Heinrich
Marschner (* Zittau in Sachsen, 1795, † Hannover, 1861) ist dem Großteil
des Opernpublikums unbekannt und auch für den gestandenen Opernfreak ein
weißes Blatt. Der Komponist von 14 Opern war 1824/26 Direktor der Dresdner
Oper, wo er Weber kennen lernte (der ihm u. a. die deutsche Erstaufführung
von Boieldieus „La Dame Blanche“ ans Herz legte). Von 1831 bis an sein
Lebensende war er Hofkapellmeister in Hannover. Seine wichtigsten Opern
(„Der Vampyr“, 1828; „Der Templer und die Jüdin“, 1829; „Hans Heiling“,
1832) waren bis ins 20. Jahrhundert auf dem Spielplan der Opernhäuser
Deutschlands.
Obwohl
die Produktion als französische Erstaufführung angekündigt ist, wurde
„Hans Heiling“ mehrmals in der „deutschen Zeit“ Straßburgs gespielt. Zuletzt
wurde „Hans Heiling“ 1915 von Hans Pfitzner dirigiert und inszeniert (damals
Musikdirektor in Straßburg, wo er u.a. auch „Palestrina“ komponiert hatte),
der die Marschner-Oper sehr liebte und 1925 in Dresden wieder leitete.
Auch Wagner schätzte das Werk sehr und hatte es mehrmals geleitet, u.
a. auch in Wien. Vor etwa 10 Jahren hat das irische Raritätenfestival
Wexford die drei genannten Marschner-Opern in aufeinander folgenden Saisonen
gebracht.
Da
Marschner zwischen Weber und Wagner steht, muß er den Vergleich mit den
beiden Giganten aushalten. „Hans Heiling“ ist musikalisch ein sehr interessantes
Werk, wenngleich er nicht die zündenden Schwung der Melodien Webers und
die profunde Tiefe Wagners erreicht. Es handelt sich hier erstmalig um
eine durchkomponierte Oper, denn Marschner wendet sich völlig vom Singspiel
ab mit seinen – heute albernen – gesprochenen Texten. Texte werden hier
als Melodramen eingeflochten, von teilweise sehr ausdrucksvoller Musik
begleitet. Die Ouvertüre ist nicht zu Beginn der Oper, sondern nach dem
etwa viertelstündigen Prolog. Es gibt keine Rezitative, Arien, Duette,
Ensembles usw. sind nicht Nummern im klassischen Sinn, sondern sehr frei
komponierte Musikstücke. Deshalb kommt bisweilen ein Gefühl der Zerrissenheit
auf, die bereits auf Wagner weist, zumal bereits Ansätze von Leitmotiven
erscheinen.
Das
Libretto stammt von Eduard Devrient (berühmter Berliner Hofschauspieler
und -sänger, der Lear und Moor spielte; er sang auch Sarastro und Rocco,
sowie Christus bei der Wiederaufführung der „Matthäus-Passion“ unter Mendelssohn).
Die Geschichte des „Hans Heiling“ geht weiter als die damals üblichen
Geschichten der Romantik von über- und unterirdischen Geistern. Das Libretto
beruht auf einer böhmischen Legende: Heiling ist der Sohn der Königin
der Erdgeister und eines menschlichen Vaters, der zu den Menschen aufsteigt
und seine königlichen Allüren zur Schau stellt, was bei den Menschen natürlich
nicht gut ankommt. Diese Handlung bringt den Antagonismus zwischen dem
Erdgeist Heiling und seiner Geliebten, dem Menschenskind Anna, auf die
Bühne. Die Problematik behandelt den Unterschied zwischen der Monotonie
der Unsterblichkeit und der Vielfalt der menschlichen Existenz. Bereits
im Eingangschor der Erdgeister, einer willenlosen Schar von goldgrabenden
Sklaven im Dienst Heilings und seiner Mutter, „Rastlos geschaffen mit
stetiger Kraft“ wird das Thema angeschnitten. Wagner hat vermutlich 20
Jahre später bei den Nibelungen daran gedacht.
