Kennst
Du das Land, in dem man dem Publikum die Werke Richard Wagners inszenatorisch
kräftig entstaubt und musikalisch untadelig aufbereitet präsentiert? Es
liegt mitnichten im Süden Deutschlands, ist nicht in Franken oder gar
in der Nähe einer Hochburg des sogenannten Regietheaters angesiedelt.
Vielmehr handelt es sich hierbei um Schleswig-Holstein, das Land zwischen
den Meeren.
Diese
Aussage mag verwundern, doch konnte Didier von Orlowsky bereits zu Beginn
dieser Spielzeit mit seinem "Lohengrin" in Lübeck erneut begeistern, so
legte das Kieler Opernhaus nun mit einer "Tannhäuser"-Produktion nach.
Es
ist schwer zu beschreiben, was an dieser Deutung so anders ist. Es mangelt
nicht an den "üblichen Scherzen", an den grellen Farben und Attributen,
die Zuschauern die Modernisierung altbekannter Bühnenwerke oft zur Pein
werden lassen. Das Team Uwe SCHWARZ (Inszenierung), Nobert ZIERMANN (Bühnenbild)
und Gabriele JAENECKE (Kostüme) setzt diese allerdings geschickt ein,
zieht Pathos und Kitsch der Geschichte um den gestrandeten Künstler tüchtig
durch den Kakao, arbeitet dabei aber handwerklich präzise und läßt vor
allem weder die zentrale Vierecksgeschichte Tannhäuser/Elisabeth/Wolfram/Venus,
noch die Entwicklungen der anderen Figuren außer acht.
Dem
zu folgen, macht Spaß. Zugegebenermaßen habe ich während eines "Tannhäusers"
noch nie soviel gelacht. Ob der von der landgräflichen Jagdgesellschaft
erlegten Kaninchen, ob der weißen Regenschirme der heimkehrenden Pilger,
ob Tannhäusers Elisabeth-Porträt, gemalt auf die Rückseite eines "Rauchen
verboten"-Schilds - alles paßt, nichts davon stört, sondern fügt sich
zu einem einheitlichen Gesamtbild.
Aber
auch die ernsten Momente fehlen nicht. So, z.B. wenn die Stimmung auf
der Wartburg plötzlich umschlägt, und die anderen Sänger mit äußerster
Brutalität gegen den Außenseiter Tannhäuser vorgehen, oder der in seiner
Düsternis und Hoffnungslosigkeit kaum auszuhaltende letzte Akt.
Der
Kieler GMD Georg FRITSCH hat für diese gekonnte Inszenierung, gespielt
wurde die Dresdner Fassung, ein erstklassiges Sängerensemble um sich geschart.
Claudia
ITEN sang zu Beginn dieses Abends eine recht verhaltene Elisabeth, was
sicherlich der Premierennervosität geschuldet war, denn ab deren Ausbruch
während des Sängerkriegs hörte man Gesang erster Güte mit herrlichen Bögen,
samtener Zartheit, aber auch musischer Heftigkeit, wo es angebracht war.
Sie hauchte der Figur Leben jenseits jeglicher Hascherl-Attitüde ein und
machte begreiflich, weshalb es für Elisabeth keine andere Zukunft als
eine mit Tannhäuser gibt.
Nach
seinem stimmlich eindrucksvollen Pater Guardian in der "Forza del Destino"
war die großartige musikalische Leistung Hans Georg AHRENS' hier keine
Überraschung, doch zum volltönenden Baßgesang kam hier eine in jeder Einzelheit
durchdachte Rolleninterpretation. Sein Landgraf war in seinem antiquiertem
Gehabe urkomisch, ohne daß für eine Sekunde die Würde der Figur verlorenging.
An
einem größeren Haus käme ein Einsatz von Mirko JANISKA als Wolfram sicherlich
zu früh, doch in Kiel war es genau der richtige Moment. Mit liedhaft geschulter
und präziser, beinahe kammermusikhaft intim wirkender Stimme verschaffte
er seiner Figur Gehör (Was für ein wundervoll gesungener "Abendstern"!),
vernachlässigte im Spiel aber auch nicht die negativen Aspekte des Charakters.
Auch
die anderen Wartburg-Sänger waren ausgezeichnet besetzt. Jooil CHOI gab
einen stimmlich reizvollen, herrlich polterigen Biterolf, dem Militarismus
und Angrifflust in jeder Bewegung anzusehen waren. Johannes AN sang den
Walther mit einem ausgesprochen schönstimmigem Tenor. Als Heinrich der
Schreiber und Reinmar von Zweter ergänzten Steffen DOBERAUER und Matthias
KLEIN gekonnt.
Doch
was wäre "Tannhäuser" ohne einen überragenden Tenor in der Titelpartie?!
Scott MacALLISTER mußte erst, wie er selbst erzählt, von GMD Fritsch zur
Übernahme dieser Partie überzeugt werden. Der Tenor hat gut daran getan,
den Rat anzunehmen, denn Tannhäuser ist ideal für ihn.
Neben
einer deutlich sichtbaren, beinahe ausgelassenen Freude am Spiel konnte
er hier zeigen, wie groß die Bandbreite seiner Stimme tatsächlich ist
und welche Strahlkraft in ihr steckt. Auch die leisen, melancholischen
Töne kamen präzise und klangen wunderschön. Selten hat mich die Rom-Erzählung
in ihrer Gänze interessiert, geschweige denn, so berührt wie an diesem
Abend. Lobenswert die ausgezeichnete Diktion.
Julia
NEUMANN ließ als Hirte mit lebendigem Gesang und ebensolchen Spiel aufmerken,
während Brita HARDERS, Ilka von HOLTZ, Maria MEYER und Donka STOYANOVA
ihren noch kürzeren Auftritt ebenfalls gut meisterten.
Einzig
Hermine MAY fiel aus diesem Ensemble heraus. Ihre Venus erinnerte eher
an den "Hausfrauenreport Gelsenkirchen" als an die vielgepriesene Göttin
der Liebe, und auch stimmlich überzeugte sie nicht. Scharfe Töne und mehr
gequält klingende Ausbrüche machten das Zuhören mühselig.
OPERN-
und EXTRACHOR des Theaters Kiel (Einstudierung: David MAIWALD) sangen
grandios genau und homogen, besaßen eine exzellente Diktion und fügten
sich ohne überflüssiges Aufheben in die Inszenierung.
Aus
dem Graben hätte man sich teils, z.B. während der Ouvertüre, etwas frischere
Tempi und ein paar schärfere Konturen gewünscht, doch das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER KIEL besitzt einen runden, satten Wagnerklang, zu dem sich eine
hohe musikalische Exaktheit gesellt. Besonders die (Blech-)Bläser, sonst
oft ein Manko bei Wagner-Aufführungen, seien an dieser Stelle gelobt.
Die
Bühnentrompeten klangen exzellent und waren vor allem stets zusammen,
und Birgit KAAR dürfte ein der wenigen Harfenistinnen sein, die nicht
nur ausgezeichnet spielt, sondern sich auch extrem sportlich über einen
Tisch schwingen kann.
Mit
"Suche dein Heil, finde es nie!" ist diese "Tannhäuser"-Produktion überschrieben.
Eine weitere, exzellente Wagnerproduktion findet sich in Schleswig-Holstein
nun allemal - und man ist auf die neuen Einfälle (und Überredungskünste)
des Kieler GMD gespannt. AHS
P.S.
Manchmal gibt es auch in Kiel Wolken auf der Bühne. ;-)
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