Peter
Ruzickas Musiktheater "Celan" erlebt gerade seine vierte Neuinszenierung.
Diesmal hat sich das Theater Bremen dem Werk um den Dichter Paul Celan,
der die Nazis überlebte und 1970 in Paris Selbstmord beging, angenommen
und dafür die junge Regisseurin Vera NEMIROVA gewonnen, die sich mit unkonventionellen
Inszenierungen bereits einen Namen gemacht hat.
Und
auch mit dieser Oper verfährt sie frei assoziativ, was bei der losen Szenenfolge,
die keine stringente Biografie sein will, sondern auch Brücken zum Heute
schlägt, gut funktioniert. Da wird aus der Pariser Metro eine Bibliothek
für den Büchermenschen Celan, u. a. eindrucksvoll dargestellt durch einen
frei im Raum schwebenden überdimensionalen Bücherwürfel (Bühne Stefan
HEYNE), oder die Regisseurin bricht den problematischen Sprung vom Grauen
des Holocausts in die Gegenwart, in der ein Hooligan, eine häßliche Schwangere
oder ein junger Nazi auftreten, indem sie die Szene auf ein Laientheater
herunter bricht, das sie wiederum mit Pappschildern ("Theater muß sein")
beinahe persifliert. Viele Brechungen für ein heterogenes Stück.
Aber
auch ganz klare, schlicht eindrucksvolle Szenen werden gestaltet. Die
Mitte der Oper bildet eine ergreifende, über achtzehn Minuten dauernde
Chorszene, betitelt "Das Grauen". Sie soll sich dem Schrecken der Vernichtung
annähern. Bei Nemirova steht der Chor in Alltagskleidung auf der Bühne,
während sich die gesungenen Vokalisen langsam zum Wort "Jerusalem" verdichten.
Der Chor entledigt sich dabei teilweise völlig seiner Kleidung und Wertgegenstände,
wie es in den Konzentrationslagern vor dem Gang in die Gaskammern erzwungen
wurde. In einer späteren Szene wird dann jeder einzelne Kleiderhaufen
von einer Lampe angestrahlt, Zeichen der Erinnerung an die Toten, wobei
einige Protagonisten die Lampen immer wieder ausschalten, die Erinnerung
quasi zum Verlöschen bringen. In der Schlußszene, kommt Celan als Kind,
auch das eine Ergänzung der Regisseurin, und knipst alle Lampen wieder
an. Ein schlichtes aber wirkungsvolles Bild über das, wie sich Celan wohl
selbst verstanden hat. So bleibt das Stück disparat, aber kleine Bögen
bietet die Regie bewußt an.
Da,
wo das Libretto Filme vorsieht, verweigert sich die Regisseurin, bringt
aber im Teil mit Gegenwartsbezug einen eigenen Film, in dem Bremer Schüler
Passanten in der Innenstadt zu ihrer Einstellung zum Holocaust befragt.
Die Musik läuft unter dem Film weiter und sorgt für eine Verbindung zu
den nachdenklich stimmenden Kommentaren.
Aus
der Fülle der Protagonisten sticht besonders der CHOR DES THEATERs BREMEN
hervor, aber auch Thomas E. BAUER, der als Celan 1 stimmlich wie darstellerisch
fantastisches leistet. Nur leicht ab fällt dagegen der Celan 2 von Yaron
WINDMÜLLER. Auch Nadine LEHNER als Celans Frau Christine ist stimmlich
wie darstellerisch ein Genuß. Julian BÜSING, Sara HERSHKOWITZ, Eun-Kyung
UM, Thomas MÖWES, Franz BECKER-URBAN, Christian-Andreas ENGELHARDT und
Barbara BUFFY seien stellvertretend für eine gute Ensembleleistung genannt.
Peter
RUZICKA dirigierte die BREMER PHILHARMONIKER selbst, und entlockt dem
Orchester einen klaren ausgewogenen spannungsreichen Klang. Daß die Sänger
manchmal Schwierigkeiten haben, sich gegen das Orchester durchzusetzen
ist wohl mehr dem Komponisten Ruzicka als dem Dirigenten Ruzicka zu schulden.
Schenken
tun weder die Inszenierung noch die Musik dem Zuschauer etwas, aber sehr
bereichernd für den, der sich auf beides einzulassen vermag. KSch
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