Wenn
Theatermacher von Allgemeingültigkeit und zeitneutralem Raum reden, sollte
der Zuschauer gewarnt sein. Es könnte ein Synonym für das wilde Durcheinanderwürfeln
von Stilen, Zeiten und Handlungssträngen sein. So interessierte den Großteil
des Regensburger Publikums bei der Premiere von "Don Giovanni" weniger,
ob es die Wiener, Prager oder eine Regensburger Melange aus beiden ist,
was Angela BRANDT ihnen da präsentiert. Regensburg hat mit seiner Dreieinigkeit
von "Amadeus", dem Requiem-Ballett und der großen Oper seinen Beitrag
zum Mozart-Jahr geleistet, allein das scheint wichtig.
Die
Schlußszene trägt eine tiefe Symbolik: Don Giovanni hält aus der Loge
hoch über der Bühne Hof und kostet den Triumph aus. Das Jenseits mag ihn
verschlugen haben, doch Mozarts "Don" kriegt keiner tot.
Können
einige "Bravo"-Rufer und tausend Hände irren, in dessen Beifall sich das
Inszenierungsteam mit seinen Darstellern badete? Als absoluter Publikumsliebling
am Premierenabend feierte man Katharina E. LEITGEB als Donna Anna. Abgesehen
von der Auftaktszene, als sie Giovannis "Verführung" für Aug' und Ohr
genüßlich auslebte, agierte sie bei fast steinerner Mimik mit reduzierter
Spielfreude. Stimmlich vermochte sie dagegen mit klar timbrierter Stimme
zu überzeugen; kraftvoll, mit effektvollen Koloraturen, zuweilen jedoch
vielleicht etwas zu hysterisch angelegt.
Dieser
hysterische Eindruck offenbart sich auch bei Donna Elvira (Ulrike Maria
MAIER). Was man in diesem Fall durchaus ihren schwangerschaftsbedingten
Stimmungsschwankungen zuschreiben könnte, wenn nicht im gesamten Stückverlauf
der Faden der Personenführung etwas durchhängen würde. Unverkennbar, die
Liebe Don Giovannis hat bei Donna Elvira, die mit Poncho, Hut und Caddy
auftritt, Früchte getragen. Erscheint Ulrike Maria Maier deshalb weniger
als Xantippe und schrille Sucherin nach Vergeltung, sondern vielmehr gratwandernd
zwischen Rachegedanken und Verantwortung für das Ungeborene, mit dem und
für das sie Giovanni wiedergewinnen möchte? Im emotional geladenen "Ah!
Chi mi dice mai" steckt Raserei wie Ausdruckskraft. Ihr warmer Sopran
klingt sicher geführt und vermag zu rühren. Angela Brandt erspart den
Zuschauer mit dieser Figur zwischen Hoffnung, dem Heißhunger auf saure
Gurken und einer hochdramatischen Szene in einer Klinik nichts. Dieser
Auftritt Donna Elviras rührt das Publikum zu Herzen, jenes fast irrwitzige
Spiel in weißem Klinikkittel, dessen Loch von dem Verlust nicht nur des
Kindes kündet. Der Elvira dann begleitende Blumenkübel mit vertrockneter
Pflanze - ein weiteres Symbol des Sterbens.
Den
Don Giovanni, dem die Donnas reihenweise in die Arme und ins Bett fallen,
spielt Jin-Ho YOO; nicht jugendlicher Potenzprotz, die Rolle schrieb Mozart
dem zweiundzwanzigjährigen Luigi Bassi auf den Leib, nicht alternder Lebemann.
Die rot und kreisrund abgesteckte Liebesarena (Bühne: Harald B. THOR)
ist seine Kampfstätte um den Körper der Frauen, deren Emotionen er letztlich
mit Gleichmut gegenübersteht. Er vermag mit buffonesken Elementen zu überzeugen,
gestaltet stimmlich souverän die Charakterzüge des resoluten Frauengenießer
und -verächters Don Giovanni: variabel, ohne Bleischwere in den Tiefen
und mit viel Leichtigkeit in der Höhe.
Das
populäre Duettino "La ci darem la mano", mit diesem Heiratsversprechen
will Don Giovanni Zerlina gefügig machen, brachte Jin-Ho Yoo und Melanie
SCHNEIDER starken Szenenapplaus. Jene Bäuerin Zerlina, die Schneider mit
hellem Sopran phrasiert, wirkt keineswegs verklemmt, sondern strotzt vor
jugendlicher Leichtigkeit und Frivolität. Den Avancen Don Giovannis keinesfalls
abhold, geht sie fast nymphoman dem großen Liebhaber an die Wäsche. Als
Cowgirl mit Lederweste und Stiefeln tröstet sie später lasziv agierend
ihren Bräutigam Masetto (Martin-Jan NIJHOF) über erlittene Schmerzen hinweg.
Der
wiedergesundete Brent L. DAMKIER singt einen Don Ottavio, der weniger
Sensibelchen als liebender Kämpfer ist. Doch er kann dem Don Giovanni
kaum etwas entgegensetzen. In den Mittellagen sicher, schien der Tenor
an diesem Abend in den Höhen leider etwas gebremst. Szenisch gab die Regie
ihm weniger Spielräume als für einen möglich gewesen wären, der seinen
wutschnaubenden Rachegelüsten durchaus hätte Aktionen folgen lassen können.
Die
Konstellation Herr und Diener zwischen Don Giovanni und Leporello arbeitet
die Regie nur verschwommen heraus. Jóhann SMÁRI SAEVARSSON artikuliert
als Leporello mit kerniger Stimmfärbung deutlich und chargiert zwischen
treuem Leibwächter, sich windendem Schlawiner, Gutherzig- und Ängstlichkeit.
Für Angela Brandt ist Leporello nicht allein Mitläufer und -lieber, sondern
letztlich auch "Mittäter", was sie mit dem gemeinschaftlichen Koksen auf
dem Friedhof gut herausstellt.
Die
Szenen an der Gruft des Komtur (Young-Myoung KWON) zählen überhaupt darstellerisch
zu den stärksten der Inszenierung. Sie sind aber auch Indiz der Unentschlossenheit
der Konzeption. Mal naturalistisch wirkend, mal mit abstrahierend-formaler
Sprache, in schwarzen Kostümen der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts
in der einen Szene, dann wieder eine Kostüm-Augenarie in Rot, die recht
gegenwartsnah ist. Das alles in Spannungsraum einer Bühne, deren Zentrum
die beliebten Hubpodeste des Hauses sind. Immer wieder neue Handlungsräume
tun sich auf und verschwinden. Sie offenbaren den Akteuren somit Frei-
und Spielflächen und lassen die Bühne dadurch weiter erscheinen.
Unter
der bewährten musikalischen Leitung von Raoul GRÜNEIS entwickelt das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER REGENSBURG einen vollen Klang voller Transparenz. Dabei entwickelt
der Klangkörper allenthalben Sinn für Zwischentöne, legt viel Schmelz
in die Lyrismen und Wert auf ausgewogene Tempi.
Viel
Beifall in Regensburg für die Sicht von Angela Brandt auf Mozarts "Dramma
giocoso in zwei Akten". Oder doch vor allem für die Mozartsche Musik?
Uwe Kraus
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