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Ausgrabungen. Das Capitole in Toulouse hat seine Saison mit Lalos "Le
Roi d'Ys" eröffnet und bringt nun Wolf-Ferraris "I quattro Rusteghi",
die vor zehn Jahren in der Opéra comique geplant waren, aber wegen Direktionskrach
nie zustande kamen. Denn Ermanno Wolf-Ferrari (1876-1948) ist ein weiterer
der fast vergessenen "kleinen Meister", die einige wirkliche Schätze geschrieben
haben und viel zu wenig gespielt werden. Für den zwischen Venedig und
München pendelnden deutsch-italienischen Komponisten war der 1. Weltkrieg
eine sehr schwierige Zeit, zumal die meisten seiner Opern auf deutschen
Bühnen und in deutscher Übersetzung uraufgeführt worden waren. Eigentlich
wollte er ja wie sein Vater Maler werden. Doch mit 13 Jahren hatte ihn
eine Tante nach Bayreuth mitgenommen, wo er "Meistersinger", "Tristan"
und "Parsifal" hörte - sein größtes musikalisches Erlebnis, was ihn bewog
sich der Musik zu widmen.
Da
er musikalisch ein Autodidakt war, ist seine Musik nicht einstufbar. Ausgenommen
zwei Jahre bei Rheinberger in München, hat er alles selbst gelernt, d.
h. "erhört". Obwohl der Bayreuth-Besuch sehr wichtig für Wolf-Ferrari
war, ist er kein Epigone. Auch von seinem Zeitgenossen Richard Strauss
hat er kaum gelernt, eventuell seine sehr schillernde Orchestrierung.
Seine Vorbilder waren Verdi und Boito, die er jung kennen lernte, und
vor allem Cimarosa, Pergolesi, Jomelli, Paisiello und ihre Zeitgenossen,
die klassischen italienischen Opernkomponisten des 18. Jahrhunderts. Wegen
einer gewissen Ähnlichkeit des Librettos von Giuseppe Pizzolato denkt
man öfters an "Falstaff", einige große Finali erinnern an Wiener Operetten.
Die Musik ist sehr eigenständig, ohne Zugeständnisse an Wagner, Verismus
oder Moderne. Wolf-Ferrari ist ohne Zweifel einer der größten Meister
der Ensembles - die bis zum "Dezett" gehen - wie man sie sehr selten hören
kann.
Als
Libretti wählte er meistens "Farse" aus Goldonis Produktion. Der Inhalt
der "Quattro Rusteghi" hat dramatisch einen sehr, sehr dünnen Faden: der
Geizhals Lunardo, seines Zeichens Antiquitätenhändler, will seine Tochter
Lucieta mit Filipeto, dem Sohn seines Freundes Maurizio verheiraten, natürlich
ohne die Jugend zu fragen. Nun verlieben sich aber die beiden Jungen unabhängig
davon und verraten ihre Liebesgeschichte den Gattinnen der vier Grobiane,
die natürlich für die Jugend Partei ergreifen. Cancianos Gattin Felice
organisiert den Widerstand (wie Alice Ford) und alles endet natürlich
in einem Happyend mit einer Hochzeit.
Die
Produktion in Toulouse kam von der Züricher Oper, mit der Nicolas Joel,
Capitole-Hausherr und bekannter Regisseur, viel zusammenarbeitet. Züricher
Chef-Regisseur Grisha ASAGAROFF hat das Spiel an das Ende des 19. Jahrhunderts
in die Zeit der Komposition der Oper verlegt. Er hat bei seinem Haus-Dekorateur
Luigi PEREGO eine Canaletto-Kulisse und zeitgemäße Kostüme bestellt: ein
Blick auf den Canale Grande mit drei konzentrischen rechteckigen Rahmen,
die nach Bedarf der Handlung wie ein klappbares Bilderbuch aufgehen und
verschiedene Ansichten Venedigs und seiner Palazzi bieten. Hans-Rudolf
KUNZ besorgte die ausgezeichnete Beleuchtung.
Eine
blendende Idee war Luigi PREZIOSO und seinen Tänzern das Ein- und Ausräumen
der Versatzstücke anzuvertrauen, die dies in Comedia dell'arte-Kostümen
besorgten, aber auch das hübsche Notturno am Ende des 1. Akts in Form
eines kleinen Balletts sehr lustig tanzten. Zum Schluß zieht das junge
Paar auf einer Gondel in die Zukunft.
