"DER FLIEGENDE HOLLÄNDER"- 27. Juni 2004

Es gibt sie noch, wenn auch selten, diese magischen Abende, an denen man vollkommen beglückt aus dem Theater kommt, und diese Wirkung Tage später noch anhält. Frankfurt hat eine solche Produktion, an der alles stimmt, mit dem „Fliegenden Holländer“, den es als Wiederaufnahme einer Produktion von 1999 gab.

Ich habe schon einige Inszenierungen von Anthony PILAVACHI gesehen, und bis zu diesem „Holländer“ bin ich mit keiner wirklich warm geworden. Diese Produktion jedoch steckt voller großartiger Ideen und überzeugt auch als gesamtes Konzept. Bei der Landung von Dalands Mannschaft beobachtet man amüsiert, daß lediglich Daland eine Schwimmweste trägt, was schon in diesem Moment zeigt, wie geizig er doch ist. Daland und seine Mannschaft schlafen nicht ein, sondern verlieren plötzlich das Bewußtsein. Das Holländerschiff umschließt den Felsen, es wirkt, als habe es alles verschlungen (Bühnenbild: Dieter RICHTER). Der Holländer wird durch eine Luke im Boden förmlich ausgespien. Während des Monologs entdeckt er unter Dalands Sachen ein Photo von Senta, das er fortan wie hypnotisiert anstarrt. Am Schluß der Szene erscheint hinten Dalands Haus mit einer Spiegeltür. Diese Tür stellt dann das Bild des Holländers dar, denn dieser Spiegel ist durchscheinend, so daß man dahinterstehende Personen sehen kann.

Im zweiten Akt gibt es keine Spinnstube. Mary ist offenbar Musiklehrerin und drillt den örtlichen Mädchenchor mit harter Hand. Nur Senta hockt auf dem Boden, ist rebellisch und baut sogar aus den Noten einen Papierflieger. Vor Erik flieht sie auf eine Weise, die auch diesem klar machen müßte, daß sie ihn eigentlich nicht will. Die Annäherung zwischen Senta und dem Holländer erfolgt erst schüchtern, dann zärtlich, schließlich mit Leidenschaft. Zu Beginn des letzten Aufzuges stellt man fest, daß der Fluch den Holländer offenbar mit beachtlichen übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet hat. Als die Norweger ihn zum Steuermann-Chor provozieren, genügt eine Handbewegung, um den unsichtbaren, von überall her kommenden Geisterchor und dadurch wiederum panischen Schrecken auszulösen. Am Schluß der Oper begeht Erik Selbstmord, was in dieser Inszenierung überraschend schlüssig wirkt.

Die Kostüme von Jutta DELORME zeigen, wie lange der Holländer schon unterwegs ist. Während er in blauer Kleidung des 16. Jahrhunderts erscheint, tragen die anderen Figuren zeitlose Kostüme, die sich am ehsten ins 20. Jahrhundert einordnen ließen. Im letzten Aufzug erscheint dann Senta in einem blauen Kleid im Stil desjenigen des Holländers. Da erscheint es nur logisch, daß diese Senta sich nicht vom Felsen stürzt, sondern dem Holländer in seine Welt folgt. Das Ende bleibt damit für die beiden offen. Sind sie durch den Tod erlöst? Oder besteht die Erlösung in Wahrheit darin, daß der Holländer fortan nicht mehr allein über die Meere ziehen muß?

Ein „Holländer“ ohne einen einzigen Sänger, dessen Muttersprache deutsch ist in Deutschland? „Geht ja gar nicht“ möchte man mit einem TV-Werbespot ausrufen und stellt dann getreu dem Werbespot fest: „Geht ja wohl.“ Ich habe selten in einer Wagner-Oper so viel Text verstanden auch an Stellen, über die sonst eher hinweggesungen wird.

