Als
vor gut 40 Jahren die ersten Countertenöre von der britischen Insel nach
Deutschland kamen, wurden sie mißtrauisch beäugt; Männer, die klangen
wie Frauen waren verdächtig… Heute besitzt der Franzose Philippe JAROUSSKY
in der Alten-Musik-Szene einen ähnlichen Kultstatus wie etwa Anna Netrebko
in der Oper, die Karten gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln. Die
Unsrer Lieben Frauen Kirche war im Eilverfahren ausverkauft, obwohl das
Konzert erst nachträglich ins Programm des Bremer Musikfestes genommen
worden war.
Nun
sind Jugend, gutes Aussehen und Charme natürlich auch bei einem Mann kein
Hindernis für die Karriere, aber bei Jaroussky konzentriert sich das Interesse
doch vornehmlich auf die Stimme, zumal man ihn in Deutschland kaum auf
der Opernbühne erleben kann (auch diesbezügliche DVDs sind rar).
Es
ist zweifellos per se ein ungewöhnliches Organ, von der Lage her zwar
ein Alt, aber einem von ungewohnt hellem, extrem obertonreichen, fast
sopranigen Klang. Schon damit fällt er aus der Reihe, aber das wirklich
Faszinierende ist die phänomenale Technik. Daß er als Barockspezialist
Koloraturen in einem Tempo singt, von dem auch die direkten Kollegen vergangener
Jahre nur träumen konnten, gehört dabei noch zum heute erreichten Standard,
die Gesangstechnik hat sich durch die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte
gerade in diesem Bereich gewaltig weiterentwickelt. Absolut ungewöhnlich
aber ist das perfekte Beherrschen eines schier endlosen "messa di voce"
(Crescendo und decrescendo auf einem Ton) und der ebenso endlose "fil
di voce", Pianophrasen von einer Länge, bei der man sich unwillkürlich
überlegt, wann der Sänger eigentlich atmet. Dazu kommt eine wirklich unfehlbare
Intonation, die durch keinen zu geraden oder starren Ton getrübt wird
- Gesangskunst in Vollendung.
Die
vier Solokantaten von Nicola Porpora ("Perdono, amata Nice"), Giovanni
Battista Bononcini ("Siedi amarilli"), Alessandro Scarlatti ("Ombre tacite
e solo")und Antonio Vivaldi "Cessate, omai cessate") gerieten dabei als
solche etwas in den Hintergrund. Hübsche Gebrauchsmusik weitgehend, in
der meist irgendein Schäfer Liebesleid oder -freud in arkadischen Gefilden
besang. Die wirklichen kompositorischen Qualitäten offenbarten sich mehr
in der orchestralen Begleitung als in der natürlich effektvoll und meist
auf den Kontrast jeweils einer langsamen und einer schnellen Arie hin
angelegten Gesangspartie. Und was Vivaldi und Scarlatti ihren Instrumentalisten
an raffinierter und abwechslungsreicher Begleitung geschrieben haben,
zeigte schon sehr deutlich, warum sie im Gegensatz zu ihren Kollegen auch
heute noch allgemein bekannt sind.
Gespielt
wurde das vom CONCERTO MELANTE (7 Mitgliedern der Berliner Barock Solisten)
mit rhythmischer Präzision und jenem musikantischen Schwung, ohne den
Barockmusik in historischer Aufführungspraxis eine sehr akademische Angelegenheit
werden kann. Den Spaß an der Freud konnten die zwei Damen und fünf Herren
zwischendurch auch noch in einem Streicherkonzert von Vivaldi und einer
"Follia" (eine sich damals großer Beliebtheit erfreuende Variationenfolge
über einen Tanzsatz) des gute 50 Jahre jüngeren Domenico Gallo demonstrieren.
Wer
sich von der Qualität des Abends selbst überzeugen möchte, kann die am
9. Oktober 2009 um 21:05 Uhr beim Deutschlandfunk tun. HK
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