Der
Regisseur Andreas MAY und sein Ausstatter David KÖNIG haben als Ausgangspunkt
ihrer Arbeit die Kritik am Rückzug des Bürgertums ins Biedermeiers gedeutet,
wo persönliche Meinung und Freiheit der nivellierenden Bequemlichkeit
und dem Wohlstand gewichen waren, eine Problematik, die heute so aktuell
wie vor 180 Jahren ist. Die Bausteinkasten-Kirche und bewußte Verwendung
von Schwarzwälder- oder Elsässer-Häuschen und Hintergrund von der Firma
Faller, Spezialist für Dekorationen für Modelleisenbahnen, wirken zwar
bisweilen etwas naïv-kindisch, sind aber durchaus vertretbar und passend
in dieser Perspektive. Die „altdeutschen“ Kostüme mit elsässischen Hauben
für die Damen ergänzten den Rahmen vorteilhaft. Die Erdgeister sind alle
in einheitlichem stahlblauem Mao-Look gekleidet, Heiling und seine Mutter
tragen dazu rostrote Perücken. Zum Schluß kommt eine riesige goldene Statue
des Dorfpatrons Sankt Florian vom Schnürboden herunter.
Das
Produktionsteam May/König wurde durch einen Wettbewerb von „Camerata Nuova
- Opera Europa“ engagiert, für den der ehemalige Straßburger Intendant
(und jetzt der Wiener Volksoper) Rudolf Berger „Hans Heiling“ vorgeschlagen
hatte. Der neue Intendant Nicholas Snowman hat die Produktion nahtlos
nachvollzogen, und man kann ihm für dieses Unternehmen nur ungeteilten
Beifall zollen. Die Produktion geht dann im April nach Calgliari in Sardinien
und später nach Wiesbaden.
Die
Aufführung stand musikalisch unter einem guten Stern. Das ORCHESTRE PHILHARMONIQUE
DE STRASBOURG war in bester Form unter der animierten Leitung von Olaf
HENZOLD, der die romantische Seite der Musik ausgezeichnet herausstrich
und sehr flüssig dirigierte. Die CHÖRE DER RHIN-OPER unter der Leitung
von Michel CAPPERON waren ebenfalls am Erfolg des Abends beteiligt, zumal
sie sich aktiv spielend an der Handlung beteiligen.
Unter
den durchwegs ausgezeichneten Sängern, stach der Titelheld hervor: Detlef
ROTH, vor drei Jahren Gewinner des Wagner-Wettbewerbs in Straßburg, war
ein sehr eindrucksvoller Heiling, brutal und verzweifelt zugleich. Seinem
ungewöhnlich ausgeglichenen warmen Kavaliersbariton fehlt noch eine Spritze
dramatische Kraft. Seine Mutter, die Königin der Erdgeister, wurde von
der Chilenin Marcela DE LOA mit eindrucksvollem Sopran mit majestätischer
Bühnenpräsenz dargestellt. Obwohl sie viele Koloraturrollen singt, beeindruckte
hier die dramatische Durchschlagskraft der Stimme.
Die
viel versprechende jugendlich-dramatische Sopranistin Anja KAMPE, gab
Heilings Geliebte Anna einen tragischen Zug. Hanna SCHAER gab ihrer Mutter
Gertrud die richtigen Akzente, ängstlich besorgt um ihr Kind und bedauernd,
daß die „gute Partie“ des steinreichen Heiling sich auflöst. Der menschliche
Liebhaber Annas, Konrad, der sie schließlich kriegt, eine „glückliche“
Erik-Figur, war bei mit Norbert SCHMITTBERGER in besten Händen. Seinen
jugendlichen, kraftvollen Tenor wird man sicher bald in großen Rollen
hören können. Michail SCHELOMIANSKI sang Stephan, der am Ende die etwas
verpatzten Hochzeitswünsche singt, die der Grazer Schauspieler Franz TSCHERNE
auf französisch kommentiert.
Ein
sehr erfreulicher Abend, den das Publikum mit sehr viel Applaus bedachte.
Wig.
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