Das
hübsche Théâtre du Capitole de Toulouse war schon immer eine der ersten
Opernbühnen Frankreichs. Im Vorjahr hat man sich bereits "La Rondine"
angenommen. 1997 war es "Il Trittico", der szenisch nur selten komplett
in Frankreich gegeben wird. Diese Wiederaufnahme war eine gute Gelegenheit
die - in der Opergeschichte einmalige - Trilogie zu sehen. Die Reise in
die wunderschöne "Ville rose" hat sich wirklich gelohnt.
Puccini
war ein Theatermensch und wählte daher immer seine Stoffe für ihre dramatische
Kraft aus. Nach "La Fanciulla del West"- der erste Spaghetti-Western -
wollte Puccini ein Werk über die menschlichen Laster in mehreren Teilen
schreiben, aber in bewußt populärer Art. Es suchte zuerst im "Inferno"
Dantes nach einem passenden Stoff, wurde aber nicht fündig. Er versuchte
es dann bei Maeterlinck und Maxim Gorki und mit mehreren ihm bekannten
Librettisten. Von seinen beiden Erfolgslibrettisten ("Bohème", "Butterfly",
"Tosca") Illica und Giacosa war der letztere 1909 gestorben, und Puccinis
Beziehungen zum ersten waren eisig. 1912 schrieb er sogar - ausgerechnet
- an Gabriele d'Annunzio, der eben das Libretto von Debussys "Le Matyre
de Saint Sebastien" und "Francesca da Rimini" für die Duse verfaßt hatte!
Nicht gerade Stoffe für eine "populäre Oper"! D'Annunzio fand das Ansinnen
auch eine Zumutung und war wütend.
In
Paris hatte Puccini ein erfolgreiches Boulevardstück, "La houppelande"
(Der Mantel), gesehen und überredete Giuseppe Adami (der 1915 für ihn
"La Rondine" adaptiert hatte), das Libretto zu schreiben. Das wurde das
erste Stück der Trilogie, "Il Tabarro", eine schaurige Geschichte von
Eifersucht und Mord, die auf einem Schiffskahn auf der Seine spielt, aber
äußerst bühnenwirksam ist. Die beiden weiteren Libretti verfaßte ein ehemaliger
Sänger, Journalist und Regisseur an der Scala, Giovacchino Forzano, wobei
das letzte, komische Kapitel "Gianni Schicchi" indirekt von Dante inspiriert
ist. Jedenfalls sind die drei einstündigen Opern, so verschieden sie auch
sind, ungemein ausdrucksvoll und attestieren Puccinis dramatischen Riecher.
Sie sind alle drei zynische Anklagen menschlicher Schwäche oder Sturheit
- besonders "Suor Angelica". Puccinis Antiklerikalismus, der ja schon
in "Tosca" seinen Ausdruck fand, ist in den beiden letzten Einaktern offensichtlich
- bis zur Testamentfälschung ("La beffa ai frati è bella!") in "Gianni
Schicchi". Der populäre rührige Charakter der drei Stücke würde heute
spielend den Stoff für drei Fernsehfilme abgeben.
Puccini
war auf dem Gipfel seines Ruhms und seiner musikalischen Maestria. Er
zieht sämtliche Register seines Genie. Er zeigt dies in so kleinen Details
wie z. B. die "falschen Noten" des Leiermanns im "Tabarro". Die Schlußszene
("Senza mama") von "Suor Angelica" ist ein Meisterwerk und eine der ergreifendsten
Szenen, die Puccini für deine geliebten Frauenstimmen geschrieben hat
und steht dem Monolog in "Butterfly" keineswegs nach. Doch die Oper, die
er am meisten liebte, sollte den geringsten Erfolg haben. "Gianni Schicchi"
ist eines der gelungensten Werke des Meisters von Torre del Lago. Was
hätten Rota, Morricone, Legrand oder andere Filmkomponisten ohne Puccini
getan!
Intendant
Nicolas JOEL, der meistens auch Regie führt, hatte das diesmal seinem
Assistenten Stéphane ROCHE überlassen, aber hat mit Nicolas de LAJARTRE
und Pascale CASALÈS die vorzügliche Szenographie geschaffen. Keine psychologisch-soziologischen
oder pseudo-politischen Umdeutungen, nein, solides Theater. "Il Tabarro"
spielt vor einem geschlossenen Schleusentor der Seine, wo ein riesiger
Schleppkahn die Bühne beherrscht. "Suor Angelica" ist in einer gotischen
Kapelle angesiedelt, mit einer Glasmalerei einer Madonna mit Kind im Mittelfenster,
die bei Angelicas Agonie und Verklärung hell angestrahlt wird. Was vermeidet,
daß diese Szene in Kitsch abgleitet. Die einzige "zeitgenössische" Adaptierung
findet man in "Gianni Schicchi", dessen Handlung in ein florentinisches
Patrizierhaus mit Jugendstil-Mobilar ins 20. Jahrhundert transponiert
wurde. Gérard AUDIER hat für die drei Einakter sehr passende und kleidsame
Kostüme geschaffen. Die Beleuchtung von Allain VINCENT hat die drei Werke
in die passende Atmosphäre getaucht.
Ebenso
erfreulich wie der optische Aspekt, war auch die musikalische Seite. Wie
im Vorjahr bei "La Rondine" waltete Marco ARMILIATO am Pult. Er hat mit
dem ORCHESTRE DU CAPITOLE sichtlich und hörbar ein ausgezeichnetes Verhältnis.
