sowie
einen Kanister mit Wodka, der vom Platzmajor persönlich an die Sträflinge
ausgegeben wird. Ich nehme an, daß es zuviel verlangt gewesen wäre, auch
nur die ersten paar Kapitel aus Dostojevskis Buch zu lesen…
Der
Pope (Martin KRÄMER) ist kein solcher, sondern ein Sträfling, der sich
irgendwann den erwähnten Wodkakanister erkämpft; auch die Dirne ist ein
junger, gutaussehender Sträfling (Constantin RUPP), womit auch die letzte
weibliche Rolle eliminiert wäre. Im Übrigen wird auch der Adler durch
ein Flugzeug ersetzt; ein Modell in Akt eins und der Start des großen
Flugzeugs am Ende von Akt drei. Was mich aber viel mehr ärgert, ist die
zwanghafte Modernisierung der Inszenierung. Ich habe nichts gegen moderne
Aufführungen, aber in diesem Fall war keine andere Idee da, als möglichst
viel nackte Haut, Sex und Gewalt zu zeigen. Bieito scheint dreißig Jahre
hinterher zu sein und noch nicht begriffen zu haben, daß Nacktheit, beziehungsweise
explizite Szenen auf der Bühne mittlerweile niemanden mehr schockieren.
Es ist einfach nur noch peinlich.
Die
beiden Theaterstücke der Sträflinge sind zum Softporno verkommen (denn
laut Inhaltsangabe des Programms "brechen unterdrückte Wünsche und Triebe
(…) hervor"), mit Teufeln, die Genitalien aus Ein-Liter-Plastikflaschen
mit sich herumschleppen. Petrovic wird im ersten Akt vom Platzmajor selbst
auf der Bühne ausgezogen, die Auspeitschung im hinteren Teil der Bühne
wäre wohl von weiter oben auch sichtbar gewesen… Am Ende von Akt zwei
wird Aljeja nicht im Streit verletzt, sondern schlicht und einfach vergewaltigt,
während die Wärter lieber Petrovic traktieren. Da damit ja auch der Grund
für einen Krankenhausaufenthalt wegfällt, schießen die Wärter hier einfach
mal in die Menge, so daß der dritte Akt wirklich im Totenhaus spielt.
In dem die Toten in Säcke gepackt werden. In Plastiksäcke, womit wieder
für einiges an Nebengeräuschen gesorgt wäre.
Janáceks
Schüler, welche die Oper fertig stellten, änderten das Ende ab, da es
ihnen zu pessimistisch erschien. Ha, das war doch gar nichts: Bieito fällt
sogar noch was Besseres ein als Janácek: Petrovic wird nach seiner "Freilassung"
einfach kommentarlos erschossen. Häh?!
"In
jeder Kreatur ein Funke Gottes". Dieser Satz war Janácek wichtig
genug, um ihn an den Anfang seiner Partitur zu stellen. Aber auch das
war Bieito wohl zu langweilig. Außer Petrovic und Aljeja verwandeln sich
sämtliche Personen in Sadisten, für die man nicht einen Funken Sympathie
empfinden kann. Selbst Petrovic scheint in Akt drei erstmal die ruinierte
Bibel wichtiger zu sein, als der verletzte Aljeja. Luka schneidet einem
der Streithähne des ersten Akts ein Ohr ab; Skuratov sticht Luka ein Messer
in den Arm; Šiškov und Šapkin prügeln sich ohne apropos in Akt zwei. Es
ist mir unmöglich, mich auch nur das kleinste bißchen für die doch eigentlich
tragischen Geschichten der Erzähler zu erwärmen.
Auch
hat wohl Skuratov als Verrückter nicht gereicht, denn noch eine ganze
Reihe weiterer Figuren werden mit heftigem Dachschaden porträtiert. Eine
schöne Illustration dessen ist beispielsweise der Kampf um Petrovics Schuhe
am Anfang oder auch der Major, der sich in Akt drei mit seinem Mantel
als Kopfkissen auf einer Tragfläche schlafen legt.
Eigentlich
bräuchte man nur noch eine furchtbare Qualität der Musik, um den Abend
perfekt zu machen. Davon kann allerdings nicht die Rede sein. Besonders
Rolf ROMEI (Skuratov) und L'udovit LUDHA (Luka Kuzmic/Filka Morozov) waren
eine Freude, die mich einige der Fehlgriffe schon fast wieder vergessen
lässt. Während ihrer "Arien" war es einfacher, die Augen zu schließen,
um das Elend nicht sehen zu müssen und sich in der Musik völlig zu verlieren.
Eung Kwang LEE (Petrovic) gehörte ebenfalls zu den überzeugendsten Sängern
dieses Abends, und ich finde es sehr schade, dass er nur so eine kleine
Rolle hatte. Karl-Heinz BRANDT (Šapkin/Kedril) fehlte das überzeugende
Schauspiel, er wirkte mehr wie ein Clown, was ich aber nicht mal als unpassend
empfinde.
Die
schwächste Leistung lieferte Andrew MURPHY (Platzmajor), der einfach zu
leise und kraftlos sang. Im ersten Akt müßte er dominieren, und das ist
nicht der Fall, wenn ihn Petrovic mit zwei Zeilen in Grund und Boden singen
kann. Der Rest der Sänger, leider inklusive Šiškov (Claudio OTELLI) war
gut, aber unauffällig. Die vielen Doppelbesetzungen führten dazu, daß
Aljeja (Fabio TRÜMPY) im dritten Akt von seinem Vergewaltiger (Hee Do
AN als Cekunov und der kleine Sträfling) den Tee gereicht bekommt… Als
herausragenden Schauspieler möchte ich noch auf Carlos OSUNA (der große
Sträfling) hinweisen, der während des Theaterstücks auch "Elvira" spielte
und tatsächlich Anlaß für einige Anfälle von Heiterkeit war.
Auch
das ORCHESTER kann ich nicht kritisieren und obwohl Feltz zu den Dirigenten
gehört, die gerne Tempoangaben überlesen, ist er doch auf die Idee gekommen,
einige Passagen langsamer zu spielen, was die Spannung immens erhöht.
Am Ende von Akt eins, hatte ich eine Gänsehaut.
Was
mich noch ärgert ist, daß so viele Ideen nicht einmal neu sind. Mit genau
zwei Ausnahmen finden sich sämtliche musikalischen Änderungen bereits
in der DVD-Aufnahme von Chereau und Boulez, und auch einige Details der
Inszenierung scheinen hier abgekupfert zu sein. Kann man Bieito wegen
geistigen Diebstahls in sein hier geschaffenes Gefängnis stecken?
Leider
ist eine tolle Musik nicht mehr viel wert, wenn sie ständig von weiteren
Geräuschen übertönt wird, und die Überinszenierung führt dazu, daß es
selbst mir, obwohl ich diese Oper so gut wie auswendig kenne, sehr schwer
fiel mich neben der vielen Handlung auf der Bühne auch noch ein bißchen
auf die Musik zu konzentrieren. Zusammenfassen läßt sich dieser Abend
mit einem Satz: "Was soll denn das?" Nora Gregor
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