Kennen
Sie das auch? An ihrem Stammhaus herrscht gerade Ebbe, nichts interessiert
Sie wirklich und Sie stoßen zufällig auf eine Opernaufführung ganz in
Ihrer Nähe? Sie wissen zwar nicht, wer singt, aber trotzdem denken Sie
sich: "Na ja, wer weiß, vielleicht erlebt man ja mal eine Überraschung!"
So ging es mir auch, als ich auf eine Produktion von "Nabucco" in der
TriBühne Norderstedt (Mehrzweckhalle in dem Hamburger Vorort) als Gastspiel
der "Stagione d'Opera Italiana" stieß. Die Überraschung kam, nur anders
als erwartet...
Giovanni
RICCO gestaltete die Inszenierung progressiv langweilig. In einem Einheitsbühnenraum
(Pietro PIZZOLANTE), der von zwei großen, orientteppichbemusterten, mit
israelischen Schriftzeichen verzierten, torähnlichen Gebilden eingegrenzt
wird, stehen die Protagonisten die meiste Zeit in der Gegend rum und versuchen,
klischeehaft gestikulierend, immer ins Publikum zu starren, was nicht
jedem gelingt. Die Kostüme (Elke WETH) sind so was von unorientalisch
und ausdruckslos, daß jeder Hobbyschneider akut kreislaufkollapsgefährdet
wäre. Nabucco sieht bei seinem ersten Auftritt aus, als wäre sein Schneidersklave
Teppichknüpfer gewesen, später dann gleicht er einem Saunabesucher mit
Bademantel, der eine Art Zielscheibe auf der Brust hat, und sandalenähnlichen
Schuhen.
Immerhin
gibt es einen roten Faden in der Regie: Die überdimensionale "Nabucco-Chronik"
in der Bühnenmitte, eine Art Kupferstich-Bilderbuch, das bei jeder Szene
umgeblättert wird. Der Blitz, der auf Nabucco fällt, hätte auch durch
kurzfristigen Stromausfall entstanden sein können. Von schier überbordender
Logik, ist die Szene, in der Abdallo ca. 8 kräftige Männer, die alle an
einer langen Kette gefesselt sind (sprich: die Choristen halten sie hoch),
alleine abführt. Aber was ist schlimmer als eine stinklangweilige, uninspirierte
Inszenierung? Eine stinklangweilige, uninspirierte Inszenierung mit stinklangweiligen,
uninspirierten Darstellern. Jeder trabte genau da über die Bühne, wie
er sollte, und absolvierte pflichtgemäß die Bewegungen, die einstudiert
wurden, sofern es denn welche gab. Der spannendste Moment für mich war
der des Vorhangs, wozu auch die musikalische Seite beitrug... Es war teilweise
peinlich klischeehaft.
In
der Titelpartie war Alfio GRASSO zu hören. Seine Stimme klingt ausgesungen,
aber er verfügt über eine mezza voce, die er auch einsetzt; dennoch hilft
es nichts, denn er brachte keine wirkliche Spannung über die Bühne. Da
half auch kein pathetisch-veristisches "Io manco" zum Schluß seiner Wahnsinnsszene,
schon gar nicht bei seiner Bühnenpräsenz Marke Zimmerpflanze (die nimmt
nach einer Minute auch niemand mehr wahr).
Seine
vermeintliche Tochter Abigaille war Tiziana CORTI. In der Tiefe gurgelte
sie sich was zurecht, in der Höhe klang sie scharf und zumeist falsch.
Immerhin kamen die halsbrecherischen Koloraturen meistens flüssig, auch
wenn ich das Gefühl hatte, daß sie sie extra beschleunigte, um Defizite
zu verschleiern. In der lyrischen Mittellage, ließ sie einen schönen Sopran
vernehmen, nur so viele lyrische Phrasen hat diese mörderische Rolle nicht.
Dazu kam ein kluftartiger Bruch zwischen der unteren und der mittleren
Lage. Ihre Darstellung erinnerte mich eher an Carmen auf Valium, was auch
durch ihr Aussehen (leicht schlapperiges Kleid, lange, gelockte, schwarze
Haare) bedingt wurde.
Giancarlo
RUGGIERI (Ismaele) hat den dramatischen Gesichtsausdruck eines schmollenden
Ochsenfrosches (mit einem Schuß Karpfen) und die Stimme einer heiseren
Nebelkrähe. Zum Glück mußte man das nervvergewaltigende Forcieren nicht
so lange aushalten, denn die Rolle ist ja eher klein, nur leider ensemblelastig...
Einzig
und allein der Zaccharia von Peter DAALIYSKY vermochte ein wenig Glanz
in die Aufführung zu bringen. Seine etwas unstete Stimme führte er souverän
durch die schöne Rolle. Eine leicht resonanzlose Tiefe und eine enge Höhe
seien hier nur am Rand vermerkt.
Katja
HALMOSIs Fenena hatte mitunter einen minimalen Hang zur Hysterie, aber
zählte definitiv zu den besseren des Abends. Giorgio GOGHI gab den Oberpriester
des Baal mit extrem verbrauchtem Baß, Attilio GALACE wird wohl nie über
den Abdallo hinauskommen, und Lucia SIRONI (Anna) fiel nicht auf.
Das
ORCHESTER der "Stagione d'Opera Italiana" klang wie eine Zusammenstellung
von einem demotivierten Schülerkammerorchester und einer bayerischen Kurort-Blaskapelle.
Die Tatsache, daß es fast genau so viel Blech wie Streicher gab, ließ
letztere nicht unbedingt hörbarer werden. Leo SATINI, der zum Schlußapplaus
nicht mehr auf die Bühne kam und wohl auch nur pro forma am Pult stand,
gestand jeder Instrumentengruppe so viele falsche Einsätze und Töne zu,
wie sie brauchten (aber auch keinen mehr), lediglich dem Becken nicht,
weil das gar nicht vorhanden war (die Pauke hörte ich das erste mal im
Finale des - 4. Akts). Außerdem nervten die unvermittelten Tempowechsel.
Selten hört man einen Verdi dermaßen fad und dilettantisch. Der nahezu
solistisch besetzte CHOR der Truppe klang bei seinem ersten Auftritt wie
in einem Bachoratorium. Er steigerte sich jedoch und sang ein passables
"Va pensiero". Die Sprache konnte ich aber nicht identifizieren. Ich tippe
auf eine nordische, denn es gab Umlaute... Stören in einem normalen Chor
meistens die Tenöre, waren es hier die Tenöre, Bässe, Soprane und die
Altistinnen.
Man
muß bei diesen Tourproduktionen natürlich immer Abstriche machen, denn
sie sind ja immer in einer anderen Stadt und haben nicht so viele Proben
wie an einem Opernhaus üblich, trotzdem kann man ein bißchen Professionalität
doch wohl erwarten, oder?
Wolfgang Schmoller
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