Nach
„Les Huguenots“ in Metz, brachte nach Jahrzehnten Vernachlässigung die
Europa-Stadt Straßburg die letzte, posthume Oper „L’Africaine“ des Europäers
Meyerbeer zur Aufführung. Obwohl Scribe das Libretto kurz nach der Uraufführung
von „Les Huguenots“ 1835 Meyerbeer gegeben hatte, dauerte es 28 Jahre,
bis es zur Uraufführung kam. Meyerbeer war ein „workaholic“ und pendelte
fünf Jahre zwischen Paris und Berlin (und es gab damals nicht zehn Direktflüge
täglich zwischen den beiden Städten).
In
Paris und Berlin schrieb er – neben mehreren Opern („Le Prophète“, „Dinorah“,
„Das Feldlager in Schlesien“, „L’Etoile du Nord“) - zahllose Gelegenheitsarbeiten
und kam nie dazu seine Orient-Oper fertig zu stellen. Was nicht hinderte,
daß Meyerbeer und Scribe sehr geschickte Manager waren, denn die Premiere
der „L’Africaine“ wurde über zwanzig Jahre als „für die nächste Saison“
ankündigt! Nach seinem plötzlichen Tod 1863, fand man zahllose Skizzen
und fertige Teile der Oper – es soll für über sieben Stunden Musik vorhanden
gewesen sein, einige Szenen in mehrfachen Versionen. Sein Freund und Testamentverwalter
Fétis ordnete die Hinterlassenschaft, und am 28. April 1865 wurde „L’Africaine“
triumphal uraufgeführt.
Ebenso
wie Scribe es mit den geschichtlichen Tatsachen in den großen historischen
Opern nicht sehr genau nimmt, stimmt auch der im 19. Jahrhundert sehr
beliebte Orientalismus nur sehr beschränkt. Die orientalische Färbung
(„couleur local“) des Librettos der „L’Africaine“ ist ungefähr so richtig
und treffend wie in einer amerikanischen „soap opera“. Der große französische
Maler Eugène Delacroix, der Jahre lang im Orient und Nordafrika verbracht
hatte und tausende Zeichnungen, Skizzen und Gemälde hinterlassen hat,
war sehr skeptisch über den Orientalismus Scribes und Meyerbeers. Dieser
modische Orientalismus produzierte zahlreiche andere Werke, vor allem
in Frankreich („Perlenfischer“, „Lakmé“, „Thais“).
Wie
in den meisten Werken des Duos Scribe-Meyerbeer wird ein, nicht nur für
die damalige Zeit, heikles Thema angeprangert, einerseits die Macht der
Kirche, aber auch der Kolonialismus und anderseits der absolute, fanatische
Haß Neluskos für die Christen. Musikalisch hört man, daß die Oper ein
Stückwerk ist und nicht von Meyerbeer fertiggestellt wurde. Die musikalische
Charakterisierung des Helden Vasco ist ungeheuer dramatisch, die Rolle
absolut mörderisch, aber psychologisch viel schwächer, da er von der Liebe
Selikas profitiert, um seine Geliebte Ines zu retten und mit ihr abzuziehen.
Er ist eigentlich ein Schuft.
Es
gibt ungewöhnlich packende Szenen – die Ratszene im 1. Akt mit dem großen
Arioso Vascos „Moi, l’immortalité!“ und seine Konfrontation mit dem Großinquisitor
und die Kabale gegen Vasco sind richtig spannend. Der 3. Akt spielt auf
dem Schiff Don Pedros mit dem unglaublichen Gefecht mit Vasco und Neluskos
großer Rachearie „Adamastor, le géant des tempètes!“ und ist dramatisch
sehr gelungen. Im 4. Akt ist Vascos berühmtes „Salut! Oh paradis sorti
de l‘onde“ ein richtiger Ohrwurm, und die „indischen“ Chöre sind gelungen,
aber das Ballett (selbst gekürzt) und die Szene des Brahmapriesters sind
weniger überzeugend. Der Schlußgesang Selikas im 5. Akt war damals eine
große Neuerung und ist sehr ergreifend. Daneben gibt es schwächere Stellen,
wie die Gefängnisszene des 2. Akts. Eben der Duktus der Handlung ist hier
schwächer als in „Les Huguenots“.
