Zugegeben,
eine Oper ohne einen Sopran als die schöne edle Geliebte, einen Tenor
als den strahlenden Helden und einen Bariton, der nur abgrundtief böse
ist, ist vielleicht nicht leicht zu inszenieren. Aber so ist es nun einmal
bei Franz Schrekers „Die Gezeichneten“. In der in der Renaissance spielenden
Geschichte aus der Feder des Komponisten gibt es nur gebrochene Figuren,
keine Sympathie-Träger, kein wohliges Seufzen.
Alviano
Salvago, ein Genueser Edelmann, kommt mit seinem Leben nicht zurecht,
da er verkrüppelt ist, was mit seinem Anspruch an eine hohe Ästhetik,
nicht zu vereinbaren ist. Er mißtraut jedem, und vor allem jeder, die
ihn trotzdem als vollwertigen oder gar erotischen Mann sieht. Sein Schönheitsideal
verwirklicht er in der Gestaltung der Insel Elysium vor Genuas Küste.
Und diese Insel will er dem Genueser Volk überlassen. Genau das bringt
den männlichen Adel auf den Plan, der das Eiland längst als Spielwiese
für seine erotisch pervertierten Ausschweifungen entdeckt hat. Durch die
Freigabe der Insel flöge er auf, was nicht sein darf. Während die Übergabe
ausgehandelt wird, trifft Alviano auf die Tochter des Bürgermeisters Nardi.
Carlotta ist Malerin, aber man merkt schnell, daß auch bei ihr etwas nicht
stimmt. Immerhin gelingt es ihr, Alviano aus seiner Selbstverneinung zu
holen, als sie sich in ihn verliebt und ihn malt. Lange halten tut die
„Stunde des Glücks“, wie Alviano das nennt, allerdings nicht. In ihrer
inneren Verstörtheit wirft sich Carlotta dem sinnlich fordernden Tamare
an den Hals, dessen physische Begierde die Herzkranke tötet. Der Sopran
ist tot, der Tenor (Alviano) tötet den Bariton (Tamare) und verfällt selbst
dem Wahnsinn.
Starker
Tobak, aber eben doch vielschichtige Menschen, die sich dem schönen Klischee
entziehen. In Salzburg hat sich in der diesjährigen Eröffnungspremiere
der Festspiele Nikolaus LEHNHOFF an dieses Werk gewagt und schafft damit
den Abschluß von Peter Ruzickas Reihe mit Werken österreichischer Exilkomponisten.
Lehnhoff
nutzt den Raum der Felsenreitschule, die einen nahezu perfekten Hintergrund
für Schrekers Oper liefert. In der breiten aber schmalen Bühne sind wenig
technische Spielereien möglich, aber die steinernern Logen bilden einen
wundervollen Hintergrund, der durch die riesige Figur eines liegenden
zerfallenen Frauenkörpers (Bühne: Raimund BAUER) auf stimmigste ergänzt
wird.
Schon
während des Vorspiels betritt Salvago die Bühne, nicht bucklig, wie bei
Schreker, sondern im langen Frauenkleid, sich ausgiebig schminkend. Die
Genueser Adeligen, die ihn so sehen, scheint das nicht zu stören, sie
sind den Anblick wohl gewohnt. Was diese Charade soll, verrät uns der
Regisseur erst im zweiten Akt, in der innigen Szene zwischen Carlotta
und Alviago. Hier zieht sie ihm die Frauenkleider bis auf einen Ganzkörperstrumpf
(??) (Kostüme: Andrea SCHMIDT-FUTTERER) aus, und entblößt ihn so, statt
ihn zu malen. Nach dieser Szene, in der Alviago durch die Liebe quasi
zum „normalen“ Mann wird, läuft er dann im Anzug umher. In sich wohl schlüssig,
aber letztlich doch mehr irritierend als hilfreich.
Und
um zu einer weiteren Schwäche der Inszenierung zu kommen: während der
Entkleidungsszene wirkt die wunderbar singende Anne SCHWANEWILMS total
berechnend. Sie will ihr Bild vollenden und braucht dazu einen verklärt
schauenden Alviano, also sorgt sie mit ihrer Liebeserklärung dafür, so
einfach ist das. Oder ist es eben nicht. Wir erinnern uns an die wunderbare
Eva-Maria Westbroek in der ansonsten eher unsäglichen Stuttgarter Inszenierung
von Martin Kusej. Diese Carlotta glaubte in ihrem Wahn, der ihr in jedem
Augenblick aus Augen und Bewegung sprach, tatsächlich daran Alviano zu
lieben. Und nur so macht der dritte Akt Sinn, wenn sie diese Liebe verliert
und ihre Begierde für Tamare entdeckt. In der Schlußszene allerdings,
wenn man unter Schaudern die geschändeten und ermordeten Frauen (hier
sind es Kinder, Gott sei Dank ohne Blut) in der Lustgrotte entdeckt, kommt
es mit dem Aufeinandertreffen der beiden Widersacher zu einem Höhepunkt
der Inszenierung.
Zu
diesem Zeitpunkt kann auch der gemäßigte Herzog Adorno (ein souveräner
Robert HALE) die Katastrophe nicht verhindern. Mit Michael VOLLE hat man
nicht nur einen stimmgewaltigen Tamare gefunden, sondern auch einen großen,
breitschultrigen Mann, dem man seine brutale Begierde und die sexuellen
Exzesse jeden Augenblick abnimmt. Und mit dem schmächtigen Robert BRUBAKER
(mit deutlichem Akzent singend) jemanden, der das vergeistigte asexuelle
Prinzip glaubhaft vertritt. So wird deutlich, daß weder das eine noch
das andere Extrem die Wahrheit auf seiner Seite hat und eben diese Extreme
nur zur Vernichtung ihrer selbst und ihrer Umwelt führen können.
Es
wäre zu wünschen gewesen, dass die gesamte Inszenierung diesen tiefen
Blick in die Abgründe menschlichen Verhaltens gehabt hätte. Schrekers
Libretto und seine Musik fordern dies jedenfalls ein.
Kent
NAGANO dirigierte zum ersten Mal eine Oper Schrekers und war darauf bedacht,
die Transparenz jederzeit zu erhalten. Damit war er den Sängern ein einfühlsamer
Begleiter, aber an einigen Stellen fehlte so die Komplexität, die die
Geschichte wie auch die Musik ausmacht. Das DEUTSCHE SYMPHONIE-ORCHESTER
folgte ihm sehr genau. Ob also nun Schreker-Renaissance oder nicht, diese
Oper zeigt viel über die Extreme im Menschen und bei so wundervoller Musik
sollte man es immer mal wieder wagen, sich dem zu stellen. KS
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