Gleich
nach der "Jenufa" machte sich Leos Janácek an ein neues Werk. "Osud" -
"Schicksal" handelt von einem Komponisten, der von seiner schwangeren
Geliebten verlassen wird, da ihre Familie sie dazu zwingt. Verletzt beginnt
er, eine Oper darüber zu schreiben. Nun beginnt das eigentliche Stück:
denn, Jahre später, treffen Živný und Mila sich zufällig in einem Kurbad
wieder, verlieben sich erneut, und bleiben zusammen.
Aber
auch nun macht Milas Mutter ihnen in ihrem Wahn das Leben zur Hölle, indem
sie alles echot, was die beiden sprechen. In diesem Wahn stürzt sie sich
vom Balkon und reißt Mila mit in den Tod. Živný wünscht sich nur noch
einen Blitz, der ihn vom Leben befreit, der allerdings bleibt aus. Wiederum
Jahre später hat Živný die Oper vermeintlich vollendet, und es finden
Proben zur Uraufführung statt, aber die Oper endet mit einem Gewitter,
alles bleibt offen.
Es
drängt sich der Verdacht auf, das Živný selbst in Wahrheit die Hauptfigur
der Oper ist. Der erzählt nun mit der Geschichte der Figur Lensky, auch
seine eigene, durchlebt alles noch ein weiteres Mal. Und auch hier bleibt
mit einem aufziehenden Gewitter alles offen. Es verwundert nicht, daß
eine solche Geschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verwirren
mußte, offene Enden waren noch nicht verbreitet, mehrfache Verschachtelungen
auch nicht, zumal nicht in der Oper. Und so mußte Janáceks Werk, das er
1904 vollendete bis 1958 auf seine Uraufführung warten. Auch heute ist
"Osud" selten auf den Spielplänen zu finden. Das Staatstheater Kassel
hat sich nun getraut, hat die Größe der Musik für sich erkannt und sich
der verwirrenden Geschichte angenommen. Dabei hat man sich allerdings
herausgenommen, in das Stück einzugreifen.
Die
Regisseurin Gabriele RECH läßt nicht nur den 3. Akt im Theater spielen
sondern das ganze Stück ist bei ihr eine Theaterprobe, in die Živný immer
wieder hineingezogen wird, in der er seine eigene Geschichte noch einmal
erlebt. Dadurch wird der Oper eine Ebene entzogen, die ganze Struktur
(vielleicht) überschaubarer. Aber noch einen Eingriff gibt es. Begeht
bei Janácek die Schwiegermutter Selbstmord und nimmt dabei ihre Tochter
mit, so ist es in Kassel der Komponist, der das Drängen und Höhnen nicht
mehr erträgt und in seiner Verzweifelung die Frau vom Balkon stürzt, woraufhin
sich Mila das Leben nimmt, indem sie sich die Pulsadern aufschneidet.
Živný ist schuldig geworden, was auch seine Unfähigkeit erklärt, die Oper,
die so sehr mit seinem Leben verbunden ist, zu vollenden. Gott soll den
Schluß der Oper schreiben, nicht er. Aber auch Gott sendet kein Zeichen,
schickt keinen Blitz, der alles beendet.
Zeitlos
modern ist dieser Stoff so, mit den allgegenwärtigen Fragen nach Schuld,
nach Inspiration von Kunst, nach Verantwortung des Menschen und des Künstlers.
Und zeitlos ist auch Janáceks Musik, in der immer wieder flüchtig die
"Jenufa" durchscheint, die aber trotzdem so ganz anders ist, noch wilder,
noch existentieller. Ein Taumel in achtzig Minuten durch die Gewitter
des Lebens, fesselnd und ergreifend.
Das
Bühnenbild und die Kostüme von Nicola REICHERT bieten eine Mischung aus
dem Kurbad der Jahrhundertwende mit Sonnenschirmen und Liegestühlen, mit
Frauen in weißen langen Kleidern, aber auch der modernen Waschmaschine
im Komponistenhaushalt. Gesungen wird deutsch, um noch mehr Klarheit zu
erreichen.
Der
Živný von Christopher LINCOLN wird wie in einem Sog durch den Abend gezogen,
wo die Mila von Janet HARBACH für Normalität zu sorgen versucht. Aber
gegen die Intensität von Lona CULMER-SCHELLBACHs Mutter haben beide keine
Chance. Sie ist einer der Höhepunkte des Abends.
Rasmus
BAUMANN am Pult hätte man mehr Durchsetzungskraft für sein Orchester gewünscht,
das leider manchmal zu sehr im Hintergrund steht. Auch wenn die Aufführung
nicht gut besucht war, so wünscht man mehr Theatern den Mut, dieses Stück
aufzuführen. KS
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