Vor
einem Jahr trat Hans GRAF von seinem Posten als Musikgeneral von Bordeaux
zurück, um die Nachfolge von Christoph Eschenbach als Chefdirigent des
Houston Symphony Orchestra zu übernehmen. Deshalb sind die seltenen Auftritte
des Ex-GMD besonders erwartet, und eine konzertante Aufführung von „Tristan
und Isolde“ (nach „Elektra“ und „Wozzeck“ im selben Saal) ein Zeichen
für den erfolgreichen Wiederaufbau des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE
zu einem Klangkörper ersten Ranges. Denn die Aufführung in Bordeaux war
in jeder Hinsicht ausgezeichnet.
Obwohl
das Palais des Sports eine besonders häßliche Betonstruktur der siebziger
Jahre ist, besitzt der ca. 2000-Sitze-Saal eine überraschend gute Akustik.
Hans Graf dirigierte einen sehr tiefgehenden, durchdachten „Tristan“,
der das Orchestre National Bordeaux-Aquitaine zu einer Leistung anspornte,
die sich mit jedem großen internationalen Opernhaus messen kann. Nicht
ein Schwachpunkt war zu vermerken. Bereits das Vorspiel des 1. Akts kündigte
die unglaubliche Steigerung an, was zu erwarten war: eine drängende, ständig
dynamische und ungewöhnlich dichte Interpretation, niemals Leerlauf. Vor
Tristans Auftritt im 2. Akt kam es zu einer unglaublichen Steigerung,
man fühlte richtig das Springen und Laufen des Helden hinter der Szene.
Das Liebesduett des 2. Akts war von prägnanter Dichte, der Liebestod eine
einzige taumelnde Apotheose. Die phänomenalen Bläser verdienen besonderen
Applaus („Im Land, das Tristan meint, der Sonne Licht nicht scheint“).
Jon
Fredric WEST gab dem Tristan nicht nur metallische Kraft, sondern auch
warme Töne. Die Konfrontierung mit Isolde im 1. Akt war ungemein differenziert,
das Liebesduett des 2. Akts feinfühlig und tiefgehend, und die Wahnsinnsszene
des 3. Akts voll Kraft und überschwenglichem Ungestüm. Ein großer Tristan!
Jayne CASSELMAN sprang für die erkrankte Elisabeth Connell ein und war
die Sensation des Abends. Ihr sehr dunkles Bronze-Timbre ist für Isolde
ideal, zumal diese große Stimme auch die Höhen völlig dominiert. Schon
lange hat man nicht „Mir erkoren, mir verloren, hehr und heil, kühn und
feig! Tod geweihtes Haupt! Tod geweihtes Herz!“ so bedrohlich und dräuend
gehört. Die überaus musikalische Sängerin ist ganz auf ihrem Partner eingestellt,
um ein absolut perfektes Liebesduett zu singen. Der Liebestod war nicht
resigniert oder traurig, sondern jubelnde und taumelnde Ekstase einer
vorzeitlichen Zauberin!
Als
einzige sang Jeanne PILLAND (Brangäne) nicht auswendig, weshalb sie Notenpult
oder Klavierauszug mehrmals hin und her trug. Stimmlich war sie dafür
ausgezeichnet. Die Ähnlichkeit der Stimmen von Isolde und Brangäne ist
besonders zu Beginn verwirrend, denn die Timbres sind fast gleich. David
PITTMAN-JENNINGS war ein etwas polternder Kurwenal, ohne vulgär zu werden,
und gab der Rolle die nötige Stimmkraft. Hans TSCHAMMER gab mit seinem
schönen, gut geführten Baß dem König Marke die ruhige Abgeklärtheit des
Verzichtenden.
Pierre
GUILLOU war ein hinterhältiger Melot. Hirt und Seemann sang Christophe
BERRY mit angenehmen Tenor, Jean-Marc BONICEL war ein adäquater Steuermann.
Besonders zu vermerken ist die makellose Diktion aller Sänger, denn man
verstand praktisch jedes Wort.
Der
CHOR DER OPER BORDEAUX unter der Leitung von Jacques BLANC sang den Matrosenchor
des 1. Akts ebenfalls in perfektem Deutsch.
Wie
Hans Graf im Programmheft treffend bemerkt “Bei „Tristan“ ist nicht viel
zu inszenieren“. Er hat deshalb eine konzertante, halbszenische Fassung
gewählt. „Tristan“ ist ein psychologisches Seelendrama. Das wissen alte
Wagnerianer schon lange und sind meistens frustriert, wenn man ihnen verknackste
„Interpretationen“ auf die Bühne stellt. Die Lösung, die Sänger, einfach
gekleidet, vor dem Orchester zu plazieren, wo sie ungestört sich bewegen
können, ist deshalb grundgescheit und bestens gelungen. Ein Hocker, ein
Lehnstuhl, eine Bank und ein Kelch sind die ganzen Versatzstücke der Handlung.
Die
„Kostüme“ beschränken sich auf einfache Kleidung, Isolde in einem braunen
Hosenanzug, Marke mit großem Mantel, nur Brangänes ultramarinblaues Abendkleid
war reichlich unpassend. Was die Bewegungsfreiheit der Sänger nicht hindert,
so daß Tristan sich am Schluß des 1. Akts aus der Umarmung mit Isolde
reißt um „Welchen König?“ zu rufen. Im Liebesduett sitzen Tristan und
Isolde auf der Bank und halten sich die Hände, bevor sie sich umarmen
und nicht in fünf Meter Abstand wie in der Wiener Krämer-Inszenierung.
Marke in großem Mantel sang seinen Monolog im Orchester stehend, ebenso
wie der Hirt sein Lied.
Bei
einer solchen Minimallösung kann der Hörer sich auf Musik und Text konzentrieren,
ohne auf einen theatralischen Faden verzichten zu müssen, aber auch ohne
von optischen Konstruktionen abgelenkt zu werden. Nur bisweilen werden
matte rote oder blaue Projektionen oder Muster an passenden Stellen und
sehr sparsam auf dem Diorama im Hintergrund gezeigt.
Triumphaler
Applaus für einen ganz großen Abend! wig.
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