Im
frisch renovierten Bremer Theater am Goetheplatz wurde dem Publikum als
erste Premiere der Saison eine „Turandot“ serviert. Und für diese Aufgabe
holte man sich zum ersten Mal den Regisseur Peer BOYSEN ans Haus, der
auch für die Bühne und die Kostüme verantwortlich zeichnete.
Wie
schon bei seiner Münchner „Catone in Utica“ Produktion platziert Boysen
das Orchester auf der Bühne. Dafür wandert der Chor, in Blaumännern und
Maokappen in den Graben und bleibt bis auf die Köpfe unsichtbar, nur ein
Steg führt über sie hinweg. Der Prunk der Instrumente und die Musiker
in lila Hemden machen auf der, ansonsten eher leeren, Bühne mehr her.
Boysen
ist bekannt für seine sehr differenzierte Personenführung und seinen genauen
Blick. So fordert er auch hier von seinen Sängern eine genaue Darstellung
der Figuren. Als da wäre Liu, die im Matrosenkleidchen als schlankes blutjunges
Mädchen die Bühne betritt, und nach dem Geständnis ihrer Liebe Calaf geradezu
bedrängt. Dies ist nicht die schüchterne Sklavin, aufopferungsvoll und
selbstlos. Diese Liu sieht ihre Chance gekommen, Calaf für sich zu gewinnen.
Nur das der ihr fast mit Ekel und Abwehr entflieht, was leider seine Anteilnahme
für ihr Leiden („Non piangere, Liu“) irgendwie widersprüchlich erscheinen
läßt.
Überhaupt
Calaf. Er wird uns als Intellektueller mit Nickelbrille und leicht abgetragenem
Frack vorgeführt. Beinahe wie ein Phileas Fogg, der auf seiner Reise im
80 Tagen um die Welt, schon etwas ermüdet, in China gelandet ist, wo er
eben noch drei Rätsel lösen muß. Dies ist die Herausforderung, die ihn
reizt, und da kann ihn auch Liu nicht ablenken, die während des Rätsellösens
wiederum nicht die Finger von ihm lassen kann. Die Tatsache, daß der Preis
der Bemühungen eine Frau ist, wird erst durch ein weiteres Rätsel richtig
spannend. Daß so ein Mann Turandot irritiert, eine Frau, die gewohnt ist,
daß es immer nur um sie geht, ist klar. Da macht sie schon im 1. Akt,
bevor sie überhaupt dran ist, auf kokettierenden Vamp, erzählt später
die anrührende Geschichte ihrer Ahnin, und nach all den feschen Prinzen
steht nun der da. Natürlich sorgt das bei ihr für Verwirrung und Aufbegehren.
Den wollte sie nun wirklich nicht haben, das Spiel droht ihr zu entgleiten.
Als Liu dann in fast kindlicher Naivität die Heldin spielt ist es denn
auch konsequenterweise die reife Frau Turandot, die sie bösartig zum Äußersten
drängt, indem sie ihr das Messer in die Hand gibt.
In
Bremen spielt man den neuen Schluss von Luciano Berio. Ebenso wie bei
der Alfano-Version bleibt das schier unlösbare Problem, die Wandlung der
Turandot glaubhaft zu machen. Berio gibt das Problem an der Regisseur
weiter, indem er für den entscheidenden Augenblick eine Instrumentalmusik
komponiert hat. Boysen läßt hier Turandot und Calaf einen imaginären Liebesakt
vollziehen, der Turandot offensichtlich davon überzeugt, daß ihr kleiner
Brillenträger doch nicht zu verachten ist. Innerhalb der Interpretation
mag das schlüssig sein, aber der gesamte Ansatz der Figuren geht doch
irgendwie an der Geschichte vorbei.
Dabei
singt Nadine LEHNER die Rolle der Liu so zart und anrührend, wie man es
gern hören möchte, und auch die drei Minister (Armin KOLARCZYK, Benjamin
BRUNS und Mihai ZAMFIR) spielen nicht nur gut in ihren Clownskostümen,
sondern bilden ein stimmlich eingespieltes Team. Carter SCOTT in der Titelrolle
kämpft in der Höhe doch merklich und auch Calaf (Frank VAN AKEN) hat gegen
Ende nicht mehr genug Kraft.
Lawrence
RENES und die BREMER PHILHARMONIKER begleiten die Sänger gefühlvoll, ohne
sie mit der klanggewaltigen Musik zu unterdrücken.
Weder
Herr Boysen noch Herr Berio haben das Problem der Wandlung der „Turandot“
lösen können, und es steht zu befürchten, daß das auch so bleiben wird.
Vielleicht sollte man doch, wie Toscanini in der Uraufführung, die Oper
einfach mit dem Tod Lius enden lassen. Das wäre zwar unbefriedigend, aber
immer noch besser als das was dann kommen kann. KS
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