Leser,
die eine Oper von Daniel-François Esprit Auber gehört haben oder überhaupt
per Namen kennen, sind eingeladen sich beim Autor dieses Artikels zu melden.
Denn obwohl ich seit über fünfzig Jahren Opern besuche, habe ich nur eine
einzige Oper von Auber gesehen, und das vor über fünfzig Jahren, „Fra
Diavolo“ in Wien. Dabei hat der Mann mit den geistreichen Vornamen über
fünfzig Opern komponiert, plus zahlreiche Messen, Chorwerke, Symphonien,
Solokonzerte und Kammermusik und war einer der erfolgreichsten und einflußreichsten
Komponisten des 19. Jahrhunderts, u.a. Nachfolger Cherubinis als Direktor
des Pariser Conservatoire und Hofkapellmeister von Napoleon III.. Seine
„Muette de Portici“ von 1828, d.h. drei Jahre vor Meyerbeers „Robert le
Diable“ und Rossinis „Guillaume Tell“, ist immerhin die erste „Grand Opéra“,
die u.a. von Wagner sehr hoch geschätzt wurde. In der vergangenen Saison
hat Muti diese Oper erstmals seit Jahrzehnten an der Scala gebracht. Am
25. August 1830 begann bei einer Vorstellung der „Muette“ in Brüssel die
Revolution und die Begründung Belgiens als eigenständiger Staat. Glückliche
Zeiten, wo Revolutionen in der Oper gemacht wurden! „Le Domino Noir“,
„Les Diamants de la Couronne“, „Fra Diavolo“ und „Gustave III“ feierten
im 19. Jahrhundert in der ganzen Welt – einschließlich USA und Rußland
- riesige Erfolge.
Pierre
Jourdan, der rührige Direktor des Théâtre Impérial in Compiègne, hat nun,
nach mehreren anderen Opern Aubers, ein völlig vergessenes Werk herausgebracht.
Diesmal war es eine „Opéra comique“. (Obwohl es sehr ernst zugeht, und
der Bösewicht zum Schluß abgestochen wird, besteht der Unterschied mit
der „Opéra“ darin, daß es vielen gesprochenen Text gibt. „Carmen“ ist
daher auch eine „Opéra comique“.) Das sehr sympathische Werk ist durchaus
vertret- und aufführbar und war ein großer Erfolg. „Haÿdée“ wurde am 28.
Dezember 1847 in der Salle Favart (Opéra comique) uraufgeführt und fast
fünfhundertmal in Paris gespielt. Acht Monate später war die deutsche
Premiere in Kassel, der München und Wien im selben Jahr folgten.
Der
Text vom – fast obligaten – Libretto-Schmied der Zeit, Eugène Scribe,
hat alle Charakteristika der komplizierten Intrige und erinnert an „Aïda“,
denn Scribe erwog, die Titelheldin, eine erbeutete zypriotische Prinzessin,
Aïdé (!!) zu nennen. „Otello“ ist auch nicht weit: ein erfolgreicher venezianischer
Admiral (Lorédan) wird von einem seiner Kapitäne (Malipieri) wegen Haÿdée
beneidet, während ein junger Adeliger (Andrea Donato) für besondere Tapferkeit
zum Kapitän und Lorédans Nachfolger ernannt wird. Es gibt allerdings keinen
Eifersuchtsmord, aber ein „Geheimnis“, denn Lorédan hatte vor Jahren seinen
Gegenspieler Donato (Andreas Vater) beim Spiel betrogen und ruiniert,
worauf dieser Selbstmord beging. Wegen seines schlechten Gewissens hat
er sich dessen Nichte Rafaela angenommen, diese aufgezogen und plant,
sie zu heiraten. Doch diese liebt ihren Cousin Andrea, während Haÿdée
Lorédan liebt. Malipieri spitzt auch auf Haÿdée und will Lorédan erpressen,
da er in der Schlafwandel-Szene diesem sein Testament entwendet hat, worin
dieser seine Schuld zu Papier gebracht hatte. Die Handlung löst sich in
eitel Wonne auf, nachdem Andrea im Duell Malipieri umbringt (hinter der
Szene, die schwächste Stelle der Oper).
