Wolfgang
Rihm, geb. 1952, Schüler von Karl-Heinz Stockhausen, ist einer der wichtigsten
Vertreter der heutigen deutschen Kompositionsszene. Er hat Büchners Novelle
"Lenz" von Michael Fröhlich adaptieren lassen, die Geschichte des langsamen
geistigen Versinkens des Dichters Jakob Lenz aus dem Kurland, der vor
allem in Straßburg und den Vogesen gelebt und geschrieben hat, wo er u.a.
mit Goethe bekannt wurde und dessen Geliebte Friederike Brion "übernahm".
Die Handlung spielt großteils bei Pastor Oberlin im Steintal im Elsaß,
wohin Lenz sich geflüchtet hatte und ständig von Friederike phantasiert
und in den Vogesen herumirrt. Er ruft oft die Natur an, ist fasziniert
von der Stille, vor der er sich aber sehr fürchtet. Diese Sturm-und-Drang-Novelle
ist kein "Werther", sondern eher ein Vorläufer des Expressionismus.
1977
komponiert und zwei Jahre später in Hamburg uraufgeführt, beginnt die
Oper dort, wo Bergs "Wozzeck" aufhört: Marias Knabe liest aus der Bibel,
ein Kinderchor singt "Ringel Ringel Rosenkranz" und der Bub ruft "hop,
hop". Ein Sextett (zwei Soprane, zwei Alte, zwei Bässe) greift immer wieder
als die "Stimmen", die Lenz hört, in die Handlung ein, bis er in völlige
geistige Umnachtung versinkt. Die Orchestrierung ist einem Ensemble von
elf äußerst ungewöhnlichen Instrumentalisten anvertraut: zwei Oboen, Klarinette,
Kontra-Fagott, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Cembalo und drei Celli.
Rihm war einer der Ersten, der mit Klangfarben spielte, die Timbres der
Instrumente verwendete und deren technischen Möglichkeiten systematisch
benützte, wie "Flatterzunge" der Klarinette, "sul ponticello" der Celli,
usw. Dies ergibt ganz ungewöhnliche Klangbilder, eine oft halluzinatorische
Atmosphäre, zusammen mit dem kleinen piano Chor im Hintergrund, bis zum
Schluß, wo Lenz an einen Stuhl gefesselt "Konsequent ... Konsequent …
Konsequent" ruft.
Die
französische Erstaufführung fand 1993 in Straßburg in einer Inszenierung
des Dramaturgen und Schriftstellers Michel DEUTSCH statt. Diese Inszenierung
wurde nun in Bordeaux und in Nancy wieder aufgenommen. Die dunkle leere
Bühne wird mit einem weißen Eisenbett, zwei Stühlen und einer vom Schnürboden
hängenden abstrakten Eisenskulptur bestückt (Bild und Kostüme: Roland
DEVILLE). Bisweilen finden Projektionen (Beleuchtung: Hervé AUDIBERT)
im Hintergrund statt.
In
dieser schwarz-grauen Atmosphäre bewegen sich drei Personen: Jakob Lenz
(der äußerst ausdrucksvolle deutsche Bariton Johannes M. KÖSTERS), Pastor
Oberlin (der amerikanische Baß Gregory REINHART) und der Apotheker Johann
Kaufmann (der englische Tenor Ian CALEY). Die drei Sänger sangen und spielten
phantastisch, sie zeichneten sich auch durch eine mustergültige Wortdeutlichkeit
aus, was dem Verständnis der äußerst zerrissenen Handlung sehr zu Gute
kam.
Der
französische Dirigent und Komponist Olivier DEJOURS leitete die Mitglieder
des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE, die sechs SOLISTEN DES OPERNCHORS
und den KINDERCHOR "ELIANE LAVAIL" mit großem persönlichem Einsatz.
Eine
vorbildliche Aufführung eines sehr schwierigen Werks! Das Publikum zeigte
seine Begeisterung mit großem Applaus. wig.
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