DAS TRIUMVIRAT DER TRISTESSE

Jubiläen haben immer einen Haken: Sie ziehen Politiker an wie Licht die lästigen Insekten. So auch geschehen bei der Premiere von "Fidelio" am Theater Kiel, das mit dieser Produktion sein 100-jähriges Bestehen feiert (Herzlichen Glückwunsch auch von uns an dieser Stelle!). Da konnten es sich der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen und die Kieler Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz nicht nehmen lassen, mit fehlendem Charisma und mangelnder Eloquenz klassische Politiker-Reden zu halten, deren Inhalt sich in zwei Sätzen zusammenfassen ließe, aber doch irgendwie auf epische Breiten ausgedehnt werden - so auch an diesem Abend. Nun ja, immerhin konnte man in Ruhe das Programmheft auswendig lernen.

Bei Carstensen kam es mir so vor, als würde jemand jeden Moment auf die Bühne kommen, um das Publikum und den Intendanten zu beschwichtigen: "Der tut nichts, der will nur sparen!". Letzterer, Daniel Karasek, hielt auch noch eine kleine Rede, die wesentlich interessanter und besser vorgetragen war.

In der Presse und im Programmheft las man in Bezug auf die Produktion von einer Neudeutung und Modernisierung. Was man zu sehen bekam, war super neues, total modernes und extrem progressives - Rumgestehe. Es war eigentlich eher ein mickriger Ansatz eines frühen Konzept-Entwurfs ("Fidelio" aus der Sicht von Marzelline oder so ähnlich), gerade so als hätte der Regisseur (Dominik NEUNER) die richtige Inszenierung zu Hause liegen lassen. Außerdem ist es wohl nicht so clever, Leonore bei ihrer Arie so zu plazieren, daß vermutlich der rechte Teil des Auditoriums sie nicht zu Gesicht bekommt. Dazu kamen etliche unsinnig lange Pausen zwischen der Musik.

Das Bühnenbild von Hans Dieter SCHAAL wirkte im ersten Akt durchaus interessant (der in der Lokalpresse avisierte Bezug zu einem KZ wollte mir aber nicht kommen...). Im 1. Teil des zweiten Aktes erinnerte es mich eher an einen Maulwurfsgang, im zweiten Teil an die Sofa-Abteilung eines schwedischen Möbelhauses. Natürlich darf nicht die biedere Stehlampe (samt ebensolcher Wohnaccessoires) vergessen werden, die auf der Rückfahrt noch für einigen Gesprächsstoff sorgte. Mit Ausnahme des Kostüme von Pizarro wirkte die Ausstattung von Julia Dominique DEBUS, als hätte sie einen Alt-Kleider-Container geplündert.

Seinen Ausnahme-Rang als Heldentenor konnte Scott MacALLISTER nach seinem famosen Tannhäuser auch hier als Florestan unter Beweis stellen. Ihm steht eine große Palette an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung ,und er scheut sich nicht, von ihr auch Gebrauch zu machen, so daß ich teilweise fast vergaß, wie schrecklich trist ich diese Oper doch finde. Mit strahlenden Höhen und sanften Piani vermochte er es, mich zu packen und auch an ganz andere Partien denken zu lassen, kreuz und quer durch das Repertoire von Puccini, über Giordano, über Verdi bis Wagner... Ich hoffe und denke, daß er noch eine große Karriere vor sich hat. Das Potential hat er absolut und einen Fuß in den Türen zu den großen Häusern auch (Tannhäuser an der DOB). Man darf gespannt sein!

Ihm zur Seite als Fidelio/Leonore stand Adrienne DUGGER, die schon über Bayreuth-Erfahrung verfügt (Senta), aber trotzdem eine solide Leistung ablieferte (hm, wie kommt denn dieser Zaunpfahl in meine Hand?). Ihre Stimme klingt in der Tiefe und Mittelage sehr interessant, nahezu verführerisch, in der Höhe jedoch scheppert es stark, was für mich nahelegt, daß sie doch eher ein hochgezüchteter Mezzo ist und einen Fachwechsel in Erwägung ziehen sollte. Ich fand sie in den dramatischeren Passagen besser als bei den lyrischen.

Als Pizarro begeisterte Jooil CHOI, der die böse Seite des Charakters stark rauskehrte und sowohl als Sänger wie als Darsteller komplett überzeugen konnte. Er ist einfach ein Bühnentier und füllte den an sich tristen ersten Akt mit Leben und natürlich auch den zweiten! Da störte es auch weniger, daß man doch einen starken koreanischen Akzent raushörte, der jedoch wiederum von dem grottoiden Text ablenkte. Ihm oblag denn auch die Ausführung eines der wenigen guten oder zumindest diskutablen Ansätze der Regie - Pizzaros Selbstmord.

Wilhelm SCHWINGHAMMER von der Hamburgischen Staatsoper bekam mit dem Rocco endlich mal die Gelegenheit, seinen schön timbrierten Baß in einer großen Partie zu präsentieren, was ihm sehr gut gelang. Er lieferte ein insgesamt gutes Portrait ab, wenngleich er freilich eigentlich noch ein paar Jährchen zu jung ist. In freudiger Erwartung harre ich seiner weiteren Entwicklung! Da ist sicher noch mehr drin.

Steffen DOBERAUER sang den Jaquino mit Spielfreude und tollem Material, das sich auch sicherlich bei Mozart und Rossini gut macht. Susan GOUTHRO (Marzelline) fiel mit ihrer zu soubrettigen Interpretation dagegen leider ab. Jörg SABROWSKIs langweilte als Fernando. Dafür ließen die beiden Gefangenen in Gestalt von Hojoon LEE und Shuichi UMINO auforchen.

Am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS KIEL hatte GMD Georg FRITZSCH im ersten Akt seine liebe Müh' und Not, alle zusammenzuhalten, was ihm zu oft mißlang. Dennoch ist ihm abgesehen davon eine alles in allem gute Leistung zu bescheinigen. Wenn mal alles gepaßt hat, hörte man eine durchaus profilierte Lei(s)tung. In überragender Manier präsentierte sich der CHOR unter Daniel MAIWALD, der sehr homogen und differenziert sang. WFS

P.S.: Zu meiner Freude holte Georg Fritzsch das Orchester am Ende des Abends auf die Bühne. Ich finde, daß man das durchaus etablieren sollte und zwar nicht nur bei Premieren oder besonderen Anlässen, sondern auch durchaus bei Repertoire-Vorstellungen, denn schließlich hat gerade das Orchester einen maßgeblichen Anteil an einer Aufführung!