Beethovens
einzige Oper ist einer der Grundpfeiler des deutschen Opernrepertoires.
Aber an keinem Opernhaus Frankreichs steht "Fidelio" regelmäßig auf dem
Spielplan; auch die Pariser Opéra hat Beethovens Freiheitsoper seit Jahrzehnten
nicht gespielt. Aufführungen in Paris sind entweder konzertant oder waren
Gastspiele deutscher Opernhäuser. "Fidelio" wird selbst von bekannten
Kritikern als ein schwaches Werk angesehen. Dafür gibt die Hälfte aller
Orchester Frankreichs in jeder Saison ein reines Beethoven-Konzert, die
andere Hälfte in der nächsten Saison. Komplette Zyklen von Beethoven-Symphonien
sind keine Seltenheit. Es ist deshalb erfreulich, daß man in Bordeaux
"Fidelio" in einer passablen Produktion und guten Besetzung heraus gebracht
hat, zumal ja das 1780 eröffnete, wunderschöne Grand Théâtre von Victor
Louis (das schönste Frankreichs) mit prächtiger Akustik ein ideales Haus
für Beethovens Oper ist.
Für
Inszenierung, Bühnenbild und Beleuchtung zeichnete Giuseppe FRIGENI. Daß
er Mitarbeiter von Bob Wilson war, ist offenbar, denn er hat auch den
Langsam-Tick seines Mentors. Sänger und Chor wandern ständig im Zeitlupentempo
auf der Bühne herum und warten auf ihren Auftritt. Das Einheits-Dekor
war recht passend und wurde essentiell von zwei hohen Gittergängen beherrscht,
die bedarfsweise herum geschoben wurden. Mehrere nicht unbedingt notwendige
Utensilien wurden verwendet, z. B. drei silberne Armleuchter in der 1.
Szene, sowie ein größeres Kleiderregal, bei dem sich alle einkleiden.
Ein riesiges Auge wird in der Schlußszene auf den Hintergrund projiziert.
Weshalb?
Daß
der Text von Sonnleitner und Treischke keine unsterbliche Literatur ist,
ist bekannt und Striche im gesprochenen Text sind üblich und kein Verbrechen.
Doch es gibt Grenzen, denn diesmal fand sich ein Nicht-Kenner sicher nicht
zurecht: vom ursprünglichen verbindenden Text blieben vielleicht ein Dutzend
Zeilen übrig! Leonores erster Auftritt fand nicht statt, sie war ja seit
Beginn da, kein Mensch weiß, weshalb, woher sie kam, denn das Quartett
begann ohne jegliche gesprochene Einleitung. Völlig unklar war auch, wieso
Leonore Don Pizarro in Schach halten konnte, denn sie ist unbewaffnet.
Verständlichkeit der Handlung sollte eigentlich das Minimum sein, was
das Publikum von einem Regisseur erwarten kann. Die Kostüme von Amelie
HAAS waren dunkel, aber passend, z. B. der Ledermantel Pizarros mit großen
Aufschlägen.
Am
Pult setzte Klaus WEISE von Beginn an starke Zeichen, indem er eine sehr
belebte und gleichzeitig straffe Leitung des Orchesters bot und besonders
die Bühne sehr beachtete. Der Gefangenen-CHOR (unter der bewährten Leitung
von Jacques BLANC) ist schon lange nicht so prachtvoll gesteigert gesungen
worden, von den beginnenden Fagotten bis zu "Oh Freiheit, wann kehrst
Du uns zurück!" Das hervorragend spielende ORCHESTRE NATIONAL DE BORDEAUX-AQUITAINE
zeigte sich von der Leitung des deutschen Dirigenten sehr inspiriert.
Besonders die Bläser waren erstklassig (speziell die Hörner). Da Orchester
und Dirigent sehr in Schwung waren, ist umso mehr zu bedauern, daß vor
dem letzten Bild die 3. Leonoren-Ouvertüre nicht gespielt wurde.
Die
Sänger zeigten Ensemblegeist und trugen die Handlung, trotz des fast vollständig
fehlenden gesprochenen Dialogs. Die große Überraschung der Aufführung
war Cécile PERRIN in der Titelrolle. Die junge Französin - obwohl zu Beginn
etwas belegt - sang eine hinreißende Leonore. Man mußte an die junge Martha
Mödl denken, mit ihren Vor- und Nachteilen. Einerseits die prächtige dunkel
timbrierte Bronze-Stimme, anderseits auch die bisweilen flackernde Intonation
der Höhen erinnerten an das berühmte Vorbild. Der junge Heldentenor Klaus-Florian
VOGT war ein ausgezeichneter Partner als Florestan. Er begann sein "Gott,
welch' Dunkel hier!" mit pianissimo und steigerte bis zum fortissimo,
ohne zu forcieren. Erschütternd! Welche Stimme und Gesangskultur!
Der
Dritte im Bunde war der hervorragende Rocco von Andrew GREENAN, der mit
profundem Baß die Gold-Arie sang. Nicht sonderlich überzeugend war David
PITTMAN-JENNINGS als Don Pizarro. Sein etwas trockener Bariton beginnt
langsam die Länge seiner Karriere anzuzeigen, besonders in den Höhen.
Das Liebespaar Marzelline und Jacquino war bei Kemy MCLAREN und Collin
JUDSON bestens aufgehoben. Beide sangen mit angenehmen Stimmen und spielten
passend.
Robert
POMAKOV war ein schön singender Don Ferrando. Olivier SCHOCK und Pascal
WINTZER, die beiden Solisten des Gefangenen-Chors sangen mit perfekter
Diktion ausnehmend gepflegt und schön (was selten der Fall ist!). - Dankbarer
Applaus des Publikums für Sänger und Dirigenten. wig.
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