Diese
Vorstellung war als "Gala" angekündigt, Marcello Giordani sollte den Cavaradossi
singen. Giordani sagte jedoch ab, die Frankfurter Oper stand vor der Frage,
was tun? Nach erfolgloser Suche nach einem Ersatz beschloß man, den Sänger
der Rolle in den "normalen" Vorstellungen zu verpflichten. Dem Publikum
wurde freigestellt, in der Pause oder nach der Vorstellung sich den Gala-Aufpreis
zurückerstatten zu lassen. Die müssen sehr überzeugt von ihrem Tenor sein,
war mein erster Gedanke. Trotzdem blieb ich skeptisch.
Es
ist schwer, eine "Tosca" szenisch gegen die Wand zu fahren. Wenn man drei
Sänger hat, die wissen, was sie tun, stört weder eine häßliche Kulisse,
noch ein irritierendes Konzept. Alfred KIRCHNER und sein Bühnenbildner
Karl KNEIDL haben für den ersten Akt drei Spielflächen geschaffen, eine
normale Bühne, den Platz darunter und das Malergerüst als Brücke über
die Bühne in Höhe des 2. Ranges. Der zweite Akt ist relativ beengt, hier
gibt es eine steile Treppe, fast schon eine Leiter, auf der Scarpia herumturnen
darf. Der dritte Akt war speziell zu Beginn von mir überhaupt nicht nachvollziehbar.
Da steht der Hirt (Jan SCHEIDL hundertprozentig intonationsrein!) nur
mit Shorts bekleidet allein auf der Bühne und verstreut Blumen. Bevor
der Schließer erscheint, bauen die Bühnenarbeiter dann die Kulisse erst
auf. Ob dies nun eine Theater-im-Theater-Situation suggerieren soll, entzog
sich meinem Verständnis. Auf mich wirkte es eher, als sei dem Regisseur
für dieses Zwischenspiel nichts eingefallen.
Positiv
ist die Personenführung (Leitung der Wiederaufnahme: Saskia BLADT) zu
vermelden. Da findet viel Bewegung statt, ohne daß Hektik verbreitet wird,
Scarpia verletzt ständig den persönlichen Raum von Tosca und Cavaradossi,
indem er ihnen zu nahe kommt, Cavaradossi arbeitet ungerührt weiter, während
Tosca von "nostra casetta" schwärmt, während des "Te Deum" reißt sich
Scarpia die Kleider förmlich vom Leib ("In chiesa!" möchte man ausrufen,
aber der Effekt hat was), Angelotti bekommt von den Anstrengungen der
Haft und Flucht das Würgen...
Dirigiert
wurde der Abend von Stefan SOLYOM, der mit dem fehlerlosen FRANKFURTER
MUSEUMSORCHESTER zwar keine neuen Einsichten in das Werk bot, aber den
Abend überaus kompetent zusammenhielt, immer sängerfreundlich blieb und
wußte, wie man die komponierten Effekte ausmusiziert. Der CHOR sang hochklassig.
Eszter
SÜMEGI in der Titelrolle legte diese stimmlich sehr lyrisch an, so daß
man zu Beginn sich schon sorgte, ob sie den dramatischen Ausbrüchen gewachsen
sein würde. Diese Sorge war unbegründet. Es gab keine Grenzen, an die
die Sängerin jemals stieß. Die Stimme ist zudem apart timbriert. Darstellerisch
war sie im ersten Akt durch eine sehr unkleidsame Kostümierung (Margit
KOPPENDORFER) behindert, in der sie ausschaute wie eine Krankenschwester
auf dem Rückweg von der Nachtschicht. Das gab sich jedoch im zweiten und
dritten Akt, auch wenn sie dabei weniger die Diva als die liebende Frau
in den Vordergrund stellte.
Einen
Tag nach dem Sebastiano in "Tiefland" tobte sich Lucio GALLO an einem
weiteren Erzbösewicht der Opernliteratur aus. Dieser Scarpia bebt förmlich
vor Begehren, was unter der herrischen Oberfläche tobt, und er setzt dieses
Begehren trotzdem bewußt ein, um Tosca durch die sexuelle Bedrohung zum
Geständnis zu zwingen. Stimmlich trumpft er im "Te Deum" enorm auf, doch
Herzstück der Interpretation ist die Szene, in der er Tosca den Preis
nennt für Cavaradossis Rettung, wo die ganze Persönlichkeit von Scarpia
zwischen gefährlich leisen piani und machtvollem Befehlston entwickelt
wird. Da ist nicht nur sein Opfer wider Willen fasziniert.
Soon-Won
KANG als Angelotti sang und spielte überzeugend ein traumatisiertes Folteropfer,
dem man abnahm, daß er sich lieber umbringt, als noch einmal in Scarpias
Hände zu fallen. Der Mesner von Franz MAYER gehörte nicht zu den besten
Mesnern aller meiner "Tosca"-Vorstellung, aber auch nicht zu den schlechtesten.
Er war sehr solide. In den kleineren Rollen fiel Michael McCOWN als überraschend
stimmschöner Spoletta auf. Gérard LAVALLE (Sciarrone) und Zoltan WINKLER
(Schließer) ergänzten überaus kompetent.
Und
der Tenor? Francesco HONG war mir noch nicht einmal dem Namen nach bekannt.
Da kam jedoch ein nicht sonderlich großer, optisch nicht unbedingt dem
romantischen Helden entsprechender Mann auf die Bühne, öffnete den Mund,
und mir fiel die Kinnlade herunter. Die Stimme hat ein Timbre, das irgendwo
zwischen di Stefano, Aragall und Carreras anzusiedeln ist, sie ist absolut
höhensicher und vollkommen ebenmäßig geführt. Und dazu verläßt sich der
Sänger nicht allein darauf, sondern er weiß zu phrasieren, ist von exemplarischer
Wortdeutlichkeit, und er kennt die Geheimnisse eines pianissimo. Dieser
Tenor ist schlichtweg sensationell und brachte das Publikum geradezu zum
Ausrasten.
Ich
habe den Gala-Zuschlag nicht zurück verlangt. Und sollte dies jemand tatsächlich
getan haben, so hat dieser jemand meiner Ansicht nach Riesentomaten auf
den Ohren. MK
|