Die
letzte Aufführung der Saison in Bordeaux ist meistens ausgezeichnet, und
man hört oft junge Sänger zum ersten Mal. Auch diesmal stimmte dies: ein
paar "alte Bekannte" und mehrere junge, talentierte Sänger.
Robert
CARSENs nun vierzehn Jahre alte Reise-Inszenierung ist nach vielen Vorstellungen
quer durch Europa wieder an die Stelle der Erstaufführung zurückgekehrt.
In den einfachen Bühnenbildern und den netten Kostümen von Charles EDWARDS
(letztere mit Gabrielle DALTON) und der passenden Beleuchtung von Dominique
BRUGIÈRE hat Carsen eine flotte und geschickte Personenführung auf die
Bühne gestellt. Die Handlung spielt hier im viktorianischen England, was
durchaus vertretbar ist und zu einigen guten und amüsanten Gags führt,
die aber nie vulgär oder dämlich sind; so gießt sich der Graf völlig erschöpft
nach der Entdeckung der Verwandtschaft zwischen Figaro und Marcellina
einen zweiten Whiskey ein, oder wenn Cherubino und Barbarina in der Schreibtischlade
des Grafen wühlen und ein Exemplar von "Playboy" finden.
"Verkleidung"
ist das Grundthema der Inszenierung. Deshalb sind ständig Schneiderpuppen
auf der Bühne. Während des Fest-Marsches im 3. Akt tragen alle ihre Festtagskostüme
auf solchen Kleiderständern, und der 4. Akt spielt in einem Wald von Kleiderpuppen.
Alles ist etwas oberflächlich beschwingt und leicht, ohne trivial zu werden.
Sicher, Conte Almaviva ist ein sexbessener Macho, ein brutaler, eifersüchtiger
und letzten Endes lächerlicher Potentat, ein würdiger Kollege Don Giovannis.
Musikalisch
war der Erfolg Jane GLOVER zu verdanken, die hier vor zehn Jahren in einer
ausgezeichneten Aufführung von Glucks "Orphée et Eurydice" zu erleben
war. Sie leitete das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE mit Schwung
und Präzision, aber kümmerte sich auch sehr um die Sänger, die ihre umsichtige
Leitung genossen und befolgten. Das bewirkte, daß die Ensembles besonders
kohärent waren, trotz der etwas zusammen gewürfelten Besetzung. Das Grafen-Paar
sangen zwei ausgezeichnete, uns unbekannte Sänger. Die Engländerin Claire
RUTTER war eine elegante Contessa und bestach mit wunderbar geführter,
voller Stimme und wunderschönem legato, das in der 2. Arie "Dove sono"
voll zum Ausdruck kam. Riccardo NOVARRO als Conte brachte die Frust und
Ohnmacht in der Szene "Hai già vinta la causa!" sehr treffend zum Ausdruck.
Sein angenehmer Kavaliersbariton war für diese Rolle sehr passend.
Das
Diener-Paar war ebenso bestens besetzt. Der Figaro von Nicolas CAVALLIER
besitzt einen prächtigen basso cantate, den er sehr vorteilhaft anwendet.
Er ist auch ein sehr guter Schauspieler, der seinen Charme und sein gutes
Aussehen in der großen Arie des 4. Akts "Aprite un po' que l'occhi" (im
Parkett gesungen) bestens zur Schau stellte. Anna-Maria PANZARELLA sang
eine sehr gefühlte Rosenarie im 4. Akt, zeigte aber eine Susanna mit festem
Charakter, die Figaro kurz darauf richtig verdrosch.
Diana
AXENTIL ist eine große, etwas rundliche junge Mezzosopranistin aus Moldavien.
In ein Polo-Kostüm gequetscht, spielte sie passend den etwas übergewichtigen
hormon-getränkten Teenager Cherubino, dessen Arien sie mit hübscher Stimme
sang. Auch das intrigierende Elternpaar war blendend besetzt. Marie-Thérèse
KELLER im luxuriösen Pelzmantel gab der Marcellina eher den Status einer
eleganten Mätresse als einer Haushälterin. Leider wurde ihre Arie "Il
capro e la capretta" gestrichen. Als Dottore Bartolo posaunte Luciano
DI PASQUALE mit seinen profunden Baß "Tutta Siviglia conosce Bartolo"
in den Saal.
Don
Basilio, Ricardo CASINELLI, wahrlich keine umwerfende Stimme (deshalb
auch die Arie im 4. Akt gestrichen), aber ein ausgezeichneter Schauspieler,
war als Clergyman gekleidet bzw. als Kardinal in rot im 4. Akt. Er wußte
die lächerliche Intrigantenrolle zu profilieren, indem er sämtliche Ereignisse
gleich in seinem Notizbuch aufschrieb. Der Barbarina gab die Georgierin
Khatouna GADELIA kindliche Naivität und suchte mit hübscher Stimme ihre
Nadel. In den kleinen Rollen des Don Curzio und des Gärtners Antonio waren
zwei Choristen eingesetzt, Olivier BEKRETAOUI und David ORTEGA, die sich
mit Erfolg ihrer Aufgabe entledigten.
Das
meist gutbürgerliche Sonntagnachmittag-Publikum, meist ältere Jahrgänge,
war begeistert und feierte alle Künstler mit enthusiastischem Beifall.
wig.
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