Albert
Lortzings "Wildschütz" bezieht sich auf ein Lustspiel von Johann August
von Kotzebue, der in der Goethezeit die deutschen Soaps von heute schon
vorausgeahnt zu haben scheint. Mit Augenzwinkern, ironischen Seitenhieben
und sicherer Hand folgt André BÜCKER, Intendant des Nordharzer Städtebundtheaters,
in Halberstadt diesen Intentionen. Er schwingt den Staubwedel, läßt die
Schwere aller dieser Spieloper inne wohnenden gesellschaftlichen Konventionen
fallen und bringt das doch etwas bieder-betuliche Werk als witzige Boulevard-Komödie
im Stile der flotten fünfziger Jahre auf die funktionale Bühne. Ausstatterin
Alrune SERA unterstützt das Anliegen, greift zuweilen bewußt zu Pastell-Tönen,
die sich in der teilweise etwas unmotivierten Bonbonfarben-Beleuchtung
eindrucksvoll fortsetzen. Dazu kommt das der Talk-Show entliehene Thomas-Gottschalk-Leder-Sofa,
das Nähe und Distanz unterstreicht. Die Story vom scheinbar erlegten Rehbock,
der aller Verwicklungen Anfang ist, tritt zu Gunsten sorgfältig gezeichneter
Figuren letztlich in den Hintergrund. Dabei werden die verschwisterten
Akteure in den Zuneigungswirren erst einmal kräftig durcheinander gemischt.
Das
ungleiche Paar Baculus und Gretchen tendieren weniger zur überschwenglichen
Romantik als zur Vernunft-Ehe. Spürbar, die Einseitigkeit der Zuneigung,
die von Isabell FRICKE mit unschuldigem Augenaufschlag als stimmlich frisches
und liebenswertes Gretchen ironisch gebrochen wird. Klaus-Uwe REIN mit
großer darstellerischer Präsenz erinnert an die lebenshungrig-biederen
Filmhelden der Wirtschaftswunderzeit mit dem Traum, es als kleiner Mann
den Mächtigen mal zu zeigen. Doch er ist zwar gewachsen, sein Konfirmanden-Anzug,
in dem er weiter steckt, nicht. Trotzdem will es der angegraute Schulmeister
mit der abgeschabten Aktentasche krachen lassen. Nicht nur, als er seinen
verhängnisvollen Büchsenschuß im Foyer abfeuert. Als Figur stilecht scheint
Klaus-Uwe Rein auch stimmlich in aller einfältigen Anmaßung die Idealbesetzung.
André
Bücker zeichnet mit Liebe zum Detail seine Figuren: den Baron (Xiantong
HAN mit schönen Tenor), der dem Schulmeister Baculus die Braut abhandelt,
während der die Taler in Gedanken bereits anlegt, oder Gerlind SCHRÖDER
als sexuell zu kurz kommende Gräfin mit selbstironischen Einsprengseln
und Leichtigkeit in der Stimme, jedoch mit pseudokultureller Bildung und
Sophokles-gefärbten Tagträumen. "Heiterkeit und Fröhlichkeit", wie es
in der Grafen-Arie heißt, die Juha KOSKELA mit stimmlich elegantem Bariton
singt, allüberall. Ihr "Duell" tragen Graf Ebersbach und der als Stallmeister
verkleidete Baron Kronthal zeitgemäß als Bürogolf-Partie aus.
Als
agile Baronin Freimann kommt dazu Bettina PIERAGS in Lederjacke per "Schwalbe"
geritten, verkleidet sich dann wiederum als Mädchen, um als Gretchen-Double
beim Grafen aufzutreten. Sie besticht erneut mit jugendlicher Sopranfrische.
An ihrer Seite steigt Thea REIN souverän in die Hosen des Moped reparierenden
Stubenjungen. Haushofmeister Pankratius mutet eher mafiös an. Norbert
ZILZ gibt der Rolle mit dem Kugelaschenbecher in der Hand "närrsches"
Profil.
Wesentlich
zum Erfolg der Dreistunden-Inszenierung trägt der bestens aufgelegte CHOR
(Einstudierung: Marbod KAISER) bei: Ob er im Biergarten gelangweilt lümmelt,
in Ekstase Slip- und BH-werfend die eher einem Boygroup-Konzert ähnelnde
Jägerszene gestaltet oder als höfische Personal Staffage für die Baronin
bei der Renaissance antiker Tragödie ist. Etwas unpassend und für das
Bückersche Zeitfenster unmotiviert kommt dagegen der artige Schulchor
in Pionierkleidung-Ost beim Publikum an.
Torsten
PETZOLD läßt das gut disponierte und spielfreudige ORCHESTER elegant und
pointenreich aufspielen, ohne die gelegentliche Schroffheit der Partitur
zu verwaschen. Der Klangkörper macht Lortzings Bruderschaft im Geiste
und in der Musik zu Mozart und Rossini transparent und geschmeidig stets
hörbar. Uwe Kraus
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