Es
gibt sie noch, wenn auch selten, diese magischen Abende, an denen man
vollkommen beglückt aus dem Theater kommt, und diese Wirkung Tage später
noch anhält. Frankfurt hat eine solche Produktion, an der alles stimmt,
mit dem „Fliegenden Holländer“, den es als Wiederaufnahme einer Produktion
von 1999 gab.
Ich
habe schon einige Inszenierungen von Anthony PILAVACHI gesehen, und bis
zu diesem „Holländer“ bin ich mit keiner wirklich warm geworden. Diese
Produktion jedoch steckt voller großartiger Ideen und überzeugt auch als
gesamtes Konzept. Bei der Landung von Dalands Mannschaft beobachtet man
amüsiert, daß lediglich Daland eine Schwimmweste trägt, was schon in diesem
Moment zeigt, wie geizig er doch ist. Daland und seine Mannschaft schlafen
nicht ein, sondern verlieren plötzlich das Bewußtsein. Das Holländerschiff
umschließt den Felsen, es wirkt, als habe es alles verschlungen (Bühnenbild:
Dieter RICHTER). Der Holländer wird durch eine Luke im Boden förmlich
ausgespien. Während des Monologs entdeckt er unter Dalands Sachen ein
Photo von Senta, das er fortan wie hypnotisiert anstarrt. Am Schluß der
Szene erscheint hinten Dalands Haus mit einer Spiegeltür. Diese Tür stellt
dann das Bild des Holländers dar, denn dieser Spiegel ist durchscheinend,
so daß man dahinterstehende Personen sehen kann.
Im
zweiten Akt gibt es keine Spinnstube. Mary ist offenbar Musiklehrerin
und drillt den örtlichen Mädchenchor mit harter Hand. Nur Senta hockt
auf dem Boden, ist rebellisch und baut sogar aus den Noten einen Papierflieger.
Vor Erik flieht sie auf eine Weise, die auch diesem klar machen müßte,
daß sie ihn eigentlich nicht will. Die Annäherung zwischen Senta und dem
Holländer erfolgt erst schüchtern, dann zärtlich, schließlich mit Leidenschaft.
Zu Beginn des letzten Aufzuges stellt man fest, daß der Fluch den Holländer
offenbar mit beachtlichen übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet hat.
Als die Norweger ihn zum Steuermann-Chor provozieren, genügt eine Handbewegung,
um den unsichtbaren, von überall her kommenden Geisterchor und dadurch
wiederum panischen Schrecken auszulösen. Am Schluß der Oper begeht Erik
Selbstmord, was in dieser Inszenierung überraschend schlüssig wirkt.
Die
Kostüme von Jutta DELORME zeigen, wie lange der Holländer schon unterwegs
ist. Während er in blauer Kleidung des 16. Jahrhunderts erscheint, tragen
die anderen Figuren zeitlose Kostüme, die sich am ehsten ins 20. Jahrhundert
einordnen ließen. Im letzten Aufzug erscheint dann Senta in einem blauen
Kleid im Stil desjenigen des Holländers. Da erscheint es nur logisch,
daß diese Senta sich nicht vom Felsen stürzt, sondern dem Holländer in
seine Welt folgt. Das Ende bleibt damit für die beiden offen. Sind sie
durch den Tod erlöst? Oder besteht die Erlösung in Wahrheit darin, daß
der Holländer fortan nicht mehr allein über die Meere ziehen muß?
Ein
„Holländer“ ohne einen einzigen Sänger, dessen Muttersprache deutsch ist
in Deutschland? „Geht ja gar nicht“ möchte man mit einem TV-Werbespot
ausrufen und stellt dann getreu dem Werbespot fest: „Geht ja wohl.“ Ich
habe selten in einer Wagner-Oper so viel Text verstanden auch an Stellen,
über die sonst eher hinweggesungen wird.
