Die
Diskussion darüber, ob man heute noch Literaturoper schreiben "darf" ist
obsolet, wenn man die Faszination betrachtet, die Shakespeare ungebrochen
auf Komponisten ausübt. Jüngstes Beispiel dafür ist die Uraufführung von
"Prospero" des Italieners Luca Lombardi an der Oper in Nürnberg.
Bleiben
tut allerdings die Frage, was ein Komponist einem so musikalisch schreibenden
Dichter hinzufügen, wie ihn in der Musik lebendig(er) machen kann. Gerade
die Spätwerke, wie der "Sturm" scheinen für zeitgenössische Komponisten
besonders spannend zu sein. Diese Werke sind weder Tragödie noch Komödie,
haben aber Elemente von beidem und lassen dem Komponisten damit viel Spielraum.
Luca
Lombardi (Jahrgang 1945) weiß das zu schätzen. Hat er doch bei so unterschiedlichen
Lehrern wie Stockhausen, Schnebel oder Eisler und Dessau studiert. Dabei
hat er sein Handwerk gründlich gelernt, so daß er die verschiedenen Stile
benutzen kann, ohne sie schlicht zu kopieren. In "Prospero" setzt er diese
Mittel breit ein, wenn Szenen nur mit Solo-Cello (Christoph SPEHR) und
Solo-Flöte (Roberto FABBRICIANI) kammermusikalischen Charme entwickeln,
dann aber wieder das gesamte Schlagwerk, das sogar in den Seitenlogen
sitzt, mit dem schweren Blech dem Monster Caliban Rückgrat verleihen.
Da stehen dann Zwölftonreihen neben Folkloreelementen, aber alles paßt
zusammen, fällt nie auseinander, was auch den NÜRNBERGER PHILHARMONIKERn
unter Johannes FRITZSCH mit ihrer präzisen Umsetzung zu verdanken ist.
Die
Handlung hält sich weitgehend an den englischen Dichter. Friedrich Christian
Delius hat das Libretto verfaßt, das den Text behutsam kürzt, aber auch,
wo es der Aussage wichtig scheint, ergänzt. So am Schluß, wenn Prospero
in einem langen Abgesang seiner Insel und seiner Zauberei entsagt, entleiht
Delius auch schon mal aus anderen Stücken Shakespeares. Die Sprache des
Librettos reflektiert die Herkunft des Sprechenden. Die Inselbewohner
sprechen Deutsch, die Schiffsbesatzung je nach Bildung, Italienisch oder
Neapolitanisch, und der Luftgeist Ariel darf das englische Original singen.
Eine schöne, bühnenwirksame Geste, die für die Aussage des Stückes allerdings
wenig bringt. Man erinnert sich: Prospero, der Herzog von Mailand, wurde
von seinem Bruder gestürzt und vertrieben und hat nur durch ein Wunder,
zusammen mit seiner Tochter Miranda, auf einer einsamen Insel überlebt.
Hier machte er sich den Luftgeist Ariel und das Monster Caliban mit Hilfe
seiner Zauberkunst zu Dienern. Jahre später, als sein Bruder und der König
von Neapel nebst Sohn an der Insel vorbeisegeln, kann Prospero das Schiff
mit Hilfe eines selbst entfesselten Sturms auf die Insel bringen. Er spielt
Schicksal, spielt mit den Gefühlen seiner früheren Peiniger, zeigt sich
aber am Ende versöhnlich.
Ariel
ist vielleicht die Rolle, die durch die Oper am meisten gewinnt. Lombardi
besetzt ihn mit vier Frauen(-stimmen). Und so wuseln die vier (Jennifer
ROUSE, Anja Fidelia ULRICH, Anna ALÀS i JOVÉ und Susanne Maria GRAF) in
weißem Frack mal hier mal dort, tanzen und singen, und bekommen so durchaus
etwas Geisthaftes. Wenn die Stimmen verklingen, klingt, wie ein Echo,
die Flöte nach, die der Figur ebenfalls zugeordnet ist. Manchmal wird
Ariel gar dreißigfach gebrochen und die Bühne ist voll von Geistern. Ein
zauberhafter Kunstgriff.
Überhaupt
die Bühne (Tobias DINSLAGE). Sie besteht aus dem schlichten Hügel der
Insel, von einem weiten Himmel umgeben, der meist blau mit leichten Schleierwolken
ist. Wenn aber gleich zu Beginn der Sturm losbricht, mit dem Prospero
seine Widersacher auf die Insel zwingt, so werden mit Hilfe von feinfühliger
Videoanimation, Ariels in den Himmel projiziert, die sich immer wieder
in stürmische Wolken verwandeln und mit rauschender Geschwindigkeit hinabstürzen.
An dieser Stelle ist das Bild der Musik überlegen, denn auch Lombardi
hat bei der Sturm-Musik nicht seine glücklichste Hand.
Die
Geschichte nimmt ihren Lauf, wenn die als Clowns geschminkten Schiffbrüchigen
auf der Insel umherirren. Wenn also Alonso (Richard KINDLEY) verzweifelt
seinen Sohn sucht, und dabei immer wieder von Prosperos Bruder Antonio
(Song-Hh LIU) bedroht wird. Wenn Alonsos Sohn Ferdinando (in der Hosenrolle:
Frances PAPPAS) auf Prosperos Tochter Miranda (Anna GABLER) trifft, und
die beiden sich sofort ineinander verlieben, oder der Narr Trinculo (Teresa
ERBE als weiblicher Narr) und der Kellermeister Stefano (Bernd HOFMANN)
dem stinkenden Inselmonster Caliban (Wolfgang NEWERLA) begegnen und zur
großen Verbrüderung ansetzen. Hier lebt neben der Musik alles vom Licht
und den Kostümen und den Leistungen der Darsteller.
Selten
habe ich eine so genaue Personenregie in der Oper gesehen wie die von
Andrea RAABE. Und selten ein Ensemble, das diese so genau und spielfreudig
umsetzt. Publikumsliebling wird dabei erstaunlicherweise das Monster,
das wohl auch die heimliche Zuneigung des Komponisten hat, der ihn mit
den kräftigsten Farben und der eingängigsten Musik versieht. Caliban ist
es dann auch, der am Ende, wenn Prospero dem Zauber entsagt, schon in
den weiten Zaubermantel gehüllt und mit einem Brett als Waffe versehen,
im Hintergrund in den Startlöchern steht, um die Herrschaft der Insel
zu übernehmen.
Macht
ist überhaupt das Thema für Lombardi, aber bis auf das Schlußbild ist
dieser Aspekt immer nur unterschwellig da. Das fragile Spiel mit den Kräften,
geht zwischen Clowngesichtern, Liebesschwüren und Saufgelagen immer mal
wieder verloren, ist aber nie völlig verschwunden. Prospero (überzeugend:
Hans-Christoph BEGEMANN) schwört am Ende der Macht ab, begibt sich in
die Gnade derer, die ihn einst entthront haben, wissend, daß er damit
sein Ende herauf beschwört. Dies ist bei Lombardi deutlicher als bei Shakespeare
und hinterläßt quasi einen offenen Schluß. KS
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