Die
Aufführung der Straßburger Rhein-Oper wurde dem bekannten Opernregisseur
Jean-Claude AUVRAY anvertraut, von den Malern Bernard ARNOULD (Bild) und
Daniel OGIER (Kostüme) sekundiert. Auvray sagte in einem Interview: „Es
ist eine Herausforderung an den Verstand ! Man muß verrückt sein, heute
‚L’Africaine’ zu inszenieren !“ Dafür ist die Inszenierung nicht schlecht!
Er hat sich mit seinem Team bewußt an die Gewohnheiten des Theaters des
19. Jahrhunderts gehalten und läßt z. B. gemalte Prospekte auf Tragstangen
vom Schnürboden herunter hängen. Die Umkehrung der riesigen gemalten wehenden
Kulissen ist recht geglückt. So verwandelt sich im 3. Akt das Segel der
Galeone plötzlich in das Innere des Schiffs. Oder der Hindu-Tempel des
4. Akts verschwindet, um einem Seegemälde à la Turner zu weichen. Im 1.
und 2. Akt ist der Boden eine Kugelkalotte die der Weltkarte von 1500
zeigt. Weniger glücklich waren die etwas läppischen Hüte und Kleider der
„Inderinnen“ und das wenig kleidsame Kostüm Selikas, dafür waren die Portugiesen
alle sehr fein ausstaffiert. Philippe GROSPERIN sorgte für die richtige
Beleuchtung. Cookie CHIAPALONE zeichnete für die Choreographie des (gekürzten)
Balletts im 4. Akt. Der junge englische Dirigent Edward GARDNER – der
sämtliche Proben persönlich geleitet hatte – zeigte eine offenbare Affinität
für Meyerbeers Musik. Das ORCHESTRE PHILHARMONIQUE DE STRASBOURG in bester
Form zeigte sich von dem jungen Engländer sichtlich beeindruckt, denn
es folgte ihm in allen Situationen. Die von Michel CAPPERON sehr gut einstudierten
CHÖRE waren ebenfalls sehr bei der Sache, vor allem in der sehr beeindruckenden
Ratsszene und dem „indischen“ Akt.
Bei
den Sängern war es eher gemischt. Die Titelrolle hatte Isabelle VERNET
(statt Sylvie Brunet) kurzfristig übernommen, und das war ein großer Fehler.
Denn die Rolle der Sélika ist eine „Falcon“, eine dunkel timbrierte, sehr
flexible, höhensichere, jugendliche Stimme. Frau Vernet besitzt aber eine
hochdramatische, schwere Stimme, kaum für diese Rolle geeignet. Ihr Schlußgesang
unter dem Manzenillen-Baum war teilweise an der Grenze des Peinlichen.
Da sie auch einigermaßen rundlich ist, versteht man Vasco recht gut, daß
er sich für die schlanke Ines enscheidet. Nicoleta ARDELEAN war als Ines
stimmlich ausgezeichnet, darstellerisch sehr zurückhaltend (sie soll ja
dem Vater folgen und den alten Don Pedro, den Präsidenten des königlichen
Rats heiraten).
Diesen
Don Pedro sang Nicolas TESTÉ mit sehr viel Präsenz und hämischer Stimme,
besonders passend in seiner Szene mit Vasco im 3. Akt. Sein Gegenspieler
Vaco da Gama war mit dem jungen Bulgaren Bojidar NIKOLOV besetzt, sicher
eine Entdeckung. Prachtvolle stählerne Stimme, wenn es sein muß, aber
auch bittend, wenn er sich von den Frauen verzeihen lassen soll. Sein
„Oh paradis“ war umwerfend. Sein zweiter Gegenspieler ist der Sklave Nelusko,
der heimlich Selika liebt. Peter SIDHOM sang die böse Rolle bestens, seine
Sturmarie, wo er das Schiff Pedros auf die Klippen werfen will, „Adamastor,
le géant des tempètes!“, mit an Jago erinnerndem Ausdruck. Er spielt auch
bestens, aber nie übertrieben den Christen-hassenden Hindu.
Als
weiterer portugiesischer Seefahrer war Don Diego bei Antoine GARCIN in
besten Händen, Frédéric CATON war ein stimmgewaltiger fanatischer Großinquisitor,
Cyril ROVERY ein ebenso eindruckvoller Brahmapriester. In den Nebenrollen
war Simona TOTECAN-IVES passend als Ines‘ Zofe Anna, Alain GABRIEL als
Ratsmitglied, Christophe de RAY LASSAIGNE, Mario BRAZITOV als Matrosen
und Mario MONTALBANO als Priester.
Ein
sehr interessanter, gelungener Abend um ein unbekanntes Werk zu sehen.
wig.
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