Zunächst
irritiert die lyrische Art, mit der Elena PANKRATOVA an Sentas Ballade
herangeht, doch das ist Absicht, denn dadurch kann die Sängerin sich immer
mehr in Sentas Gefühlswelt hineinsteigern, bis zum fast fiebrigen „Ich
sei’s, die dich durch ihre Treu’ erlöse!“. Die Stimme hat einen sehr jungen
Klang, ist der Partie aber in jeder Phase vollauf gewachsen. Dazu kommt
eine großartige darstellerische Leistung, beginnend mit der teenagerhaften
Angeödetheit über ihre reale Welt über die Bestimmtheit, genau dem Mann
begegnet zu sein, auf den sie schon immer gewartet hat, bis zu einem Nicht-mehr-von-dieser-Welt-Sein
im letzten Akt.
Lucio
GALLO hat mit der Entscheidung Mut bewiesen, seinen ersten Holländer in
ausgerechnet in Deutschland zu singen. Das Ergebnis konnte sich mehr als
hören und sehen lassen. Daß es in den Höhen keine Schwierigkeiten zu erwarten
gab, dürfte bei einem Verdi-geschulten Bariton auf der Hand liegen, aber
absolut überraschend waren die profunden Baßtiefen und die Stimmfülle,
mit der er die Partie durchmißt. Wunderschöne piani und eine Diktion,
die jedem Wort nachspürte, führten dazu, daß das Duett mit Senta extrem
tränentreibenden Charakter entwickelte. Grandios gespielt war die plötzliche
Scheu, sich Senta zu nähern, irgendeinen Fehler zu machen und damit ihre
Liebe zu verspielen.
Gregory
FRANK (Daland) schaffte es ohne Schwierigkeiten, die Waage zu halten zwischen
dezenter Komik und Gefährlichkeit, die dieser geldgierigen Figur auch
innewohnt. Ihm ist schon sehr schnell klar, daß mit dem Holländer irgendwas
nicht stimmen kann, aber die Geldgier siegt. Die Baßstimme hat einen angenehmen
weichen Klang. Auch in den schnellen Passagen verliert sie diesen Klang
nicht, und weder in der Höhe noch in der Tiefe scheint es Grenzen zu geben.
Stuart
SKELTON zeigte sich als Erik besser in Form als bei seinem 3.Akt-Parsifal
im Frühjahr in Hamburg. Der Sänger liefert beeindruckende Heldentenortöne
ab, allerdings wurde man von den lyrischeren Passagen nicht ganz so erfreut.
Da schien die Stimme unter zu viel Druck zu stehen, trotzdem war er einer
der wenigen guten Eriks, die ich bisher live erlebt habe. Seinen Selbstmord
am Schluß spielte er sehr überzeugend.
Die
Mary von Elzbieta ARDAM, szenisch von der Regie aufgewertet, zeigte Autorität
nicht nur im Spiel, sondern auch in ihrer spannend timbrierten Stimme.
Peter MARSH (als Steuermann kurzfristig eingesprungen für den erkrankten
Hans-Jürgen Lazar) ließ anfangs einige scharfe Töne hören, hatte sich
dann aber sehr schnell gefangen und sang die Partie auf gutem Niveau.
Am
Pult des tadellosen FRANKFURTER MUSEUMSORCHESTERs stand der junge Luzerner
Musikdirektor Christian ARMING. Schon in der Ouvertüre spritze die Gischt,
tobte der Sturm, so daß man die an diesem Tag herrschende Hitze völlig
vergaß, denn man befand sich ja auf stürmischer See. Sorgfältig arbeitet
der Dirigent die Nuancen der Partitur heraus, läßt die Leidenschaft lodert,
bleibt jedoch auch immer im sängerfreundlichen Rahmen. Er reagierte sofort
auf die Sänger, und als es im zweiten Aufzug zu einem kleinen Wackler
im CHOR kam, hatte er innerhalb von Sekundenbruchteilen alles wieder unter
Kontrolle. Abgesehen von diesem Wackler zeigte sich der Chor (Leitung
Pablo ASSANTE) in exzellenter Form höchsten Ansprüchen genügend. MK
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