Eine
"Tristan"-Premiere in dem wunderbaren Théâtre du Capitole ist immer interessant,
besonders wenn junge, neue Sänger auf der Bühne stehen. Die Inszenierung
des Hausherrn Nicolas JOËL mit den Bühnenbildern und Kostümen von Andreas
REINHARDT ging auf das Essentielle ein: Musik und Text. Auf leerer Bühne
ist der halbrunde Bühnenboden in drei gleiche Segmente geteilt. Jeder
Teil wird im 1. Akt unabhängig von den anderen bewegt oder gekippt: das
zentrale Segment war das Schiff, das über die Irische See wogte, wobei
die drei Segmente sich verschieden hoben und senkten, das Ganze ohne Gequietsche!
Farbige Flecken wurden von oben auf den Boden projiziert. Ein sehr traumhaftes
und eindrucksvolles Bild! Während Isoldes Wutausbruch ("Blinde Augen")
begann der Vollmond aufzusteigen, um bei Tristans Auftritt in halber Höhe
zu stehen. Während im 2. Akt die drei Segmente flach lagen, war im 3.
Akt das mittlere Stück vorne über einen Meter hoch gehoben und wurde die
Warte, auf der Tristan und Kurwenal das Meer beobachteten, mit einer Wolke
über ihren Köpfen, die dräuend bei Tristans Tod langsam nieder sank.
Nicolas
Joel hat sichtlich ein sehr aktives Konzept der Personenführung für "Tristan".
Dies betraf besonders Marke. Er ließ ihn nicht seinen großen Monolog unbeweglich
predigen. Nein, der König von Cornwall ist verzweifelt, zu tiefst verwundet
und zeigt diese Enttäuschung. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, für den
Tristans "Verrat" die absolute Katastrophe ist, denn er weiß sich nicht
zu helfen. Isolde im 2. Akt ist ein verliebtes junges Mädchen, das die
Schuhe auszieht und weg wirft, wenn sie auf Tristan wartet. Weil Brangäne
die Fackel nicht löscht, wird sie grob, stößt ihre Begleiterin zurück,
reißt die Fackel vom Ständer und zertrümmert sie. Tristan ist zu Beginn
sehr zurückhaltend und distanziert, im 2. Akt ist er ein stürmischer Liebhaber,
der sich auf Isolde wirft. Im 3. Akt kniet er auf der Warte, trotz seiner
Verwundung, um besser zu sehen. Kurwenal ist kein lärmender Bauer, sondern
ein Freund und Ratgeber, der auch bisweilen handgreiflich wird. Melot
in blau möchte sehr gerne eines Tages auch eine weiße Uniform haben, der
perfekte Kriecher und zukünftiger Putschist. Ein
handfestes Konzept, das Musik und Text bestens zur Geltung bringt und
an Wieland Wagners Inszenierungen erinnert.
Einzig
die Kostüme waren "modern". Isolde in einer feuerroten Strumpfhose und
ebensolchen Schuhen, trug darüber ein großes weißes Abendkleid, das im
3. Akt in ein feuerrotes verwandelt wurde. Brangäne trug ein dunkelblaues
Kleid, Tristan war in schwarzem Gehrock, Kurwenal in weißem Frack-Jackett.
Unklar war, weshalb Marke in weißer Paradeuniform eines protzigen Admirals
einer Bananenrepublik mit Orden und großer Seidenschärpe auftrat und Melot
in Blau eines Kapitäns als Ordonanz. Es schien, daß Marke gerade mit einem
Putsch an die Macht gekommen war - die Marine tut das oft in Lateinamerika.
Die anderen Sänger waren unauffällig gekleidet. Vinicio CHELI sorgte für
die sorgfältige Beleuchtung der Aufführung.
Besonders
zu nennen ist natürlich das ORCHESTRE NATIONAL DU CAPITOLE, das mit perfekter
Intonation der großen und schwierigen Partitur voll Rechnung trug. Das
ist vor allem Pinchas STEINBERG zu danken, der vom ersten Takt an eine
ungewöhnliche Spannung erarbeitete. Die Ausfeilung der orchestralen Details
war mustergültig. Das Drängen war bereits im Vorspiel zum 1. Akt fühlbar
und steigerte sich an vielen Stellen, wie bei der Begegnung Isolde - Tristan
im 1. Akt und natürlich im Liebesduett des 2. Akts, das den Vergleich
mit großen Vorbildern nicht zu scheuen braucht. Der 3. Akt war ungeheuer
spannend und bei Isoldes Liebestod fühlte man wie die Seele aus dem Körper
entschwebt.
Einige
französische Rollendebüts fanden statt, u. a. in den beiden Titelrollen.
Janice BAIRD als Isolde ist wirklich ein Erlebnis. Zwar hat die Amerikanerin
nicht die dunkle Bronzestimme, die man oft mit Isolde assoziiert, sondern
ein sehr helles, jugendliches Timbre. Ihre Stimme ist von großer Durchschlagskraft
und Präzision, was zarte piani und feinste Phrasierung nicht ausschließt.
Ihre Bühnenpräsenz ist ungewöhnlich stark und ihr Spiel sehr durchdacht.
"O blinde Augen" ist wie ein Orkan, der Liebestod war feinst ziseliert.
Schade, daß ihre Aussprache nicht besonders gut ist.
Von
ihrem Tristan kann man das nicht sagen, dem Kanadier Alan WOODROW, der
an Wortdeutlichkeit unübertroffen ist. Obwohl er meistens forte singt
(alle Tristan tun das!), hielt er sich im 2. Akt etwas zurück, was ein
sehr dichtes, tief empfundenes Liebesduett ergab. In der Konfrontation
mit Marke war er plötzlich etwas belegt, und man mußte Arges für den Schlußakt
befürchten, doch er sang die Ausbrüche mit halluzinierender Kraft und
enormem Ausdruck - teilweise am Bauch liegend.
Sehr
tragisch gestaltete Kurt RYDL den König Marke, der die katastrophale Lage
gleich erkannt hat, aber nicht ein und aus weiß. Deshalb bewegt er sich
ständig auf der Bühne. Stimmlich ausgezeichnet, mit majestätischem Ausdruck.
Die Tremolos vor zwei Jahre sind verschwunden, außer bisweilen in der
Höhe auf lang angehaltenen Tönen. Sehr erfreulich war auch die Begegnung
mit dem jungen deutschen Bariton Oliver ZWARG als Kurwenal, der vollstimmig
und unaufdringlich dem Diener außergewöhnliches Profil gab; ein Künstler,
dessen Namen man sich merken sollte. Erfreulich war auch die Brangäne
von Janina BAECHLE. Rührend in ihrer Sorge um Isolde wie Kurwenal um Tristan,
steuerte sie ihren prachtvollen Mezzo für die Rolle bei; ein großer Genuß!
Unter
den restlichen Sängern stach Christer BLADIN als Melot durch seine stoische
Ruhe hervor, Alfredo POESINA sang hübsch das Hirtenlied und Laurent LABARBE
war ein passenden Steuermann, begleitet vom CHOR DES CAPITOLE (Leitung
Patrick Marie AUBERT).
Ein
ganz prachtvoller, großer Abend! wig.
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