Das
Libretto von "Idomeneo" des Gian-Battista Varesco, Hofkaplan des Primatus
Germaniae, dem salzburgischen Erzbischof Colloredo (mit dem sich Mozart
damals gerade endgültig zerkracht hatte), ist schlicht und einfach umstürzlerisch.
Die Auflehnung Idomeneos gegen die Ungerechtigkeit und Brutalität der
Götter ist eine offene Kritik der Kirche und des Absolutismus. Das Libretto
ist allerdings ungeheuer komplex und nicht immer dramatisch überzeugend,
was die Glaubhaftigkeit jeder Inszenierung erschwert.
Der
dreiundzwanzigjährige Mozart hat in diesem dramatisch schwierigen Werk,
der ersten der sechs "großen" Opern, den "Sturm und Drang" und eine neue
Operndramatik angekündigt, mit bisher nie verwendeten Orchestermassen,
u.a. die erstmalige Verwendung der Klarinetten, sowie vier Hörner und
drei Posaunen. In der Wiener Fassung ist Idamante ein Tenor, und Mozart
hat ihm eine seiner schönsten Tenor-Arie geschrieben, das Rondo "Non temer,
amato bene".
Bisweilen
erlebt man Aufführungen, die man ruhig als perfekt bezeichnen kann. Manchmal
passiert das selbst auf kleineren Bühnen. Bei der "Idomeneo"-Premiere
in Strasbourg war dies der Fall, eine optimale Synthese von Bühne und
Graben, Regie, Bild und musikalischer Interpretation. Die Szenographie
von Siegfried MAYER bestand rechts aus sich in Schneckenform in einander
schiebende acht Meter hohe, leicht gewölbte Platten, die das aufgepeitschte
Meer zeigten, während die linke Seitenwand das brennende Troja abbildete.
Dazwischen ein Strand und vor den riesigen Platten eine Art Baumstumpf.
Die vielfarbigen Kostüme von Karine van HERCKE sind bewußt nicht zeitgebunden
und zeigten den Chor abwechselnd dunkel oder hellblau, Idomeneo trug eine
große braune Lederrüstung, Idamante ist in weiß, Ilia zu Beginn in einem
dunklem Kleid, am Ende hell gekleidet. Elettra wechselte auch mehrmals
das Kleid und hatte selbst eine rotes Reisekostüms mit Schminkkoffer.
Die
Zeitlosigkeit der göttlichen Ungerechtigkeit, des Fatums wurde damit unterstrichen.
In dieser symbolischen Atmosphäre führte der Regisseur François de CARPENTRIES
erfolgreich die Sänger und den hier ungemein wichtigen Chor durch die
sich ständig überstürzenden Ereignisse. Die Regie wurde wirkungsvoll unterstützt
von der Beleuchtung von Therry FRATISSIER, wie die Sonnenfinsternis zu
Ende des ersten Schlußchors. Alles war durchwegs dezent, niemals provokativ,
was jedoch Überraschungen nicht ausschloß. Denn auf dem Baumstupf schlug
Idomeneo ein riesiges Henkerbeil ein und verwandelte diesen in einen Opferstein.
Wenn der kretische König sein Versprechen an Neptun gestand, entsprang
dem Opferstein ein roter, blutiger Quell.
Daß
die Wiener Fassung von 1785 - in der Idamante ein Tenor und kein Mezzosopran
(d.h. ein Kastrat) ist - gewählt wurde (mit einigen Nummern der Münchener
Ur-Fassung), hat ganz sicher zum Erfolg dieser Produktion beigetragen.
Musikalisch war die Aufführung von erlesener Qualität. Da die Straßburger
Philharmoniker auf einer längeren Auslandstournee (zwischen Wien und Hamburg)
waren, wurde das ORCHESTRE SYMPONIQUE DE MULHOUSE engagiert (die Produktion
geht auch nach Colmar und Mulhouse).
Unter
der Leitung von Theodor GUSCHLBAUER und dessen präzisen und ausgeglichenen
Tempi fand das Orchester den perfekten Mozart-Stil, der sowohl die dramatischen
Chorszenen als auch die sehr nuancierten Arien und Ensembles zur Geltung
brachte. Der Dirigent war auch den Sängern gegenüber besonders aufmerksam,
die seiner Leitung bestens folgten. Der Konzertmeister - leider im Programm
nicht genannt - konnte diese allgemeine Musikalität im Violinsolo in Idamantes
Rondo "Non temer, amato bene" bestätigen (allein für diese Prachtarie
ist die Wiener Fassung vorzuziehen).
Die
Titelrolle sang Kobie van RENSBURG, derzeit einer der kultiviertesten
Mozart-Tenöre. Als Feldherr und König bestach er durch sein intensives
eindrucksvolles Spiel. Daß er auch ein brillanter Sänger ist, bewies er
mit der Bravour-Fassung von "Fuor del mar", die mit Koloraturen gespickt
ist, und mit der er einen Triumph feierte. Als Idamante überraschte der
junge französische Tenor Sébastien DROY, der die Rolle zum ersten Mal
sang, nicht nur durch äußerst kultivierten Gesang, große Musikalität und
perfekte Diktion, die er bei dem erwähnten Rondo unter Beweis stellte,
sondern auch seine eindrucksvolle Bühnenpräsenz. Ihm zur Seite stand eine
weitere junge Debütantin als Ilia, Sophie KARTHÄUSER. Sie besitzt eine
wunderbare silbrige Stimme und besonderes Stilgefühl für diese Lichtfigur
der trojanischen Prinzessin. Die Namen der beiden jungen Sänger sollte
man sich merken!
Im
Gegensatz dazu hat Mireille DELUNSCH die ungeheure Rolle der Elettra schon
mehrmals gesungen. Obwohl im 1. Akt gesanglich nicht sonderlich überzeugend,
war sie in den beiden folgenden Akten sehr gut. Sichtlich vom Regisseur
gut geführt, war Delunsch hier nicht die absolut schlechte Furie (wie
in Paris), sondern das Opfer der blinden Mächte. Die Tochter der Klytemnästra
zu sein, ist ein schweres Los und nicht ohne Konsequenzen.
Auch
die kleineren Rollen waren durchwegs gut besetzt. Der junge katalanische
Tenor Roger PADULLÉS sang die 2. Arie des Arbace zu Beginn des 2. Akts
unmittelbar nachdem ihm Idomeneo die Hintergründe seiner Rettung erklärt
hatte. Als blinder Seher verkleidet, betrauerte er das Schicksal Sidons
und der Kretaner und sah das auf sein Volk zukommende Unglück mit seinem
inneren Auge, was er mit seiner schönen klaren Stimme verkündet. Der aus
dem Opernstudio der Straßburger Oper hervorgegangene junge Sänger war
auch der Gran Sacerdote am Ende des Aktes, der Idomeneo zum Bekenntnis
seiner Schuld zwingt.
Die
Rolle der Voce, die das lieto fine ermöglicht, sang Nicolas TESTÉ mit
schönem Baß. Die beiden Trojaner Chae-HoonBAEK und Fabien GASCHY, sowie
die zwei Kreterinnen Isabelle MAJKUT und Fan XIE, alle vier Chor-Mitglieder,
waren rollendeckend. Der ausgezeichnete CHŒUR DE L'OPÉRA NATIONAL DU RHIN
war von Michel CAPPERON hervorragend einstudiert. Am Pianoforte waltete
Cordelia HUBERTI.
Das
volle Haus feierte alle Künstler mit langem, stürmischem Beifall. wig.
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