"Macht
es für den Betrachter einen Unterschied, ob Tosca im Jahr 1800 in Rom
oder 1973 in Chile spielt?" - So fragt das Programmheft des Augsburger
Theaters, und offensichtlich hat man die Frage mit ja beantwortet und
gleichzeitig entschieden, daß dieser Unterschied zugunsten von Chile ausfällt.
Der
Regisseur Philipp KOCHHEIM, der aufgrund seines Alter selbst keine Erinnerung
an die Ermordung Allendes und die Schreckensherrschaft Pinochets haben
dürfte, transferiert also die Oper nach Chile, was bei Puccini auf einige
Schwierigkeiten stößt. Diese beginnen massiv im ersten Akt. Denn statt
in einer Kirche spielt der in einer Wohnanlage, in der der Fotograf Cavaradossi
Nachbar der Marcesa Attavanti ist, die dort statt einer Kapelle ein Appartement
besitzt. Der Meßner wird kurzerhand zum Hausmeister und am Ende des Aktes
von Spoletta erschossen, die Chorkinder zu Bier trinkenden Straßenkindern
und beim "Te Deum" steht Scarpia vor Krankenschwestern, Soldaten und Geistlichen,
die sich mit Prostituierten vergnügen. Der Effekt von Scarpias erotischer
Passion im Kontrast zur kirchlichen Umgebung, verschenkt.
Einfacher
tut sich die Regie dann natürlich im zweiten Akt. Folter und Despotenherrschaft
haben hier in beiden Fällen ähnliche Ausprägungen. Daß Tosca allerdings
eine Wahrheitsdroge gespritzt wird, deren Wirkung sofort nach ihrem Verrat
vollständig verfliegt, macht schon toxikologisch keinen Sinn. In konsequenter
Anlehnung an die Foltermethoden Pinochets wird Cavaradossi geblendet,
um ihm das zu nehmen was dem Fotografen/Maler das wichtigste ist. Wenn
dann Tosca den Diktator erwürgt, nun ja, da ist man fast wieder mit der
Geschichte versöhnt.
Der
dritte Akt spielt dann im Nationalstadion von Santiago de Chile, welches
wohl als Gefängnis und Folterkammer diente. Cavaradossi ist mitnichten
der einzige Häftling, und wir werden Zeuge, wie sich zwei Soldaten an
einem weiblichen Häftling vergehen. So war es wohl in Chile, aber ist
das wirklich das Thema der Puccini-Oper? Kann man Menschen heute nur noch
mit bildhafter Drastik erreichen? - Um es kurz zu machen, die Scheinhinrichtung
wird vom erzbösen Spoletta verhindert, der Mario aus dem Hinterhalt erschießt,
und danach auch Tosca stellt, die aber dem Elektrozaun der Erschießung
den Vorzug gibt. Ein letzter Schritt der Verweigerung.
Halten
wir fest, daß mal wieder ein Regisseur eine gar nicht schlechte Idee hatte,
nur daß leider die Oper seiner Wahl nicht dazu paßte. Wie sehr er die
Geschichte verbiegen mußte, um zusammen zu bringen, was nicht richtig
zusammen gehört, wurde auch deutlich, indem die deutschen Übertitel nur
den Text zeigten, der auch ins Regiekonzept paßte. Ebenso wurde die Synopse
der Oper im Programmheft gleich mit den Regieveränderungen erzählt. Wer
seinen Puccini kennt, dürfte verblüfft gewesen sein. Man kann also nur
lakonisch festhalten: falls ein Komponist vorhat, eine Oper über die Schrecken
der Pinochet-Herrschaft zu schreiben, so hat sich hier bereits ein Regisseur
für die Uraufführung empfohlen.
Aber
zurück zur "Tosca" und zur anfänglichen Fragestellung. Ja, es macht einen
Unterschied, wann und wo die "Tosca" spielt, und es nützt weder dem Stück
noch dem Zuschauer, wenn so massiv manipuliert wird. Statt einer größeren
Nähe wird eine Entfremdung zu den Figuren erzeugt.
Die
Sänger sind dann die Leidtragenden. Sally DU RANDTs Tosca wirkt wie eine
naive Tochter aus reichem Hause, die bisher nur zwischen Liebhaber, Bühne
und Shopping zu entscheiden hatte. Zurab ZURABISHVILI gestaltet den Cavaradossi;
trotz etwas zu kleiner Stimme singt er die Partie schön aus, kann aber
seine Hilflosigkeit nicht unterdrücken, allemal wenn er blind über die
Bühne stolpert.
Spoletta
(Gerhard WERLITZ) hat wohl selten in einer Inszenierung soviel Raum bekommen,
was in krassem Widerspruch zu seiner sängerischen Rolle steht. Gegen ihn
ist Scarpia (Riccardo LOMBARDI) fast schon ein Edelmann.
Das
PHILHARMONISCHE ORCHESTER AUGBURG unter der Leitung von Rudolf PIEHLMAYER
bleibt seinem Puccini treu und klingt allzeit auf der Höhe der Zeit.
Fazit:
ein starker zweiter Akt rechtfertigt kaum die Zerschlagung der gesamten
Oper. KS
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