Edouard
Lalo (1823-1892) ist auch einer der für nur ein Werk bekannten Komponisten:
seine Symphonie Espagnole, ein für Pablo Sarasate geschriebenes Violinkonzert.
Seine beiden Opern "Le Roi d'Ys" (1888) und "Fiesque" (1867) (nach Schiller)
sind völlig vergessen. "Le Roi d'Ys" war aber noch in der sechziger Jahren
im Spielplan der Pariser Oper.
Zehn
Jahre jünger als Wagner hatte dieser nur wenig Einfluß auf den Franzosen.
Seine Vorbilder sind eher die Vertreter der Grand Opéra, Meyerbeer, Halévy,
Auber, aber auch - nicht zu vergessen - Berlioz und Saint-Saëns. Eine
viel freiere Form und Behandlung der Stimmen - keine formellen Arien -
stellen Lalo direkt in die Linie Berlioz. Lalo war Mitbegründer des Quatuor
Armingaud, in dem er Bratsche spielte, das maßgeblich zur Verbreitung
der deutschen Kammermusik in Frankreich, besonders Beethoven, Schumann,
Mendelsohn und Brahms beitrug.
Das
Libretto von Edouard Blau, einem der vielen Reimeschmiede der Zeit, geht
auf eine bretonische Legende zurück von der untergegangenen Stadt Is,
die an der Nordküste der südlichsten Halbinsel der westlichen Bretagne,
der Cournouaille (um Douarnenez und Quimper) gelegen sein soll. Die geographische
Nähe mit der Tristan-Legende, die teilweise auch dort spielt, ist eher
zufällig, denn es gibt keine wirkliche Verbindung zwischen den beiden
Sagen. Die Geschichte ist ziemlich verdreht: Der König von Ys will mit
seinem Feind Karnac Frieden schließen und ihn mit seine Tochter Margared
vermählen. Letztere schlägt Krach und lehnt den bösen Karnac ab, denn
sie will ihren Helden Mylio. Wenn sie erkennt, daß dieser ihre jüngere
Schwester Rozenn liebt, dreht sie völlig durch, verbindet sich mit Karnac
und erklärt diesem, wie man die Schleusen öffnet, die Ys vor dem Meer
schützen. Bis sie begreift, daß sie dabei ist, die ganze Stadt auszurotten,
ist es zu spät. Worauf sie sich voll Reue in die Fluten stürzt. Der Heilige
Corentin, der bretonische Schutzpatron von Ys, dreht das Wasser ab und
rettet so die Stadt.
Um
dieser wüsten Räubergeschichte einen Kern von Glaubhaftigkeit zu verleihen,
inszenierte Hausherr Nicolas JOEL persönlich und optierte für eine sehr
klassische Aufführung, unterstützt vom Talent seiner beiden Ausstatter,
Ezio FRIGERIO (Bild) und Franca SQUIARCIAPINO (Kostüme), sowie dem Beleuchter
Vinicio CHELI. Eine gruftartige, düstere Freitreppe vor einem großen Kirchtor
als Einheitsrahmen, mit einigermaßen wüsten Bekleidungen und wilden keltischen
Helmen. Zu der düsteren Handlung durchaus passend, etwas altmodisch, aber
durchaus ansehbar. Zum Schluß der Oper sprudelt das Wasser neben der Freitreppe
und aus dem Kirchtor und eine sehr realistische Überschwemmung macht den
Untergang der Stadt durchaus glaubhaft.
Auf
dieser Einheitsbühne tummelte sich der ausgezeichnete CHOR DES CAPITOLE
und der MÄNNERCHOR DER STRASSBURGER OPER, von Patrick Marie AUBERT sehr
gut einstudiert, sowie eine erlesene Sängerschar sieben junger Sänger.
Da diese Oper von zwei eifersüchtigen Schwestern handelt, sind diese natürlich
die wichtigsten Rollen. Die Aufführung in Toulouse hatte das gewohnte,
sehr hohe musikalische Niveau der Produktionen des Capitole.
Die
musikalische Seite der Produktion leitete der junge Kanadier Ives ABEL,
der in Toulouse debütierte. Er konnte die unbekannte Partitur dem ORCHESTRE
NATIONAL DU CAPITOLE mit viel Schwung beibringen, das sich selbst überbot.
Abel wußte das passende Gleichgewicht zwischen Drama, Bombast und lyrischen
Ergüssen zu wahren, ohne je in Kitsch oder Klamauk zu verfallen. Ein junger
Dirigent, dessen Namen man sich merken sollte.
Als
Margared hat Sophie KOCH hier erstmalig eine dramatische Rolle angegriffen.
Bisher in Hosenrollen (Cherubino, Oktavian, Komponist) oder in träumerischen
Goethe-Figuren (Charlotte, Mignon) aktiv, ist dies eine an Ortrud gemahnende
Figur, ein "fürchterliches Weib". Denn diese Furie, die aus lauter Eifersucht
ihre Familie und Landsleute ersaufen lassen will, ist auch entsprechend
musikalisch charakterisiert. Die sympathische Sängerin hat hier eine sehr
unsympathische Rolle angenommen, die sehr anspruchsvoll ist. Sowohl darstellerisch
als auch stimmlich war sie einfach großartig, denn diese Rolle geht ins
dramatische. Sie positioniert sich klar im hochdramatischen Fach. Ortud,
Venus und andere Wagner- und Straussrollen sind sicher in ihren Plänen.
Ihre
unfreiwillige Gegenspielerin, ihre Schwester Rozenn, war Inva MULA, die
der Lichtgestalt ihre wunderbare Stimme lieh und sehr innig die träumerische
Rolle sang. Mit ihrer Persönlichkeit beleuchtete sie die Rolle bestens.
Mylio, den Zankapfel dieser Streiterei sang der amerikanische Tenor Charles
CASTRONOVO sehr kultiviert mit schöner Stimme, die für diese Rolle jedoch
etwas zu klein ist. Eher im tenorino-Fach Rossinis und Donizettis zu Hause,
hatte er bisweilen Schwierigkeiten sich an seinen Partnerinnen zu messen
und in den großen Massenszenen stimmlich durch zu kommen.
Den
bösen Karnac, den Margared zuerst abgelehnt hatte und dem sie dann in
die Arme fällt, war bei Frank FERRARI, dem Spezialisten schwarzer Bösewichter,
bestens zu Hause. Sein mächtiger Bariton hat die nötige Schwärze für diese
Rolle. Außerdem spielt er ganz ausgezeichnet den wilden Kelten-Häuptling.
Den König, der dummerweise die Idee hatte, seine Tochter Margared ihm
ungefragt zu versprechen, war Paul GAY. Schöner Baß und groß gewachsen,
beides für diese Rolle sehr passend. Den Heiligen Corentin, der schließlich
wieder Ordnung schafft, spielte Eric MARTIN-BONNET, ebenfalls passend
mit seinem warmen Baß. André HEYBOER als Jahel, des Königs Vasall war
ebenfalls rollendeckend.
Das
Publikum war von der Oper und der Aufführung restlos begeistert und feierte
die Künstler stürmisch. Denn Toulouse liebt sehr gute Sänger. Selbst Direktor-Regisseur
Joel mußte auf die Bühne kommen, und das bei der zweiten Vorstellung am
Sonntagnachmittag! wig.
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