Er arbeitet liebevoll die Details der schillernden Partituren heraus und
scheut sich nicht bisweilen schmalzig zu schwelgen - wo sonst, wenn nicht
hier? Der richtige Dirigent für veristische Musik! Patrick Marie AUBERT
hatte sehr effizient den CHOR DES CAPITOLE und David GODFROID die KINDERCHÖRE
einstudiert.
In
"Il Tabarro" war Juan PONS der Schiffer Michele. Er brachte die Frust,
daß seine Frau fremd geht, eindringlich zum Ausdruck. Sein kraftvoller
Bariton ist sehr wandlungsfähig: sehr rührend, wenn er Giorgetta bittet
oder wild und stark, wenn den Nebenbuhler Luigi umbringt. Seine Frau Giorgetta
war Doina DIMITRIU, sicher eine der besten großen Soprane der letzten
Jahre. Das Hauptproblem der jungen Rumänin ist ihre Bombenstimme, denn
sie glaubt Turandot zu singen. Sie singt und spielt zwar sehr eindrucksvoll,
doch fehlt ihr jegliche Modulation der Stimme. Doch die Rolle der Schifferfrau
ist über weite Stellen sehr lyrisch und bedarf eines modulierten Pianos.
Ihrem
Geliebten Luigi lieh Nicola ROSSI GIORDANO seinen gutgeführten, angenehmen
Tenor und brachte passend das richtige Gleichgewicht zwischen ungestümen
Liebhaber und aufmümpfigen Proletarier zum Ausdruck. Claudia MARCHI war
ergreifend als die Lumpensammlerin Frugola, die Giorgetta einen Kamm andrehen
will. Ihre schöne ausdrucksvolle Mezzostimme besitzt lyrische Weiche.
Ihrem etwas idiotischen Gatten Talpa lieh Michele BIANCHINI seinen schwarzen
Baß. Riccardo CASSINELLI mit warmen Tenor als ständig betrunkener Tinca
sang sein Trinklied, um sein unglückliches Leben zu ertränken. Alfredo
POESINA sang mit winziger Stimme den Chansonverkäufer, Zean BAKER und
Michel DARZON waren die beiden Liebenden hinter der Szene.
"Suor
Angelica" ist eine Konfrontation zwischen zwei Welten, der Titelheldin
und ihrer Tante, einer sturen Aristokratin mit dem Charme und Gefühl einer
mittelalterlichen Zugbrücke. Tamar IVERI gab der jungen Angelica, die
von ihrer Familie ins Kloster gesteckt worden ist, weil sie "gesündigt"
hatte, den intensiven Ausdruck und das stimmliche Engagement dieser schwierigen
Rolle. In ihrer Schlußszene faszinierte sie durch die glaubhaften Halluzinationen!
Ihr Gegenüber war Marjana LIPOVSEK als Zita Principessa eine stimmlich
und darstellerisch perfekte Darstellung der herzlosen Aristokratin, die
dem "guten Ruf der Familie" alles zu opfern bereit ist. Eine große Szene!
Von den zahlreichen Klosterfrauen sind Cinzia DE MOLA als Äbtissin, sowie
Claudia MARCHI, Nona JAVAKHIDZE, Cécile GALOIS und Eunyee YOU als kecke
Suor Genovieva hervor zu heben.
In
"Gianni Schicchi" wollte Puccini sich amüsieren und die Geldgier "durch
den Kakao zu ziehen". Im bekanntesten der drei Einakter war in der Titelrolle
wieder Juan PONS zu erleben. Er verlieh dem von den Bürgern verachteten
Neureichen die ganze Palette seiner Kunst. Stimmlich perfekt, sang er
"Addio Firenze!" mit verschmitztem Lächeln und prachtvollem Bariton. Köstlich
wenn er sich als Buoso verkleidet und bandagiert ins Bett geht. Seine
Tochter Lauretta, die den Neffen des verstorbenen Buoso heiraten will,
gab Anne-Catherine GILLET die ergreifende Naivität des jungen Mädchens
und sang "Oh mio babbino mio" mit strahlendem Sopran. Ihrem Erwählten
Rinuccio gab Ismael JORDI die Impertinenz des jungen Mannes, der mit seinem
prachtvollen Tenor gegen den Willen seiner groschenklaubenden Familie
Gianni Schichi ins Spiel bringt.
Als
seine geldgierige Tante war Cinzia De MOLA ausgezeichnet, ebenso der Gherardo,
dem Ricardo CASSINELLI für die Rolle das richtige Profil mit seinem hellen
Tenor gab. Nella war Eunyee YOU, die die eleganteste der ganzen geizigen
Familie ist. Die kleineren Rollen war durchwegs sehr treffend besetzt:
Frederic CATON (Betto di Signa), Michele BIANCHINI (Simone), André HEYBOER
(Marco), Claudia MARCHI (La Ciesca). Eric MARTIN-BONNET war ein leicht
zu täuschender Arzt Spinelloccio und Sergei STILMACHENKO als Notar Ser
Amantio di Nicolao nahm das lateinische Testament auf.
Das
Publikum genoß den höchst erfreulichen Abend und feierte die Künstler
mit Überschwang, zumal der Verismus völlig verpönt zu sein scheint und
nur in Süd-Frankreich überhaupt noch gespielt wird. wig.
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