Eine
Koproduktion mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe bescherte dem Theater
Kiel eine "Elektra". Es ist sicher nicht sehr leicht, dieses Stück spannend
zu erzählen, da es ja eigentlich eine Oper ist, in der kaum etwas passiert,
und das, was passiert, geschieht dann auch mehr oder weniger im Off. Dennoch
schaffte Robert TANNENBAUM eine durchaus sehenswerte Produktion, in der
er die Titelfigur, wenn Klytämnestra oder Chrysothemis singen, als zerbrechliches
Wesen zeichnet, die dann aber trotzdem wieder in ihren Wahn verfällt und
am Schluß von Orest umgebracht wird, sei es, um sie zu erlösen oder weil
er sich vor ihr ekelt, das kann man sich ja selbst überlegen - und stellt
eine gute Regie nicht auch derartige Fragen?
Der
Ausstatter Peter WERNER entwarf ein schmutzig-weißes Bühnenbild, das aus
zerbrochenen Säulen besteht, die in den Himmel ragen. Seine Kostüme unterstrichen
Elektras Ausgegrenztheit (weißes Kleid) und die (erzwungene?) Angepaßtheit
der anderen Figuren (schwarze Gewänder).
In
der Titelpartie ließ Lisa LIVINGSTON aufhorchen. Sicherlich kann man schon
die Anklänge von klassischen Verschleißerscheinungen bei hochdramatischen
Sopranen ausmachen (Anreißen der Töne aus der Tiefe, scharfe Höhe, Anspringen
der Stimme bei gewissem Druck,...). Dennoch schaffte sie es sehr gut,
Elektras wahnhafte Verbohrtheit in ihr einziges Ziel glaubhaft zu machen
und fand gerade in der Orest-Szene zu unglaublich sanften und lieblichen
Tönen.
Ebenso
hervorragend gab Claudia ITEN ihre Schwester Chrysothemis, die mit intensivem
Gesang und Spiel ihre etwas biederen Ansichten mit Nachdruck und Einsatz
vortrug. Da stand nicht ein kleines Mädchen auf der Bühne, sondern eine
gestandene junge Frau.
Dessen
Mutter Klytämnestra wurde von Cornelia DIETRICH mit ältlichem Mezzo gesungen,
der aber in der Rolle nicht unbedingt störte. Dennoch vermißte ich bei
ihr ein gewisses Profil.
Ein
eigenartiges Bild gab Jörg SABROWSKI ab. Wenn man sich nach seinem ersten
"Ich muß hier warten" auf einen mystisch-sinistren Orest freute, verlor
er nach dieser Phrase scheinbar sein bassiges Volumen und das Geheimnisvolle.
Dazu war die Höhe sehr schlecht abgedeckt.
Dagegen
gefielen die beiden Tenöre ausnehmend gut. So gab James WOOD eine köstliche
Charakter-Studie des in dieser Produktion schon sehr senil wirkenden Aegisth,
der sich von Elektra auf der Nase herumtanzen ließ. Der andere war Steffen
DOBERAUER, der mit Spielfreude und Einsatz einen quirligen jungen Diener
sang. Der alte lag bei Mattias BREDE in soliden Händen.
Hye-Soo
SONN (Pfleger), Norma REGELIN (Vertraute), Cornelia MÖHLER (Schleppträgerin),
sowie die Mägde von Marita DÜBBERS, Bianca KIRSCH, Marina FIDELI, Susan
GOUTHRO und Heike WITTLIEB ergänzten solide. Katja PIEWECK aus dem Hamburger
Ensemble war eine luxuriöse Aufseherin.
Ein
Wermutstropfen war allerdings das Dirigat von Simon REKERS. Unter seiner
nicht wirklich sängerfreundlichen Stabführung spielte das PHILHARMONISCHE
ORCHESTER KIEL zwar lauter richtige Töne zur richtigen Zeit und in der
richtigen Länge, aber ich hatte nicht den Eindruck, daß jemand wußte,
wieso er das nun tat - Arbeit nach Vorschrift also. Den kleinen Auftritt
meisterte der CHOR ohne große Probleme. WFS
P.S.:
Daß das nicht sehr zahlreich erschienene Publikum an diesem Abend die
Applausfreude von den Besuchern der feierlichen Eröffnung einer Ampel
in einem 100-Seelen-Kaff hatte, war ja noch zu verschmerzen (möglicherweise
waren sie auch schockiert, daß das Stück nun so gar nichts mit dem "Rosenkavalier"
oder gar der "Fledermaus" zu tun hatte ;-)), aber daß man nun zwei kleine
Kinder (schätzungsweise drei und fünf Jahre alt) in eine Oper mit solch
einem brutalen Inhalt und solch einer brutalen Musik schleppt, finde ich
persönlich unverantwortlich. Außerdem muß man nicht die erste Hälfte einer
Aufführung mit irgendwelchen Debatten verbringen!!!
|