VENUS UND IHRE SÄNGERJUNGS

Die Eutiner Festspiele mit ihrer idyllischen, im Schloßgarten direkt am See gelegenen Freiluftspielstätte, sind in diesem Jahr erheblich ins Schlingern geraten. Streitigkeiten ums Geld, um aktuelle und zukünftige Intendanten sowie die Auslastung prägten die Presse mehr als die künstlerischen Berichte.

Zum ersten Mal wagten sich die Festspiele an eine Wagner-Oper heran. Wenn man von einigen einzelnen Sängerleistungen absieht, ist das Wagnis gescheitert. Woran es letztendlich scheiterte, war eine unglückliche Mixtur aus wenig inspirierender Regie, einem indiskutablen Dirigat, einem völlig überfordertem Titelrollensänger sowie nicht sonderlich erinnerungswürdigen Leistungen in den Partien von Elisabeth und Wolfram.

Die Inszenierung von Kay KUNTZE schien sich nicht entscheiden zu können, ob nun eine Modernisierung des Stoffes stattfinden sollte oder nicht. Da hüpften einige Statisten mit roten Stoffbahnen, aus denen sie eine Netz flochten, im Venusberg und im dritten Aufzug herum, nachdem sie zuvor einem überdimensionierten Flügel entstiegen waren, Elisabeth mutiert nach ihrem Gebet zur Jungfrau Maria (hatte mich schon in der Hannoveraner Inszenierung nicht überzeugt), und ansonsten wird bestenfalls konventionelle Personenführung gezeigt. Der Sängerkrieg hat so seine Momente, auch dank der sehr lebendigen Sänger der kleineren Rollen, aber man hat insgesamt den Eindruck, daß die Darsteller sehr sich selbst überlassen bleiben. Auch hat Ausstatter Achim RÖMER wenig unternommen, die von Bäumen umgebene Spielstätte für eine Auseinandersetzung mit dem Stoff zu nutzen. Gegen die Kostüme war allerdings wenig einzuwenden.

Der Lübecker GMD Roman BROGLI-SACHER hat bei mir noch nie Begeisterung ausgelöst. Seine Leistung an diesem Abend unterbietet jedoch alles, was ich bislang - nicht nur von ihm - gehört habe. Nicht nur, daß er mit seinem schleppenden Dirigat das Stück ins Unendliche zerdehnte, sowohl im Graben, als auch auf der Bühne ging schlichtweg nichts zusammen. Die Frage "Wo sind sie eigentlich gerade?" hätte man wahrheitsgemäß kaum beantworten können, da man froh sein konnte, wenn das gemeinsame Anfangen zu einem gemeinsam Aufhören führte. Was dazwischen zu hören war, kann nur als chaotisch bezeichnet werden.

Ich bin ein Fan der HAMBURGER SYMPHONIKER, und aus diversen Konzerten weiß ich, daß sie auch Oper können. An diesem Abend hatten sie jedoch einen rabenschwarzen Tag. Da fielen nicht nur die Instrumentengruppen auseinander, sondern auch noch die einzelnen Gruppen untereinander. Die Verspieler häuften sich.

Ursprünglich sollte Stefan Vinke die Titelrolle singen, doch er mußte schon bald nach der Premiere krankheitsbedingt die weiteren Vorstellungen absagen. Man bot John TRELEAVEN auf, der darstellerisch überhaupt nicht vorhanden war, und sich keine Mühe gab, die Rolle irgendwie zu interpretieren. Das hätte man noch hinnehmen können, hätte die gesangliche Leistung nicht eine Zumutung dargestellt. Schon im Venusberg klang die Stimme vollkommen überfordert, am Ende des ersten Aktes brach sie derart ein, daß ich eigentlich mit einem Abbruch der Vorstellung rechnete. Es ging ohne jede Ansage weiter, so daß man davon ausgehen muß, daß dies jetzt der normale Zustand der Stimme ist, und es wurde nicht besser. In der Höhe kamen die Töne gar nicht oder nur mit einem Krächzen, in der Tiefe war er nicht zu hören. Eine Qual für die Zuhörer.

Als Elisabeth hatte man Stephanie FRIEDE engagiert. Für ihre Frisur kann man sie nicht verantwortlich machen, doch im Zusammenspiel mit ihren Gesten aus dem Repertoire der Klischeeoperndiva hatte sie eine fatale Ähnlichkeit mit Carlotta (der Primadonna aus dem "Phantom der Oper"). Als dann noch passend zu dieser Assoziation ein Quaken einer den See bewohnenden Ente mitten in ihren Gesang hereinplatzte, hätte es einer guten gesanglichen Leistung bedurft, um die Rolle noch zu retten. Doch immer wieder schlichen sich kleine Schlampereien in ihren Gesang ein, und im Finale des zweiten Aufzuges sowie im Gebet fehlte jeglicher Nachdruck.

Der Wolfram von Alexander MARCO-BUHRMESTER machte nichts wirklich falsch. Er hatte alle Töne, die Stimme klang auch ebenmäßig. Allerdings war keine Spur von einer Interpretation zu entdecken. Der "Abendstern" hatte so wenig Ausdruck, daß er schlichtweg fünf Minuten später wieder vergessen war.

Wenigstens in den restlichen Rollen gab es Grund zur Freude. Einsame Spitze an diesem Abend war Veronika WALDNER als Venus. Sie sang mit einer derartigen Expressivität, großer Sinnlichkeit, dabei auf Linie und wortverständlich, daß man sie zu sehen glaubte, denn auftreten durfte sie erst zum Schlußapplaus. Vorher erklang sie aus dem Orchestergraben. Was den Regisseur geritten haben mag, die einzige Sängerin, die das Desaster auf der Bühne im ersten und dritten Aufzug hätte retten können, szenisch nicht in Erscheinung treten zu lassen, bleibt sein Geheimnis.

Positiv blieb auf der Damenseite dazu Nadine LEHNER als szenisch aufgewerteter Hirt mit sauberen Tönen und sehr lebendigem Spiel, die Tannhäuser oder Elisabeth ohne weiteres die Show stahl.

Bei den Herren sorgte Hartmut BAUER als Landgraf in der, dem Vernehmen nach, vorletzten Opernvorstellung seiner Karriere, für Sicherheit in den Ensembles, die mehr von ihm denn aus dem Graben zusammengehalten wurden, und strahlte stimmlich in seiner Ansprache Menschlichkeit und Würde aus.

Dazu kamen noch der quicklebendige Walther von Ferdinand STEINHÖFEL (sein Auftreten im Sängerkrieg war zwerchfellerschütternd), der angemessen autoritäre Biterolf von Matthias KLEIN sowie die überdurchschnittlich gut besetzten Heinrich der Schreiber (immer mit Notizbuch bewaffnet Harald MEYER) und Reinmar von Zweter (Benno SCHÖNIG).

Der CHOR DER EUTINER FESTSPIELE unter der höchst kompetenten Leitung von Gabriele POTT schaffte es meist, dem Störfaktor im Graben nicht anheimzufallen, und bot eine homogene, engagierte Leistung. Daß die Herren im Pilgerchor des ersten Aufzuges mit ihren Geißeln auf ihren Regenmänteln für eine zusätzliche Geräuschkulisse sorgten, ist nicht ihnen anzulasten. Hier galt die Formel, die der Ausstatter sich merken sollte: Geißel + Regenmantel = Platsch MK