"Von
der Kunst zum Kunstgewerbe" - das ist natürlich eine etwas pauschale Beschreibung,
aber sie scheint mir von den Eckpunkten her doch recht genau den Weg von
Robert WILSON zu beschreiben. Am Beginn seiner europäischen Karriere standen
wegweisende Theaterinszenierungen wie "Alice in Wonderland" oder "Black
Rider", in der Oper begann er 1990 in Hamburg mit einem damals sehr verstörenden
"Parsifal", dessen Anlehnung an die stilisierten Bilderwelten eines Wieland
Wagner sich erst später erschloß. Es folgten u. a. "Lohengrin" in Zürich
und ein wunderbarer "Pelleas" in Salzburg, bei dem Wilsons verrätselte
Bilderwelten genau den Rätseln des Stückes entsprachen.
Was
er jetzt in Kiel auf die Bühne brachte war leider nur noch ein müder Abklatsch
davon. Im obligaten Wilson'schen Blau und den ebenso obligaten Kostümen
von Frida PARMEGGIANI (irgendwo zwischen Stilisierung und Sandalenfilm
diesmal) wurde brav die Handlung nacherzählt, reduziert natürlich auf
die Bewegungen und Haltungen, die nun schon auch nicht mehr neu sind,
sondern allein der Pflege des Kunstdenkmals Robert Wilson zu dienen scheinen.
Ich habe selten einen Abend erlebt, bei dem mir die Schnellebigkeit des
Theaters und künstlerische Erschöpfung infolge permanenter Wiederholung
so deutlich geworden ist.
Obendrein
konnte auch die musikalische Seite nicht wirklich befriedigen. Die Pariser
Premiere der Produktion im Jahr 2007 hatte mit Emmanuelle Haim eine wirkliche
Alte-Musik-Spezialistin geleitet. In Kiel war es Festival-Intendant Rolf
BECK - der ja gelernter Chorleiter ist - der bei einem solchen Prestigeobjekt
natürlich nicht fehlen wollte, zumal er ohnehin bereits die Übernahme
in Vilnius dirigiert hatte.
Ausgezeichnet
die Einstudierung des SCHLESWIG-HOLSTEIN FESTIVAL CHORes. Da stimmte jede
Koloratur auch im größten Tempo, was bei einem ja nur für die Spielzeit
zusammengestellten Ensemble schon erstaunlich war, und auch die Aussprache
der international bunt gewürfelten Truppe war tadellos. Ob sie allerdings
immer wirklich wußten, was sie da sangen? Vieles hörte sich mechanisch
und zwar technisch erstklassig bewältigt aber kaum musikalisch durchdrungen.
Und
im SCHLESWIG-HOLSTEIN FESTIVAL ORCHESTER war besonders in den Streichersoli
der Arien eine anscheinend geringe Erfahrung mit alter Musik nicht zu
überhören; das klang nach Arbeit. Und Becks Dirigat ließ trotz durchgehend
flotter Tempi nicht jene musikantische Stringenz aufkommen, bei der man
gerne auch einmal technische Unzulänglichkeiten überhört.
Gesungen
wurde von Mitgliedern des Meisterkurses von Alison Browner. Man hatte
also von vornherein auf "Namen" verzichtet, was im Prinzip im Festival-Rahmen
zu begrüßen ist. Beim extremen Gefälle im Niveau hätte man sich aber doch
überlegen sollen, wen man da auf die Bühne läßt, oder wen man vielleicht
doch besser ersetzt; eine Sopranistin mit zu kleiner, ständig die Töne
leicht von unten ansingender Stimme, ein Bassist, der mit seinen Arien
schlicht überfordert wirkte und ein Pilatus mit häßlichem, kaum einer
Stimmlage zuzuordnenden Timbre - das entspricht nicht dem eigenen Anspruch
des Festivals.
Dominik
KÖNINGER ließ als Christus immerhin ein schönes Timbre hören, kämpfte
allerdings mit der für seinen Bariton mitunter zu tiefen Tessitura. Wirklich
merken sollte man sich zwei Namen: die Altistin Sophie HARMSEN demonstrierte
mit "Es ist vollbracht", wie man Bach technisch perfekt UND musikalisch
erfüllt singt. Und Benjamin BRUNS gab einen Evangelisten der Sonderklasse
mit wunderbarer Diktion und ebensolcher Phrasierung, in der jedes Wort
seine Bedeutung bekam. Da Bruns bereits zum Ensemble der Kölner Oper gehört
und in den nächsten Jahren über Dresden nach Wien geht, dürften wir ihm
mit Sicherheit wieder begegnen. HK
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