Béla
Balázs' Libretto für Bartóks "Herzog Blaubarts Burg", die zweite Blaubart-Oper,
die ich in vier Tagen sah, steht zwar auch dem Symbolismus nahe, ist jedoch
viel mehr noch von der Psychoanalyse geprägt, die zur Zeit der Uraufführung
(1918) ihre ersten Höhepunkte fand. Deshalb haben die Regisseure Patrice
CAURIER und Moshe LEISER diese Seite unterstrichen, und den sonst nicht
gesprochenen Prolog - den ich noch nie gehört habe - vor Aufgang des Vorhangs
sprechen lassen. Man muß an "Pagliacci" denken, wenn der Dichter sagt,
daß alles nur Schein sei, und daß das Publikum "die Türen des Inneren
öffnen solle", um das Geschen zu verstehen.
Das
Schlafzimmer Blaubarts besitzt nämlich nur eine Türe, durch die Blaubart
und Judith zu Beginn eintreten. Die ganze restliche Handlung spielt sich
in den Köpfen Judiths und Blaubarts ab, eine Studie einer sado-masochistischen
Beziehung, die mit der Erstickung Judiths endet. Blaubart ist hier ein
obsessiver Schwächling, ein "serial killer", der zwischen Depression und
sexueller Brutalität schwankt. Deshalb wird die Öffnung der 5. Tür eine
Vergewaltigungsszene und der Schrei Judiths und die strahlenden Akkorde,
die sie begleiten, zum Symbol eines Orgasmus.
Man
kann diesem Regie-Konzept natürlich zustimmen oder nicht, da teilen sich
die Meinungen. Doch Caurier und Leiser führen es konsequent durch, was
eine höchst dramatische, packende Aufführung ergab. Der szenische Rahmen
ist dabei fast sekundär und der Dekor von Christian FERNOUILLAT und die
Kostüme von Agostino CAVALCA sind bewußt alltäglich: ein banales Schlafzimmer
der zwanziger Jahre mit Ehebett, Schminktischchen, Stehlampe und zwei
Lehnstühlen, mit Straßenkleidung der selben Zeit der beiden Sänger.
Um
einer solchen psychologische, anstrengenden Inszenierung gewachsen zu
sein, bedarf es zweier ungewöhnlicher Sängerpersönlichkeiten. Mit
Gidon SAKS in der Titelrolle stand ein sehr eindrucksvoller Sänger auf
der Bühne (er muß die 2-m-Latte erreichen), mit einem prachtvollen Baß
und ein hervorragender Schauspieler, der der gespaltenen Persönlichkeit
Blaubarts in dieser hyperrealistischen Regie völlig gerecht wurde. Judith
spielte Jeanne-Michèle CHARBONNET, die als ausgezeichnete hochdramatische
Wagner- und Strauss-Interpretin einen sehr guten Ruf hat. Stimmlich überragend,
spielte sie die anspruchsvolle Rolle zwischen sexueller Begierde und Ekel,
in der Ablehnung Blaubarts und in seinen Armen Schutz suchend, mit außergewöhnlicher
Intensität. Ein perfektes Paar in diesem Drama der Perversion! Eörs KISFALUDY
sprach den ungarischen Prolog.
Als
Vorspann des Abends war eine der schwierigsten Partituren des 20. Jahrhunderts
programmiert, Bártoks Ballett "Der Wunderbare Mandarin", das nur selten
auf der Bühne zu sehen ist. Die psychologische Komplexität dieser "Pantomime"
ist ein äußerst passendes, paralleles Stück zu "Blaubarts Schloß". In
der Choreographie der Amerikanerin Lucinda CHILDS tanzte das BALLETT DE
L'OPÉRA NATIONAL DU RHIN in Straßburg, von Claude AGRAFEIL neu einstudiert,
eine überraschend zahme, postmoderne Deutung dieses Balletts der Lust
und der Gewalt, das nach seiner Uraufführung 1926 in Köln vom damaligen
Bürgermeister (Konrad Adenauer!) wegen "Obszönität" verboten wurde. Die
Choreographin hat die rhythmische Rauheit der Partitur bedauerlicherweise
in den Gruppenszenen abgehobelt. Rudy SABOUNGHI entschied sich für eine
leere Bühne mit blauer, roter und gelber Beleuchtung (Christoph FOREY)
und im letzten Teil für eine einfache Projektion, die einen leeren Strand
andeutete. Die Klienten des Mädchens Mimi erschienen hinter einer großen
Mattscheibe.
Boyd
LAU als Mandarin in feuerroter Robe und Stéphane MADEC als die Prostituierte
Mimi in kurzem schwarzem Kleid bestachen durch die Präzision der Gestik
in den rhythmisch sehr schwierigen Passagen. Mit dieser ständig ändernden
Rhythmik stellt die Partitur eine große Herausforderung für die Tänzer
dar.
Die
drei Strolche, die die Klienten Mimis berauben, waren Jonathan FRECHES,
Pasquale NOCERA und Ramy TADROUS ZAKY und entkamen am besten der Nivellierung.
Als die zwei ersten Klienten waren Jean-Philippe RIVIÈRE und Grégoire
DAUJEAN passend. Unklar war allerdings, weshalb Mimi durch fünf weitere,
gleich gekleidete Tänzerinnen doubliert werden mußte. Leider bestätigte
das große Ensemble nur den Eindruck der Nivellierung und Abflachung.
Die
musikalische Leitung des gesamten Abends lag in den Händen von Daniel
KAWKA, einem bewährtem Spezialisten des Repertoires des 20. Jahrhunderts.
Seine perfekte Kenntnis der Musik Bartóks riß das ORCHESTRE NATIONAL DES
PAYS DE LA LOIRE zu einer erstklassigen Leistung mit, wobei sowohl die
Finessen, als auch die Rauheiten der raffinierten Partituren voll zum
Ausdruck kamen.
Stürmischer
Beifall für beide Stücke des weitgehend jugendlichen Publikums. Ein Ruhmesblatt
für die Angers-Nantes-Opéra! wig.
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