Zunächst irritiert die lyrische Art, mit der Elena PANKRATOVA an Sentas Ballade herangeht, doch das ist Absicht, denn dadurch kann die Sängerin sich immer mehr in Sentas Gefühlswelt hineinsteigern, bis zum fast fiebrigen „Ich sei’s, die dich durch ihre Treu’ erlöse!“. Die Stimme hat einen sehr jungen Klang, ist der Partie aber in jeder Phase vollauf gewachsen. Dazu kommt eine großartige darstellerische Leistung, beginnend mit der teenagerhaften Angeödetheit über ihre reale Welt über die Bestimmtheit, genau dem Mann begegnet zu sein, auf den sie schon immer gewartet hat, bis zu einem Nicht-mehr-von-dieser-Welt-Sein im letzten Akt.

Lucio GALLO hat mit der Entscheidung Mut bewiesen, seinen ersten Holländer in ausgerechnet in Deutschland zu singen. Das Ergebnis konnte sich mehr als hören und sehen lassen. Daß es in den Höhen keine Schwierigkeiten zu erwarten gab, dürfte bei einem Verdi-geschulten Bariton auf der Hand liegen, aber absolut überraschend waren die profunden Baßtiefen und die Stimmfülle, mit der er die Partie durchmißt. Wunderschöne piani und eine Diktion, die jedem Wort nachspürte, führten dazu, daß das Duett mit Senta extrem tränentreibenden Charakter entwickelte. Grandios gespielt war die plötzliche Scheu, sich Senta zu nähern, irgendeinen Fehler zu machen und damit ihre Liebe zu verspielen.

Gregory FRANK (Daland) schaffte es ohne Schwierigkeiten, die Waage zu halten zwischen dezenter Komik und Gefährlichkeit, die dieser geldgierigen Figur auch innewohnt. Ihm ist schon sehr schnell klar, daß mit dem Holländer irgendwas nicht stimmen kann, aber die Geldgier siegt. Die Baßstimme hat einen angenehmen weichen Klang. Auch in den schnellen Passagen verliert sie diesen Klang nicht, und weder in der Höhe noch in der Tiefe scheint es Grenzen zu geben.

Stuart SKELTON zeigte sich als Erik besser in Form als bei seinem 3.Akt-Parsifal im Frühjahr in Hamburg. Der Sänger liefert beeindruckende Heldentenortöne ab, allerdings wurde man von den lyrischeren Passagen nicht ganz so erfreut. Da schien die Stimme unter zu viel Druck zu stehen, trotzdem war er einer der wenigen guten Eriks, die ich bisher live erlebt habe. Seinen Selbstmord am Schluß spielte er sehr überzeugend.

Die Mary von Elzbieta ARDAM, szenisch von der Regie aufgewertet, zeigte Autorität nicht nur im Spiel, sondern auch in ihrer spannend timbrierten Stimme. Peter MARSH (als Steuermann kurzfristig eingesprungen für den erkrankten Hans-Jürgen Lazar) ließ anfangs einige scharfe Töne hören, hatte sich dann aber sehr schnell gefangen und sang die Partie auf gutem Niveau.

Am Pult des tadellosen FRANKFURTER MUSEUMSORCHESTERs stand der junge Luzerner Musikdirektor Christian ARMING. Schon in der Ouvertüre spritze die Gischt, tobte der Sturm, so daß man die an diesem Tag herrschende Hitze völlig vergaß, denn man befand sich ja auf stürmischer See. Sorgfältig arbeitet der Dirigent die Nuancen der Partitur heraus, läßt die Leidenschaft lodert, bleibt jedoch auch immer im sängerfreundlichen Rahmen. Er reagierte sofort auf die Sänger, und als es im zweiten Aufzug zu einem kleinen Wackler im CHOR kam, hatte er innerhalb von Sekundenbruchteilen alles wieder unter Kontrolle. Abgesehen von diesem Wackler zeigte sich der Chor (Leitung Pablo ASSANTE) in exzellenter Form höchsten Ansprüchen genügend. MK