Musikalisch
war die Aufführung hervorragend. Großen Verdienst hatte der Dirigent Daniele
CALEGARI, der die zarte und luftige Musik Wolf-Ferraris sehr detailliert
ausfeilte. Schon die Pizzicato-Einleitung der Ouvertüre setzte die Stimmung
für den vergnüglichen Abend. Das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE schätzte
die subtile Musik hörbar und musizierte in kammermusikalischer Art die
schillernde Partitur.
Das
italienische Ensemble - großteils aus dem Veneto, denn das Libretto ist
im venezianischen Dialekt geschrieben und nicht auf Italienisch - bestand
aus einigen bewährten Stützen der Opera buffa, und alle haben bereits
mehrmals ihre Rollen zusammen gesungen. Die quattro rusteghi sind alle
Bässe oder Baß-Baritone. Allen voran der Antiquitätenhändler Lunardo,
dem Roberto SCANDIUZZI seinen Basso profundo und trockene Komik lieh.
Ein Kabinettstück! Der zweite Rüpel, der reiche Kaufmann Maurizio, der
seinen Sohn Filipeto mit Lunardos Tochter Lucietta verheiraten will, war
mit Paolo RUMETZ bestens besetzt. Er sang mit ebenso profundem Baß den
eingebildeten Händler.
Simon,
der dritte im Bunde, ist noch am wenigsten grob und der zivilisierteste,
ein echter Signore, dem Carlos CHAUSSON die passende Eleganz und eine
Ladung stoische Ruhe gab, trotz seiner Gattin Marina. Canciano, der vierte
Grobian, Felices Gatte, wurde von Giuseppe SCORSIN sehr treffend dargestellt.
Das Zusammenspiel der vier Kumpane war perfekt, was hier wichtiger ist
als die individuelle sängerische Leistung. Ganz hervorragend und köstlich
war das Terzett zwischen Lunardo, Simon und Canciano im 3. Akt, in dem
sie ihre Gattinnen verteufeln. Das Publikum lachte aus vollem Halse.
Die
Damen waren ihren Haustyrannen ebenbürtig. Besonders Daniela MAZZUCATO
als Felice, Cancianos Gattin, eine hantige und attraktive Person, die
einen Hausfreund hat und die Lage völlig dominierte. Sie spielte ausgezeichnet
und setzte ihren schönen, gepflegten lyrischen Sopran bestens ein. Als
Margarita, Lunardos zweite Frau, gab Marta MORETTO eine sehr gelungene
Karikatur der frustrierten Bürgersfrau. Ihre Stieftochter, Lucieta, Lunardos
Tochter aus erster Ehe, war die reizende Diletta RIZZO MARIN, eine viel
versprechende junge Sopranistin, die nicht nur sehr gut sang, sondern
auch blendend das aufmüpfige junge Mädchen spielte, das unter dem Geiz
des Elternhauses leidet.
Eine
ziemlich anstrengende Person ist Marina, die Schwester Maurizios und Gemahlin
Simons. Schrecklich eifersüchtig und neidisch auf ihre Freundin Felice
(und ihren Hausfreund), ist die Rolle schwierig und kann leicht ins Outrieren
ausarten. Chiara ANGELLA wußte dies zu vermeiden und gab der Rolle Persönlichkeit
und Substanz. Ihren Neffen Filipeto, Maurizios Sohn, sang der junge Tenor
Luigi PETRONI mit gepflegter Stimme und fand am Schluß seine Lucieta.
Felices Hausfreund, den Grafen Riccardo Arcolai, der ständig den Degen
zieht und den Canciano natürlich haßt, sang Francesco PICCOLI mit gut
geführtem und angenehm timbrierten Tenor. Nicole FOURNIÉ als Marinas Dienstmädchen
nahm stoisch die abfälligen Bemerkungen Marinas hin.
Eine
vorbildliche Co-Produktion zwischen zwei bedeutenden Opernhäusern. Das
Publikum war begeistert von der hervorragenden Aufführung und feierte
alle Künstler stürmisch. wig.
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