Die
auch "Entstaubung" genannte Aktualisierung von allgemeingültigen Bühnenwerken
wirkt bekanntlich häufig gewollt, meist überheblich oder zumindest immer
im tödlichen Spinnennetz der künstlerischen Logik verfangen. Während die
Gehirnzellen sich in Sisyphusarbeit aus den winzig kleinen Splittern,
die vom Werk übrig geblieben sind, ein trübes Mosaik zusammenzusetzen
versucht, erfriert das Herz unter der in der Sonne der Entzauberung gleißenden
neunziger Jahre-Eisschicht. Stimmen sind wahrzunehmen, aber nicht zu erleben.
Die Musik schweigt.
Und
diesmal? Nichts Neues und doch viel Positives. Das neonleuchtende Bar-Ambiente,
die Kostüme in gefälliger Vorabendserieneleganz, freche Frisuren aus der
Girlie-Generation, die schon obligaten Anzüge der Herren, all dies war
in der Ulmer "Sonnambula" ein ebenso ästhetischer wie erfrischender, jedoch
niemals die Intention der Musik überlagernder, Blickfang. Vor dem elegant-kühlen
Hintergrund des Bühnenbildes wirkte Bellinis Musik sowohl in den Stimmen
also auch im Orchestergraben (Dirigent: Thomas MANDL) leicht und durchsichtig.
Eine gelungene Parallele zwischen Szene und Klang war also eröffnet (Bühne
und Kostüme: Andrea HÖLZL).
Der
Regisseur Klaus RAK führte die Personen nach der Devise "weniger ist mehr",
was jedenfalls dem CHOR einen Bärendienst erwies. Der Chorklang ließ hinsichtlich
Homogenität und Volumen gegenüber anderen Produktionen zu wünschen übrig,
und nun waren die einzelnen Mitglieder auch noch darstellerisch offenbar
weitgehend auf sich gestellt. Wer den Ulmer Opernchor kennt, weiß, daß
dies eine Verschwendung von Potenzial ist.
Wie
erwartet tat die dezente Personenregie den Solistenleistungen keinen Abbruch.
Und das bis in die kleineren Rollen. Gisela SCHUBERT als Amme Teresa und
Oliver HAUX in der Rolle des Alessio wurden ihren Aufgaben zu jedem Zeitpunkt
gerecht und ließen niemals Präsenz vermissen.
Darstellerisch
wie immer souverän konnte Nikolaus MEER als Graf Rodolfo diesmal das angenehme
Timbre seiner Baritonstimme in vielen lyrischen Abschnitten ausführlich
zur Geltung bringen. Franziska STÜRZ gab die Lisa als eine bodenständige,
originelle Göre und brillierte stimmlich vor allem mit Beweglichkeit und
hohen Tönen in der Extremlage. An kolorierten Variationen bei Phrasenwiederholungen
wurde übrigens nirgendwo gespart.
Selbstverständlich
auch nicht in der Titelpartie: Eva ZETTL sang die Amina mit schier endlosem
Durchhaltevermögen und meist enormer Klangschönheit. Die virtuosen Passagen
bot die Sängerin zwar stets präzise, jedoch niemals in spektakulärer Manier
dar. Man hörte hier einen agilen lyrischen Sopran, keine Koloraturspezialistin.
Die zarten eher mädchenhaften Farben der Stimme kamen daher besonders
gut in den bellini-typischen romantischen Momenten zur Geltung, die so
zum Herzstück der Partie wurden.
Neben
dieser durch und durch erstaunlichen Leistung gab es mit Xu CHANG als
Elvino allerdings einen Sänger, der an jenem Abend mit geradezu überragender
Stimmpräsenz die ungeteilte Begeisterung des Publikums auf seiner Seite
hatte: In jeder Note, zu jedem Zeitpunkt strömte seine Tenorstimme mühelos
und klar. Aufblühend aus der interessant timbrierten Mittellage wurde
jeder der zahlreichen Spitzentöne zu einem neuen umwerfendem Glanzlicht,
in dem sich Changs Tenor immer noch wunderbarer zu entfalten schien. Auch
wenn Dirigent Thomas Mandl den genialen Duktus des Gesangs nicht optimal
unterstützte so darf man doch sagen: Nicht nur, aber hauptsächlich durch
Xu Changs einsame Spitzenleistung, wurde die Ulmer "Nachtwandlerin" in
der Tat zu einem Belcantoabend der Extraklasse, bei dem das Wort "Provinz"
seine positivste Bedeutung erhielt und das Publikum mit Fug und Recht
schon auf die nächste Produktion dieser Art (Donizettis "Anna Bolena")
gespannt ist.
Mascha Ernst
|