Die
Ouvertüre zu „Les Huguenots“ beginnt mit dem Lutherchoral „Ein‘ feste
Burg ist unser Gott“, der bis zum Schluß des 5. Akts mehrmals vorkommt.
Die erste Arie des Raoul wird von einer Viola d’amore begleitet, später
wird ein a-capella-Ensemble nur von einer einzigen Baßklarinette unterbrochen.
Sehr gelungen und ungewöhnlich sind die Arien oder Duette mit Chor, die
eine sehr lebendige Führung der Handlung erlauben. Die Schwerterweihe
im 4. Akt ist eine der eindrucksvollsten Szenen des Opernrepertoires.
Verdi hat später ähnliche Szenen geschrieben, wie das Autodafé in „Don
Carlos“, Boccanegras große Ansprache, die Triumphszene in „Aida“ oder
der Schluß des 3. Akts von „Otello“. Allerdings gibt es bisweilen richtige
„Löcher“, Stellen, wo der musikalische Kontinuität nicht konsequent durchgeführt
erscheint; es fehlt manchmal die „Verkettung“ zwischen den Szenen.
Daß
„Les Huguenots“ stimmlich anspruchvoll sind, gehört zur der Legende dieser
Oper. Anspruchsvoll sicher, aber nicht unaufführbar. Diese Herausforderung
hat der Direktor der Oper in Metz, der englische Tenor Laurence DALE –
dessen nicht erster ungewöhnlicher Versuch das ist – aufgenommen und –
man kann es ruhig sagen – brillant gewonnen. „Le Grand Opéra“ auf einer
kleinen Bühne, dem entzückenden Metzer Hoftheater von 1772, verlangt viel
konzeptuelle Überlegung und einheitliche Durchführung. Das sehr geschickte
Bühnenbild von Eric CHEVALIER besteht aus mobilen Elementen mit Schachbrett-Mustern,
die nach dem LEGO-Prinzip bedarfsweise einen Saal für ein Gelage, die
Kapelle de Nesle, ein Gewölbe für das Duell, usw. ergeben. Selbst einem
kleinen Teich (2. Akt) gibt es im Garten des Schloßes Chenonceaux, das
als Spiegelbild projiziert wird, oder eine Straße mit der Gosse von Paris
(4. Akt), die sich während der Bartholomäusnacht mit Blut rot verfärbt.
Eine geschickte Beleuchtung (Patrice WILLAUME) und einfache, passende
Kostüme (Dominique BURTÉ) vervollständigten den sehr positiven optischen
Eindruck.
Den
einzigen Einwand betrifft die Tatsache, daß in vielen Ensembles recht
viel Bewegung herrscht, und das Getrampel bisweilen etwas stört. Während
der Ouvertüre wurde eine ganz kurze Einleitung auf den Vorhang projiziert
über die Hugenotten und ihre Rolle in Metz, unter anderem daß ein Viertel
der Bevölkerung nach der Aufhebung des Edit de Nantes die Stadt verließ
und auswanderte, vor allem nach Deutschland und USA.
Das
große Problem der Besetzung einer solchen Oper sind die „Seven Stars“.
Immerhin sangen in der Uraufführung Nourrit den Raoul de Nangis und Levasseur
den Marcel, während Cornélie Falcon (die diesem Typ des dunkel gefärbten
jugendlich-dramatischen Soprans ihren Namen „Falcon“ gab) die Valentine
kreierte. Laurence Dale gewann Rockwell BLAKE für den Raoul. Diese Rolle
sollte eigentlich von zwei Tenören gesungen werden, denn seine Arie „Plus
blanche que la blanche hermine“ ist für einen Rossinischen tenore di grazia
geschrieben, anderseits sind große Teile sehr dramatisch und passen eigentlich
für einen spinto-Tenor (Franco Corelli hat die Rolle 1962 an der Scala
gesungen und soll diese Arie gekürzt und transponiert haben). Obwohl Blakes
Stimme in der Tiefe und der unteren Mittellage trockener geworden ist,
besitzt er nach wie vor die unglaubliche Gesangskultur und meistert die
halsbrecherischen Höhen mit Stil und Bravour. Er besitzt auch nach wie
vor die unübertroffene Diktion und ist einer der wenigen Sänger, dessen
Französisch man durchgehend versteht.