Musikalisch
ist das Werk sehr flüssig, denn Auber ist ein großer Könner. Die Oper
enthält zahlreiche Barkarolen – wir sind in Zara und Venedig, und der
2. Akt spielt auf Lorédans Admiralsschiff – Stretten und sehr gelungenen
Arien und großen Schluß-Ensembles. Die oft verwendete Oboe als Soloinstrument
(Rafaelas Arie „Unis par la naissance“ im 2. Akt) ist bemerkenswert, ebenso
wie die graduellen Übergänge zwischen Tonarten, was zusätzliche Spannung
in die Arien der bereits ziemlich spannenden Handlung bringt. Sehr eindrucksvoll
ist die Schlafwandel-Szene Lorédans mit einem hohen „C“ als Höhepunkt.
Die Ouvertüre zum 2. Akt spiegelt musikalisch die Seeschlacht gegen die
Türken wider. Eine Barkarole Haÿdées mit Summchor der Matrosen im 2. Akt
(„C’est la corvette“) ist auch eine Neuigkeit für die Zeit. Alles in Allem
ein sehr erfreuliches Werk.
Die
Aufführung war ausgesprochen gelungen. Pierre JOURDAN führte sehr geschickt
Regie und führte die junge Sängerschar mit fester Hand durch die komplexe
Intrige. Er hatte den bekannten Maler Andre BRASILIER für die Bühnenbilder
gewonnen, die in leichten Pastellfarben die venetianische Atmosphäre wiedergaben
und vom Atelier Tristan SIMONINI sehr schön ausgeführt wurden. Sehr gelungen
war das Erscheinen der Salute-Kirche am Ende des 2. Akts, wenn das Schiff
von Zara nach Venedig segelt. Jean-Pierre CAPEYRON zeichnete für die sehr
passenden und schönen Renaissance Kostüme.
Das
ORCHESTRE FRANCAIS ALBÉRIC MAGNARD wurde von Michel SWIERCZEWSKI mit großer
Intensität und viel Schwung geleitet. Swierczewski ist ein Kenner dieser
Musik, denn er hat hier bereits vor einigen Jahren Aubers „Le Domino noir“
mit großem Erfolg geleitet. Der kleine Chor FIAT CANTUS wurde von Samuel
JEAN ausgezeichnet einstudiert.
Die
Sänger waren durchwegs sehr gut. In der Titelrolle brillierte die junge
Isabelle PHILIPPE, die fulminant die schwierigen Koloraturen meisterte.
Sie spielte auch ausgezeichnet, sehr verhalten die heimlich liebende Zypriotin.
Als Rafaela war Anne-Sophie SCHMIDT zu sehen, eine Rolle, die für ihre
Stimme fast zu lyrisch ist. Trotzdem gelang ihr die Charakterisierung
des jungen Mädchens bestens. Das Duett mit Haÿdée war ein Leckerbissen
bester Gesangskultur.
Bruno
COMPARETTI beeindruckte uns bereits als „Postillon de Longjumeau“ vor
einem Jahr. In der schwereren Rolle des Lorédan brillierte er und konnte
sein prachtvolles Stimmaterial zeigen, einschließlich einiger hoher „C“,
die er ins Publikum schleuderte. Auch darstellerisch lag ihm die Rolle
bestens. Sein bösartiger Gegenspieler Malipieri war bei Paul MÉDONI in
guten Händen. Er spielte ausgezeichnet die hinterhältige Jago-Figur und
seine Rachearie „La vengence“ war eindrucksvoll.
Mathias
VIDAL sang den jungen Feuerkopf Andrea Donato mit Brio und den Liebenden
mit Hingabe. Die elegische Barkarole des 3. Akts „O Vénise, la belle“
sang er sehr kultiviert. Die Buffofigur Domenico, Lorédans Diener, sang
Stéphane MALBEC-GARCIA mit angenehmer Stimme, neigte aber im Spiel etwas
zum Outrieren.
Das
volle Haus – überraschend viele deutsch- und englischsprechende Gäste
– feierte alle Künstler enthusiastisch. Schade, daß diese Produktion nicht
auf Tournee geht, aber sie wird auf DVD herauskommen. Wenn Sie zwei Stunden
angenehmer, frischer Musik in einer entzückenden Inszenierung erleben
wollen, kaufen Sie‘s! wig.
|