Im
Geflecht von Balken und Intrigen...
Kerstin
HOLDTs Inszenierung von Beethovens „Fidelio“ ist kein Hohelied der Gattenliebe,
sondern ein Opus über das Gefangensein des Menschen, das Anrennen gegen
Unterdrückung und das Hoffen auf eine Zukunft ohne Willkür in Gerechtigkeit.
Die junge Regisseurin bringt zum zweiten Mal nach 1998 in Ulm einen „Fidelio“
auf die Bühne. Erneut arbeitet sie dabei mit Paul ZOLLEr zusammen, mit
dem sie sowohl „Fidelio“ als auch „Madame Butterfly“ und 2001 Wagner in
Wels produzierte. Der Ausstatter konstruiert einen Hochregal ähnlichen,
durch Alubalken und Leitern variable Raum, in dem sich die Balken so bewegen
lassen, daß sie Symbol sind für Kerker und somit begrenzen.
Holdt
zeichnet darin ideenreich zeitlose Bilder, die Beethovens fast zweihundertjährige
„Freiheitsoper“ sehr heutig, aktuell und brisant erscheinen lassen. Eine
Frau in Männerkleidern befreit mutig ihren Mann aus politischer Haft und
trägt dazu bei, daß die Gerechtigkeit siegt. Wieviel ist ihr Erfolg aber
wert, wenn sie aus dem aktuellen Scheinwerferlicht tritt?
Selbst
Pizarro, der nach Rache und Vergeltung Dürstende, der noch eine Rechnung
mit seinem Intimfeind Florestan offen hat, packt im Finale seinen Angelkoffer
und sitzt seine Amtsenthebung durch den Minister (stimmlich kultiviert
und sicher: Andreas JÖREN) aus. Bis er wieder gerufen wird? Kai GÜNTHER
baut nuanciert Spannung auf, singt kraftvoll phrasierend mit schönen Piani,
präsenten Höhen und gefällig bis in die Tiefen. Viola ROLLER stellt sich
mit stimmlichem Glanz, Kraft in den Spitzen und ausladendem Vibrato bravourös
der beinah mörderischen Fidelio-Partie. Mit Eindringlichkeit gestaltet
sie die lyrische Passagen, um sich wenig später wild-dramatisch, ihr ganzes
stimmliches Potential nutzend, auszubrechen.
Kerstin
PETTERSSON gibt mit schlank geführtem Sopran und textverständlich eine
glaubwürdige, natürliche Marzelline. Anrührend ihr Liebessehnen, wenn
der Vorhang zum Brautschleier wird. Diese Marzelline ist letztlich vielleicht
die am stärksten Betrogene der Oper. Ihr zur Seite steht sowohl als Tenor
kultiviert als auch seinen Frust heraussingender Xiaotong HAN als Jaquino,
dem ebenfalls eine Liebe stirbt. Der Rocco Gijs NIJKAMPs agiert stimmlich
sicher und darstellerisch respektabel; ein Diener seines Herrn, der Häftlinge
zwar verhungern läßt, sich mit Mord aber nicht die Finger beschmutzen
will. Das Grabausheben reicht.
Kerstin
Holdt baut Bilder auf, die anrühren. So wenn im Hintergrund von Florestans
(ergreifend: Gunther HENZE) Gefängnisgruft Szenen besserer Zeiten ablaufen
oder die Gefangenen ein Quentchen Hoffnung schöpfen, wenn sie sich beim
Freigang mit Frauenkleidern im Arm im Tanze drehen. Und gelegentlich wirft
sie dem Zuschauer zwischen Bananen, Umzugskartons und gebrochenem Honigkuchenherz
Denkfutter hin.
Das
ORCHESTER unter Johannes RIEGER musiziert präzise, mal mit Dramatik, mal
eher pathetisch, manchmal fast zu schön-hoffnungsfroh für solch einen
Stoff, aber durchgehend konzentriert und leidenschaftlich akzentuiert.
Dabei achtet Rieger darauf, das die zuweilen satte Beethoven-Wucht weder
Solisten noch dem glänzend disponierten CHOR (Leitung: Marbod KAISER)
zudeckt.
Standing
Ovations im fast ausverkauften Haus für das Sänger-Ensemble. Uwe Kraus
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