Seine
Valentine war Alketa CELA, ohne Zweifel die Sensation des Abends, eine
der phänomenalsten Stimmen seit Jahren. Die junge albanische Sopranistin
besitzt eine dunkel timbrierte Stimme, ungewöhnlich flexibel, mit strahlenden
Höhen, stupenden Koloraturen und subtilen Piani. Sie sieht außerdem gut
aus und spielt mit großem Einsatz. Sicher eine große Karriere im Kommen.
Die Königin Marguerite sang Sally SILVER. Die junge Südafrikanerin besitzt
einen hochdramatischen Sopran, für diese Rolle schon etwas zu schwer,
wenngleich die Stimme sehr gut geführt und ausdrucksvoll ist. Die Arie
des 2. Akts „O beau pays de Tourraine“, gefolgt vom großen Duett mit Raoul
ist eine intensiv dramatische, sehr dichte Szene, der Protoyp des Meyerbeer’schen
„Tableau“.
Sehr
erfreulich war auch der quicklebendige Page Urbain von Hjördis THEBAULT,
die das hübsche Auftrittslied „Nobles Seigneurs, salut“ mit frischem Sopran
darbot. Ivan LUDLOWs Bariton war für die Rolle des Grafen von Nevers perfekt.
Der junge Engländer hat auch eine Statur, daß seine Erfolge bei der Damenwelt
erklärlich sind. Jean-Philippe MARLIÈRE war als Valentines Vater Saint-Bris
sehr am Platze. Sein angenehmer Bariton und sein würdiges Auftreten waren
passend für diese Rolle. Eine weitere große Überraschung war Philippe
KAHN als Marcel. Sein kraftvoller, profunder basso cantante klingt auch
in der Höhe angenehm und ist in der Tiefe klangvoll. Er stellte den alten,
sturen Hugenotten als den treuen Haudegen mit Überzeugung auf die Bühne.
Das Schlußterzett der in den Tod gehenden Hugenotten war ein Feuerwerk
zwischen Cela, Blake und Kahn, einfach phantastisch.
In
den kleineren Rollen waren Christophe MORTAGNE (der auch alle Gefechte
einstudiert hatte und Keilerei ist ja die Hauptbeschäftigung der Sänger
in dieser Oper) als de Cossé ausgezeichnet, ebenso wie Paul KIRBY und
Julien NEYER als die weiteren katholischen Adeligen.
Das
LOTHRINGISCHE NATIONALORCHESTER wurde von Jeremy SILVER geleitet. Einige
Pulte wurden wegen Platzknappheit in die Proszeniumslogen verfrachtet.
Die Bläser des Orchester waren ausgezeichnet, bei den Streichertutti ging‘s
bisweilen etwas daneben. Daß Mr. Silver ohne Taktstock dirigiert, ist
bei einem 25-Mann Kammerorchester ganz passend, aber vermutlich bei einem
sehr langem, unbekannten Werk und einem großen Orchester nicht empfehlenswert.
Der durch das Ensemble „MILLE E TRE“ verstärkte CHOR DER OPER METZ kam
seiner aufreibenden Tätigkeit stimmkräftig mit großem Enthusiasmus und
viel Schwung nach. Daniel ESTEVE besorgte die Choreographie des auf sechs
Tänzer beschränkten Balletts des 4. Akts.
Das
zahlreich angereiste, sehr internationale Publikum feierte die Künstler
stürmisch, unter anderem eine über zwanzigköpfige Delegation des „Meyerbeer-Fan-Club“
aus USA, die dann zu „L’Africaine“ in Straßburg weiterreiste. wig.
|